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Franco-Diktatur: Tod unter falschem Namen
Vor 50 Jahren richtete die Franco-Diktatur den DDR-Bürger Georg Michael Welzel und den Anarchisten Salvador Puig in Spanien hin
Als die Franco-Diktatur am 2. März 1974 zum letzten Mal zwei Verurteilte – den katalanischen Anarchisten Salvador Puig Antich und den DDR-Bürger Georg Michael Welzel – mit der sogenannten Garrotte, dem mittelalterlichen »Würgeisen« hinrichtet, geht es besonders grausam zu. Dabei ist schon das Mordinstrument selbst berüchtigt: Die Garrotte ist ein Eisenband, das dem Verurteilten um den Hals gelegt und so lange zugeschraubt wird, bis das Opfer erstickt.
Doch bei Puig und Welzel, deren Fälle nichts miteinander zu tun haben und die völlig unabhängig voneinander verurteilt worden sind, ist alles noch viel schlimmer. Die Scharfrichter wissen das Würgeisen nicht richtig zusammenzusetzen. Im Fall Welzels ist es offenbar sogar die erste Hinrichtung des Henkers überhaupt. So dauert es eine halbe Stunde, bis Welzel, der mit einer falschen Identität stirbt, nämlich als der polnische Staatsbürger Heinrich Chez, endlich erlöst ist. Um die skandalösen Umstände der Hinrichtung zu vertuschen, ordnet der Militärrichter Schweigepflicht an.
Verschlungene Biographien
Dass der 1944 in Cottbus geborene Georg Michael Welzel auf diese grauenhafte Weise stirbt, ist das Ergebnis einer langen Verkettung tragischer Ereignisse. Welzel, Vater von drei Kindern, war zwischen 1964 und 1970 dreimal wegen Republikflucht verurteilt worden und konnte erst im Mai 1972 endlich in den Westen ausreisen. Dort arbeitete er einige Monate im Ruhrgebiet, bis er im Herbst selbigen Jahres in den Süden reiste und bei Port Bou die spanisch-französische Grenze überquerte. Was dort passierte, gibt bis heute Anlass zu Spekulationen.
Der Filmemacher Raúl Riebenbauer, der Welzels Geschichte Anfang der 2000er Jahre rekonstruierte, schreibt, Welzel habe bei einem deutschen Weinbauern ein Gewehr mitgehen lassen, mit dem er in der Bar des Camping-Platzes von Hospitalet de l’Infant einen spanischen Zivilgardisten ziemlich unvermittelt erschoss. Möglicherweise war der Hass auf Uniformierte das Motiv der Tat, vielleicht stand Welzel auch unter Drogen.
Tatsache ist auf jeden Fall, dass Welzel sich nach der Verhaftung eine fremde Identität zulegt. Er behauptet, als polnischer Staatsbürger in Szczecin geboren zu sein und keine lebenden Angehörigen zu haben. Zudem nennt er sich – nach dem zweiten Vornamen des Vaters und dem Geburtsnamen der Mutter – Heinz Ches, was die spanische Polizei dann wiederum in »Chez« umändert. Weil Welzel bis zur Hinrichtung bei seiner Geschichte bleibt, ist sein Schicksal der Familie drei Jahrzehnte lang unbekannt. Die Kinder glauben, der Vater sei bei der Flucht aus der DDR ums Leben gekommen; für die Geschwister ist Georg Michael ganz einfach verschollen. Erst dank Riebenbauers Recherchen erfahren die Hinterbliebenen die Wahrheit.
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Der zweite grausam Hingerichtete an diesem Tag ist der Anarchist Salvador Puig Antich, über den der Regisseur Manuel Huerga 2006 den Spielfilm »Salvador – Kampf um die Freiheit« gedreht hat. Diese Verfilmung mit Daniel Brühl in der Hauptrolle hat den Widerstandskämpfer Puig zwar einer breiten Öffentlichkeit bekannt gebracht, allerdings auch zu einer stark verfälschten Geschichtsschreibung beigetragen. Der 1948 geborene Puig ist als junger Mann zunächst in illegalen Basisgewerkschaften aktiv und interessiert sich dann zunehmend für anarchistische Ideen. Er schließt sich dem neugegründeten Movimento Ibérico de Liberación (Iberische Befreiungsbewegung) an und lernt bei exilierten Anarchosyndikalisten der CNT im okzitanischen Südfrankreich den Umgang mit Waffen und Sprengstoff.
Da seine Organisation den Druck von Zeitungen und Flugblättern unter anderem mit Banküberfällen finanziert, beteiligt sich Puig ab 1972 an den bewaffneten Aktionen. Nachdem die Gruppe einen Bankangestellten bei einem Überfall schwer verletzt, richtet die »Brigada Político-Social«, die berüchtigte Geheimdiensteinheit der spanischen Diktatur, ihre Augen auf die anarchistische Gruppe. Nicht zuletzt dank der systematischen Folterung von Verdächtigen kommen die ermittelnden Beamten der Gruppe schnell auf die Schliche und legen ihr im September 1973 einen Hinterhalt. Es folgt ein Schusswechsel, bei dem Salvador Puig schwer verletzt und ein Polizist getötet wird.
Dass sowohl Puig als auch Welzel zu Todesstrafen verurteilt werden, hat nicht zuletzt mit der Krise des Franco-Regimes zu tun. Es gilt, zwei Exempel zu statuieren. Im Fall Puigs will man politische Stärke zeigen: Diktator Franco ist Anfang 1974 bereits schwer an Parkinson erkrankt und sein designierter Nachfolger, der faschistische Marineadmiral und Regierungschef Luis Carrero Blanco, von der baskischen Untergrundorganisation ETA bei einem spektakulären Anschlag in Madrid getötet worden. Kurz vor Weihnachten 1973 hatte das baskische Kommando den Wagen des Ministerpräsidenten mitten in der spanischen Hauptstadt in die Luft gesprengt. Weil das Regime die bewaffneten Gruppen unbedingt stoppen will, verurteilt es Puig, der gar nicht sicher als Todesschütze identifiziert ist, als Abschreckung zum Tode.
Doch diese Verurteilung führt international zu Protesten. Der Maler Joan Mirò, der sich (ebenso wie Pablo Picasso und Jean-Paul Sartre) schon 1970 mit Gefangenen der ETA solidarisiert hatte, malt anlässlich des Puig-Falls das Tryptochon »Hoffnung eines zum Tode Verurteilten«, und überall in Europa wird dessen Begnadigung gefordert. An dieser Stelle kommt Welzel alias »Chez« ins Spiel: Um zu beweisen, dass Spanien den politischen Widerstand nicht anders behandelt als normale Kriminelle, ordnet das Regime die Hinrichtung eines zweiten »Polizistenmörders« an. Georg Michael Welzel ist das perfekte Justizopfer, weil sich kein Staat der Welt für ihn zuständig fühlt. Im Frühjahr 1974 unterhält Spanien keine diplomatischen Beziehungen zum sozialistischen Polen, und da »Chez« erklärt hat, seine Eltern seien während des 2. Weltkriegs gestorben, sind auch keine Proteste von Angehörigen zu befürchten.
Verfilmung mit Mängeln
Der Spielfilm »Salvador – Kampf um die Freiheit« (2006) allerdings verschleiert diese politischen Zusammenhänge eher. Vielen Filmrezesent*innen galt es damals als besonders gelungene Idee der Filmemacher, Gefängniswärter und Polizisten der Diktatur zu humanisieren und in ein emotionales Verhältnis zu Puig (gespielt von Daniel Brühl) zu setzen. Doch mit der Wahrheit des franquistischen Systems hat das wenig zu tun. Sondereinheiten wie die bereits erwähnte Brigada Político-Social waren berüchtigt, weil sie Verdächtigen die Seele aus dem Leib folterten. Mit Sicherheit falsch ist auch die These des Films, Puig Antich habe den bewaffneten Kampf, nämlich den Anschlag auf Regierungschef Carrero Blanco, für seine Hinrichtung verantwortlich gemacht. Wie viele europäische Linke waren in Wirklichkeit auch die katalanischen Anarchist*innen 1973 über den Anschlag hocherfreut. Immerhin handelte es sich um einen faschistischen Ministerpräsidenten, der den Bestand der Diktatur sichern sollte. Das Entsetzen über die blutigen Attentate der ETA setzte erst Jahre später ein.
Auch dem politischen Selbstverständnis von Puig Gruppe werden Daniel Brühl und der Film nicht gerecht. Puig und seinen Genoss*innen ging es nicht um Lifestyle und Rockmusik, wie es der historische Rückblick oft nahelegt, sondern sie sahen sich in der Tradition des antifaschistischen Maquis. Jean-Marc Rouillan, der mit Puig in Barcelona zusammenwohnte und gemeinsam mit ihm in den Hinterhalt der Polizei geriet, gründete 1979 die französische Organisation Action Directe, die mit dem katalanischen Anarchismus brach und stattdessen mit der leninistischen RAF kooperierte. Rouillan saß in Frankreich mehr als 20 Jahre im Gefängnis.
Darüber, was Puig und Welzel aus ihrem Leben gemacht hätten, wären sie nicht elendig hingerichtet worden, lässt sich nur spekulieren. Tatsache ist jedoch, dass die an ihnen begangenen Justizverbrechen bis heute ungesühnt sind. Weil sich die Gerichte in der EU weigern, in der Sache aktiv zu werden, versuchen die Angehörigen von Salvador Puig bis heute, den Fall – als schwere Menschenrechtsverletzung – in Argentinien vor Gericht zu bringen.
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