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Portugal vor der Wahl: Unsichere Zeiten am Tejo
Bei der portugiesischen Parlamentswahl kann keine der beiden großen Parteien mit einer Mehrheit rechnen
Seit vier Monaten ist Portugals Regierung unter dem amtierenden Ministerpräsidenten António Costa eine auf Abruf. An diesem Sonntag, statt regulär im Oktober 2026, wird bei einer Parlamentswahl darüber entschieden, wie es in dem iberischen Land politisch weitergeht. 10,8 Millionen Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen. Erwartet wird ein knappes Rennen zwischen den Sozialisten und dem Mitte-rechts-Bündnis Demokratische Allianz (AD) aus PSD und kleinerer CDS-PP. Zum Regieren wird der Sieger allerdings auf Partner angewiesen sein.
Schon die Eleições legislativas vor zwei Jahren fanden nicht zum regulären Termin statt, sondern waren von Costas PS aus wahltaktischem Kalkül vorfristig herbeigeführt worden. Die seit acht Jahren regierende PS profitierte da noch von der »Stunde der Exekutive« in der Coronakrise.
Dabei sind in ihrer Ära, die auf die von der Troika diktierte Sparpolitik nach der Finanzmarktkrise von 2008 gefolgt war, längst nicht alle den Portugiesen geschlagenen Wunden geheilt worden. Allerdings war der Motor der Wirtschaft, auch dank externer Faktoren, wieder angesprungen. Abmachungen mit dem Linksblock BE und dem kommunistisch-grünen Wahlbündnis CDU trugen während der ersten Legislatur von António Costa dazu bei, dass einige soziale Härten gemildert wurden. In die Mitte strebend, reichten der PS bei der Wahl 2022 41,4 Prozent der Stimmen, um allein regieren zu können.
Diesmal stehen die Dinge anders. Der Schatten der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen hat sich über Europa gelegt und auch Portugal bekommt die ökonomischen Folgen sowie die Kosten der von EU und Nato forcierten Aufrüstung deutlich zu spüren. Obwohl der Zweikampf der beiden großen Parteien wieder im Zentrum steht, hat auch das innenpolitische Szenario deutliche Veränderungen erfahren, sind Hauptrollen neu besetzt worden.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Als sicher gilt, dass die rechtsextreme Chega weiter zulegen wird. Die Partei verknüpft in ihrer Propaganda das Thema Migration rassistisch mit Kriminalität. Vor zwei Jahren erzielte sie 7,2 Prozent und rückte in der Assembleia da República auf den dritten Platz vor. Zu ihrem Anführer und bis dahin einzigen Abgeordneter André Ventura kamen elf weitere hinzu.
Neuer Frontmann der Sozialisten ist der frühere Minister für Wohnungsbau Pedro Nuno Santos. Er verspricht höhere Löhne und Pensionen und mehr Geld für das Gesundheitssystem SNS. »Wir arbeiten, um zu gewinnen«, gibt er sich kämpferisch. Mit Nuno wäre nach der Wahl eine Verständigung mit den beiden Linksbündnissen wieder im Bereich des Möglichen.
Wer wird Portugal regieren, wenn das Land im April den 50. Jahrestag seiner Nelkenrevolution begeht? Luís Montenegro, neuer Chef der PSD verspricht, das Land wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Während der Regierungszeit der Konservativen von 2011 bis 2015 war er als Fraktionschef mitverantwortlich für die Politik der Austerität. Viele trauen seinem Nein zu Chega nicht.
Verteilt werden die 203 Sitze im Einkammerparlament nach einem Schlüssel auf die 18 Wahlbezirke bildenden Distrikte des Landes. Hinzu kommen Wahlkreise für die autonomen Regionen Azoren und Madeira sowie die im Ausland lebenden Portugiesen. Außer in Lissabon und Porto, denen jeweils 40 Sitze zustehen, ist die Hürde für das Erlangen eines Mandats damit so hoch, dass die Wahl von kleineren Parteien dort meist eine »verschenkte« Stimme ist.
Dem Wahlkrimi am Sonntag ging ein Kriminalstück voraus: Am 7. November hatte Costa beim konservativen Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa stante pede seinen Rücktritt eingereicht. Er reagierte damit auf Korruptionsermittlungen der Justiz im Rahmen der »Operation Influencer« zu Geschäften mit Lithiumvorkommen, Wasserstoff und Datenzentren. In einer Erklärung hatte Generalstaatsanwältin Lucília Gago Costa als Verdächtigen genannt. Tatsächlich war Wirtschaftsminister António Costa Silva gemeint gewesen.
Der Vorwurf eines politischen Komplotts stand im Raum. Gago verwahrte sich dagegen mit Verweis auf das »Gebot der Transparenz«. Die Ermittlungen drehen sich um die Firma Start Campus. In der Industriezone der Stadt Sines im Alentejo entsteht für Technologie-Multis ein großes Rechenzentrum mit Verbindung zu interkontinentalen Glasfaserkabeln.
Premier Costas Stabschef Vítor Escária und der ihm nahestehende Rechtsanwalt Diogo Lacerda Machado hatten in dem Projekt ihre Finger. Sie waren ebenso verhaftet worden wie der Bürgermeister von Sines und zwei Direktoren von Start Campus. Alle vier befinden sich längst wieder auf freiem Fuß. Ein Teil der Vorwürfe ist vom Tisch. Weiter ermittelt wird wegen unerlaubter Einflussnahme auf Amtsträger.
Costa betont sein reines Gewissen. Der scheidende Premier wird nun als möglicher Nachfolger des Belgiers Charles Michel im Amt des Präsidenten des Europäischen Rates gehandelt.
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