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Catherine Corsini: »Ich habe sehr früh meine Klasse verlassen«
Catherine Corsini über ihren Film »Rückkehr nach Korsika«, soziale Milieus und ihre vorübergehende Ausladung aus Cannes
Knüpfen Sie mit Ihrem Filmtitel an Didier Eribons autobiografisches Buch »Rückkehr nach Reims« an, das ebenfalls von Klassismus, Ressentiments und der Ablösung vom Herkunftsmilieu handelt?
Ich habe Eribons Buch sehr gemocht. Es hat mich erleuchtet und mir viel über meine eigene Geschichte klargemacht. Mein Vater war Korse, der aus einer sehr armen Familie stammte. Er ist mit 17 nach Paris gegangen, wollte Theater und Kino machen und seinem sozialen Milieu entkommen, ist dann aber sehr früh gestorben. Vielleicht hat er trotzdem etwas an mich weitergegeben, weil ich auch sehr früh meine Klasse verlassen habe – obwohl ich sie nicht hasse, wie es bei Eribon eher der Fall ist. Aber die Rückkehr ist auch mir wichtig, um Rechnungen zu begleichen.
Auch in Ihrem Film wird, wie bei Eribon, Homosexualität thematisiert.
Eribon ist ein homosexueller Schriftsteller, ich bin eine homosexuelle Filmemacherin. Wir haben uns beide erlaubt, anders zu sein. Dennoch ist das für Frauen immer noch schwerer, weil Männer mehr Hilfen bekommen und andere Möglichkeiten haben, insbesondere um Kunst zu machen. Bei Frauen ist der Weg langwieriger und komplizierter. Man kann sich offenbaren, aber da müsste auch bei Frauen ein ganz anderes Denken dahinterstehen. In der Kunst haben Frauen noch viel zu wenige Spuren hinterlassen.
Catherine Corsini wurde 1956 in Dreux in Frankreich geboren. Sie studierte an der renommierten Schauspielschule Conservatoire national supérieur d’art dramatique. Später interessierte sie sich auch für Regie. Für ihren Film »La Répétition« erhielt sie 2001 eine Einladung in den Wettbewerb des Cannes-Filmfestivals. 2021 wurde sie mit »In den besten Händen« und 2023 mit »Rückkehr nach Korsika« erneut in den Hauptwettbewerb von Cannes aufgenommen.
Sie zeichnen im Film die Herkunftsfamilie – eine schwarze Alleinerziehende mit zwei Töchtern, von denen eine im Begriff ist, den Aufstieg durch Bildung zu schaffen – mit viel Respekt und Empathie. Ressentiments zeigt dagegen das gönnerhafte Bildungsbürgerpaar, das die beiden Töchter ihrer Kinderfrau mit in den Urlaub auf Korsika einlädt. Der Film behandelt gleichzeitig so unterschiedliche Diskriminierungsformen wie Sexismus, Homophobie, Klassismus und Rassismus. Sehen Sie »Rückkehr nach Korsika« als Beitrag zum intersektionalen Feminismus?
Ich gehöre einer Generation an, die diese Terminologie nicht verwendet. Aber meine Nichte, eine junge Feministin, hat meinen Film ähnlich beschrieben. Ich finde interessant, dass der Film so gesehen wird, auch wenn ich ein anderes Vokabular verwende. Denn ich wollte mit dem Film die Jugend ansprechen. Für mich selbst war es sehr schmerzvoll, zu meiner eigenen Identität, zu meiner Homosexualität zu stehen. In den 80er Jahren wurde das noch kriminalisiert. Wie so viele Frauen habe ich viel Zeit verloren. Eine lesbische 16-Jährige hat heute ganz andere Chancen und ist viel offener und freier. Ich will dieser Generation, diesen drei jungen schwarzen Frauen, die im Zentrum meines Films stehen und die zum Teil auch homosexuell sind, ein Porträt schenken. Es bedanken sich immer noch Frauen bei mir, dass ich 2015 den Film »La Belle Saison« (die feministische Geschichte einer lesbischen Liebe im Frankreich der 1970er Jahre; M. H.) für sie gemacht habe. Es gibt nach wie vor viel zu wenig Filme, die homosexuelle Frauen mit all ihren Problemen darstellen.
Sie sind Mitgründerin des Collectif 50/50, das sich für Chancengleichheit und Diversität in der französischen Filmbranche einsetzt. Wie setzen Sie dessen Ziele um?
Ich habe schon sehr früh mit gemischten Filmteams gearbeitet. Bei »Rückkehr nach Korsika« waren 70 Prozent des Teams weiblich, und ich arbeite seit Jahren mit einer Chefkamerafrau zusammen. Für mich ist es lockerer, einfacher und auch emotionaler, mit einer weiblichen Crew zu arbeiten. Das Verständnis ist größer, es passt besser zu mir. Zu Beginn meiner Karriere musste ich noch viel mit Männern arbeiten, da hat man immer so getan, als sei ich unfähig und wüsste nicht, was ich wolle. Heute bekommen Produzenten durch unser Engagement einen staatlichen Bonus, wenn sie die 50 Prozent einhalten. Es geht nicht darum, Männer zu bestrafen, sondern darum, Anreize zu schaffen. Das Geschlechterverhältnis von 50:50 hat sich langsam institutionalisiert, das ist ein wichtiger Schritt. Ein großes Defizit ist immer noch, dass die Filmteams hauptsächlich aus Weißen bestehen. Da ist noch ein Kampf zu führen, der mir sehr wichtig ist.
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Weil eine anonyme Mail dem Filmteam Belästigung und anderes unangemessenes Verhalten am Set vorwarf, wurde »Rückkehr nach Korsika« zunächst vom Festival in Cannes ausgeladen und dann nach Prüfung wieder eingeladen. Wie sehr hat das dem Film geschadet?
Sehr. Mittlerweile sind alle Fragen geklärt. Es gab ein administratives Problem, wie es das bei Filmen gibt. (Gemeint ist eine nicht, wie vorgeschrieben, vorab von einer Kinderschutz-Kommission genehmigte sexuell konnotierte Szene mit der 15-jährigen Esther Gohourou, die eine der Töchter spielt – die Szene wurde herausgeschnitten; M.H.) Ich als Person und der Film sind durch die Anschuldigungen und absurden Gerüchte auf Social Media beschädigt worden. Ich weiß nicht genau, was da passiert ist, ob Eifersucht der Auslöser war, ob man mich persönlich angreifen wollte – ich brauche noch Zeit, um das zu verstehen. Es war ein ungerechter frauenfeindlicher Angriff, bei dem auch Rassismus eine Rolle gespielt hat, weil man auf diese Weise schwarzen Frauen verweigern wollte, den roten Teppich in Cannes entlangzulaufen. Ich werde weiter engagierte feministische Filme machen. Ich lasse mir meine Humanität nicht absprechen und bleibe eine große Anhängerin von #MeToo.
»Rückkehr nach Korsika«, Frankreich 2023. Regie: Catherine Corsini; Buch: Catherine Corsini, Naïla Guiguet. Mit: Aïssatou Diallo Sagna, Esther Gohourou, Suzy Bemba. 106 Min. Kinostart: 14. März.
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