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Kritiker: »Feindselige Umwelt« schaffen mit Bezahlkarte
Menschenrechtler und Fachleute kritisieren das geplante neue Zahlungsmittel für Asylbewerber
Im Grundsatz sind sich alle Parteien der Ampel einig: Das Spezial-Zahlungsmittel für Geflüchtete kommt, es kann je nach Land und Kommune restriktiv, etwas generöser oder »diskriminierungsfrei« ausgestaltet werden. Letzeres will Die Linke in jenen Ländern, in denen sie Regierungspartei ist, garantieren. So soll die Karte dort eine Überweisungsfunktion haben, anders als in den meisten Bundesländern. Schließlich geht es der Mehrheit der Beteiligten erklärtermaßen darum zu verhindern, dass Geflüchtete von ihren unter dem amtlichen Existenzminimum liegenden Bezügen Geld an Angehörige im Ausland oder Schlepper überweisen können.
Nur in einem Punkt wirken die Grünen im Bundestag offenbar nach wie vor leicht bremsend: einer von Bund und Ländern besprochenen Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Sie soll sicherstellen, dass auch Geduldete und Menschen im Asylantragsverfahren, die nicht in Gemeinschaftsunterkünften, sondern in Wohnungen leben, ihr Geld auf Bezahlkarten geladen bekommen.
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Die Grünen meinten zunächst, sie sähen keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung, stimmten ihr dann aber doch zu. Nun sieht die Fraktion weiteren Klärungsbedarf bei der Novelle, die nach Wunsch von SPD und FDP schon diese Woche im Bundestag beschlossen werden sollte. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch wies gegenüber der Nachrichtenagentur AFP auf weiteren Klärungsbedarf hin. Seiner Partei sei es wichtig, »dass vor allem Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, die Möglichkeit haben, sich zu integrieren«, sagte Audretsch. So müssten Nutzer der Karte auch online ein Busticket lösen und Alleinerziehende »günstig im Second-Hand-Laden einkaufen können«.
Am Dienstag hat es ein Gespräch zwischen den Koalitionsfraktionen über die Ausgestaltung des Gesetzes gegeben. Grundlage war eine Formulierungshilfe von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die geplante Änderung, dazu gibt es auch schon einen Kabinettsbeschluss vom 1. März. Vertreter von SPD und FDP drängen entsprechend auf Vollzug.
Audretsch beteuerte, seine Fraktion lehne die bundesgesetzliche Regelung keineswegs ab. Er verwies aber darauf, dass Heils Ministerium Prüfbitten formuliert habe, die nun von den Bundestagsfraktionen berücksichtigt werden müssten. Geplant ist laut Gesetzentwurf, dass die Bezahlkarte explizit als eine Option ins Asylbewerberleistungsgesetz aufgenommen wird. Heils Formulierungshilfe sieht vor, dass den Bundesländern überlassen wird, ob sie das neue Instrument nutzen wollen oder aber Geld- oder Sachleistungen bevorzugen. Auch die konkrete Ausgestaltung der Karte soll den Ländern obliegen – etwa ob und wie viel Bargeld Asylsuchende von der Karte abheben können.
Noch zu prüfen ist nach dem Entwurf auch, ob bestimmte Gruppen von der Bezahlkarte ausgenommen werden sollen. Das betrifft etwa Asylbewerber, die sich schon länger in Deutschland aufhalten und die arbeiten, studieren oder eine Ausbildung machen und staatliche Leistungen beziehen, die in Art und Höhe dem Bürgergeld entsprechen (Analogleistungen).
Die Einführung der Bezahlkarte wird insbesondere von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl, von den Flüchtlingsräten in allen Bundesländern und von der Partei Die Linke als stigmatisierend und als potenzielles Instrument der Kontrolle und Überwachung kritisiert. So fordert Juliane Nagel, asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im sächsischen Landtag mit Blick auf die Umsetzung im Freistaat, dass Bargeldabhebungen und Überweisungen nicht beschränkt werden dürfen.
Auch der Rat für Migration, ein bundesweiter Zusammenschluss von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, hat sich in einer öffentlichen Stellungnahme gegen die Bezahlkarte ausgesprochen. Die Karte, heißt es in einer Erklärung vom 5. März, stelle »erneut eine restriktive Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes dar«. Sie sei »im Geiste einer ›hostile environment policy‹ beschlossen« worden, also einer »Politik zur Schaffung einer feindseligen Umwelt«.
Für die Behauptung, dass eigene Konten Geflüchtete »anlocken«, gebe es keinen Beleg, betont der Migrationsrat. Die von der Politik »popularisierte Theorie der so genannten Push- und Pullfaktoren« entbehre »jeglicher evidenzbasierten Gültigkeit in der internationalen Migrationsforschung«. Auch die Annahme, dass Asylbewerber*innen die ihnen zur Verfügung stehenden geringen Mittel an Schlepper oder ihre Familien ins Ausland überweisen würden, sei »spekulativ, wissenschaftlich unhaltbar und integrationspolitisch kontraproduktiv«.
Das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen zieht unterdessen eine erste, überwiegend negative Bilanz der Bezahlkarte drei Wochen nach dem Start. Hamburg war das erste Bundesland, das sie als »Sozialkarte« bereits Mitte Februar eingeführt hat, allerdings nur für neu ankommende Geflüchtete. Sie erhalten in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Prepaid-Karte. Jeder Erwachsene bekommt darauf eine monatliche Gutschrift von 185 Euro, was Zeit und Wege sowohl für Behörden wie Empfänger spart. Leistungen für Kinder werden ebenfalls auf der Karte eines Elternteils gutgeschrieben. Barabhebungen sind jedoch nur bis zu einem Höchstbetrag von 50 Euro pro Monat möglich – plus zehn Euro für jedes Kind.
Johanna von Hammerstein, Sprecherin des Hamburger Bündnisses, kritisiert insbesondere den geringen Betrag für die Kinder als ausgrenzend und integrationsfeindlich. Zudem wisse man, dass »manche Dinge online einfach günstiger sind als analog«, Geflüchtete müssten sie aber wegen der fehlenden Überweisungsmöglichkeit mit der Karte in Läden kaufen, sagte Hammerstein dem Deutschlandfunk.
Der Brandenburger Flüchtlingsrat warnt wiederum vor den vom Bund geplanten weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten für Länder und Kommunen. Diese ermöglichten schnelle und willkürliche Einschränkungen der Funktionen der Bezahlkarte.
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