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Mekong: Verbarrikadierter Fluss
Der Mekong ist eines der artenreichsten Flussökosysteme. Aber immer mehr Staudämme lassen den Fischbestand schwinden.
Der Mekong ist ein Fluss der Träume, der Sagen und Abenteuer. Von seiner Quelle in China durchquert der mächtige Strom Myanmar, Laos, Kambodscha und Thailand, bevor er nach mehr als 4350 Kilometern in Vietnam ins Südchinesische Meer mündet. Unterwegs hat der Strom viele Namen wie Mae Nam Khong (Mutter allen Wassers) oder Neun-Drachen-Fluss.
Alleine im Unterlauf des Stroms, der am »Goldenes Dreieck« genannten Zusammentreffen von Myanmar, Laos und Thailand beginnt, hängen das Leben von mehr als 65 Millionen Menschen, die Flora und Fauna sowie das Gedeihen der Landwirtschaft von dem Wasser, den Nährstoffen und Sedimenten des gigantischen Ökosystems ab.
»Mit 1148 bekannten Fischarten ist der Mekong nach dem Amazonas und dem Kongo der Fluss mit der drittgrößten Biodiversität«, heißt es in dem neuen Report »Die vergessenen Fische des Mekong« des World Wildlife Fund (WWF). Hier kommen vom Aussterben bedrohte Giganten vor wie der bis zu drei Meter lange Riesenwels und der Riesensüßwasserrochen, der als der größte Süßwasserfisch der Welt gilt.
Fische sind für die an den Ufern des Mekong lebenden Menschen die wichtigste Proteinquelle. Im Mekongbecken werden 15 Prozent des weltweiten jährlichen Binnenfischfangs erzielt. Im Jahr 2015 waren das 2,3 Milliarden Tonnen Fisch mit einem Wert von mehr als elf Milliarden US-Dollar.
Fische schwimmen aber nur im Überfluss im Mekong, wenn sie sich vermehren können. Wie kaum anderswo auf der Welt sind die meisten Arten im Mekong Wanderfische. Doch Staudämme für Wasserkraftwerke blockieren sowohl den Weg der Fische zu ihren Laichplätzen als auch den der Jungfische aus dem Mekong und seinen Nebenflüssen stromabwärts. Die künstlichen Barrieren blockieren zudem auch den natürlichen Fluss des Wassers und der Sedimente. Das ist besonders fatal für den Tonle-Sap-See, der beim jährlichen Anstieg des Pegels normalerweise halb Kambodscha unter Wasser setzt und fruchtbare Sedimente über das Land als Nährboden für die Landwirtschaft und Jungfische in den See schwemmt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Am chinesichen Oberlauf des Mekong versperren bereits neun Dämme den Fischen den Weg. In Laos sind es mit den Dämmen Xayaburi und Do Sahong bereits zwei und sieben weitere sind in Planung. Lediglich Kambodschas neuer Premierminister Hun Manet hat die Versicherung seines Vorgängers und Vaters Hun Sen bekräftigt, im kambodschanischen Teil des Mekong keine Staudämme zu errichten.
Mit dem nun veröffentlichten Bericht schlagen der WWF, die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) und 23 weitere Wasser-, Fisch- und Naturschutzorganisationen Alarm: Mindestens 75 Fischarten seien auf der Roten Listen der IUCN als vom Aussterben bedroht geführt, 18 von ihnen als besonders gefährdet eingestuft. »Offiziell bedeutet dies, dass rund 19 Prozent der bekannten Mekong-Fischarten bedroht sind«, heißt es in dem im März veröffentlichten Report. Eine »beispiellose Kombination von Bedrohungen« wie Lebensraumverlust, Umwandlung von Feuchtgebieten für Landwirtschaft und Aquakultur, nicht nachhaltiger Sandabbau, invasive Arten und der Klimawandel sind weitere Faktoren für den Rückgang der Fischbestände. Der wirtschaftliche Wert der Mekong-Fischerei sei zwischen 2015 und 2020 schätzungsweise um ein Drittel gesunken. Der thailändische Mekong-Fischer Prayoon Sean-ae sagte asiatischen Medien: »Vor der Inbetriebnahme des Xayaburi-Damms 2019 konnte ein Fischer zehn Kilo Fisch pro Tag fangen. Aber jetzt haben wir Glück, wenn wir vier bis fünf Kilo pro Woche fangen.«
Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler in zahllosen Studien, aber auch Umweltorganisationen und Fischer vor einer Katastrophe für die Ökologie des Flusssystems und die Ernährungssicherheit der Anrainer durch die Staudämme. Die Bauherren der Dämme ihrerseits versichern unisono, durch den Bau von Fischleitern den Fischen weiterhin ihre für ihren Lebens- und Vermehrungszyklus entscheidenden Wanderungen zu ermöglichen.
Wissenschaftler stellen diesen künstlichen Passagen aber ein vernichtendes Zeugnis aus. Diese seien für Lachsfische in nördlichen Breiten konzipiert worden, die besser durch solche Anlagen navigieren könnten. Zudem verwandelten Dämme den Fluss hinter den Staumauern in ein stehendes Gewässer. »Für Fische, die sich entwickelt haben, um in einer fließenden Umgebung zu überleben, ist dies eine erhebliche Veränderung, an die sich viele einfach nicht anpassen können«, kritisieren die Autoren des WWF-Reports.
Eric Baran, ein Mekong-Fischspezialist, hielt im Juli 2023 auf einem Forum zum Wassermanagement einen Vortrag mit dem Titel »Die falschen Hoffnungen der Fischpassage an Hochdämmen am Mekong«. Nach 25 Jahren seiner Forschung an tropischen Flüssen in Asien kam Baran zu dem Schluss: »Es gibt immer noch keinen einzigen Fall einer erfolgreichen Fischpassage und einer nachhaltigen (Fisch-)Population durch den Einsatz von Fischleitern.«
Baran ist einer der Wissenschaftler, die regelmäßig von der Mekong River Commission (MRC) als Berater engagiert werden. Der MRC gehören Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam, nicht aber China an. Die Chinesen sind zudem äußerst zurückhaltend mit dem Teilen von Daten aus ihrem Teil des Mekong, was die wissenschaftliche Arbeit des MRC und anderer, unabhängiger Institutionen massiv erschwert.
Die MRC betreibt seit Jahren eine Menge wissenschaftlicher Studien, veröffentlicht Warnungen vor einer ökologischen Katastrophe durch die Staudämme und wohlfeile Empfehlungen zur Vermeidung einer solchen. Aber die Kommission hat nicht das Mandat, die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Empfehlungen zu zwingen und gilt unter Naturschützern und Wissenschaftlern als zahnloser Tiger.
Der Mekong als auch die Greater Mekong Region bleiben trotz allem eine wahre Artenfundgrube. Unter den vom WFF 2022 veröffentlichten 224 Neuentdeckungen waren 35 Reptilien, 17 Amphibien, ein Säugetier, 155 Pflanzen und 16 Fischarten. Damit wuchs die Zahl der seit 1997 in der Region entdeckten Tier- und Pflanzenarten auf erstaunliche 3007.
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