Politik als Art-Performance

Künstler schmücken sich gerne mit unauthentischem Aktivismus – allen voran in Hollywood

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,

sind wir Deutschen unhöfliche Nazis, wie der Künstler Ai Weiwei vor ein paar Jahren medienwirksam behauptete, als der chinesische Dissident von Deutschland, das ihn mit offenen Armen empfangen hatte, nach Großbritannien umzog (um zwei Jahre später nach Portugal abzuhauen, aber das führt jetzt zu weit)? In Jonathan Glazers Film »Zone of Interest« sind alle Deutschen waschechte Nazis und unhöflich sowieso. Er zeigt, wie die Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß sich in ihrem feschen Heim vergnügte, während ein paar Meter weiter im größten Lagerkomplex des 2. Weltkrieges pausenlos Häftlinge erschossen wurden und wie sie den geometrisch-germanischen Garten mit Krematoriumsasche düngte, damit wenigstens etwas im damaligen Oświęcim gedieh. Der Film ist klug, schockierend, und in seiner Behandlung des Holocausts singulär. Weg von der rührenden Musik und den herzzerreißenden Geschichten der Opfer hin zu der einfachen und doch so schmerzhaften Frage: Wie konnten die Deutschen den Juden das antun? Die Antwort: Nicht alle hätten es tun können, aber die, die es taten, taten es problemlos. Und um die Eingangsfrage zu beantworten, und zwar als jemand, der die deutsche Staatsbürgerschaft stolz trägt, aber ursprünglich aus einem anderen Land stammt: Heute sind wir weder Nazis, noch sind wir unhöflich. Und wir haben richtig gute Tischmanieren, das habe ich als US-Expat gleich festgestellt!

Als der britisch-jüdische Regisseur Jonathan Glazer letzten Sonntag den wohlverdienten Oscar für den besten internationalen Film entgegennahm, war all seine filmische Klugheit wie ausradiert. Er stammelte, dass er sein Judentum aufgrund des Nahostkrieges aufgäbe und verkündete gar, dass der Holocaust durch jenen torpediert sei, was ihm einen leidenschaftlichen Applaus einbrachte. Der Nahost-Konflikt dauert bereits Jahrzehnte an; gemäß seiner vorgebrachten Logik hätte Glazer den Film nie drehen dürfen. Ich bin trotz dieser Abdankungsrede dankbar für den genialen Film und umso mehr für das Konzept »Kunst vom Künstler trennen«.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Doch dieses Konzept umzusetzen wird immer schwerer. Die Kunst der letzten Jahrzehnte ist so politisch wie nie zuvor und das nicht nur bei Ai Weiwei, der die westliche Zensur letztens tatsächlich als »schlimmer als in Mao-China« bezeichnete; aber welcher, wenn er denn nicht mit Legos herumspielt, sehr interessante Kunst produzieren kann. Es gibt natürlich unterschiedliche Abstufungen politischer Kunst, brillante dokumentarische Analysen, die den Status quo aufs Schärfste kritisieren wie »13th« oder »Navalny«. Es gibt aber auch Judensau malende Künstlerkollektive wie Taring Padi oder Gorillas sprühende Street-Art-Guerillas wie Banksy.

Bei den Oscars ist Politik längst Art-Performance. 2018 trugen viele Stars »Timeʼs-up«-Pins, um die #MeToo-Bewegung zu unterstützen. 2021 traten zwei »Time's-Up«-Anführerinnen zurück, nachdem bekannt wurde, dass sie (ausgerechnet!) Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Andrew Cuomo, den damaligen Gouverneur von New York, zu vertuschen versuchten; die Bewegung war tot. Bei der diesjährigen Oscarverleihung trugen viele Stars Pins mit blutiger Hand und einem Herz darin: Diese sollen für einen permanenten Waffenstillstand in Gaza werben. Jüdische Aktivisten verwiesen aber auf den makabren Hintergrund des Symbols ̶ das Foto eines Mörders, das während der zweiten Intifada um die Welt ging: Zwei israelische Reservisten wurden von einem palästinensischen Mob in Ramallah hingerichtet, ihre Organe herausgerissen, ein Täter drückte stolz seine blutigen Hände an eine Glasscheibe. Seitdem ist die blutende Hand Symbolbild des Widerstandes gegen Israel mit allen Mitteln.

Diese unreflektierte Art des westlichen politischen Aktivismus wirkt unauthentisch. Die Ukraine? Vergessen. Die Frauen im Iran und in Afghanistan ebenso. Anstatt einen guten Film über den Gaza-Krieg zu drehen, heucheln die Stars in ihren Chanelkostümen (dabei wurde Coco gerade für ihre Nazi-Kollaboration gecancelt!) jedes Jahr Engagement für einen neuen Konflikt, um für ihren »Mut« gefeiert zu werden. Diese Wirrnis wird in die Massen getragen und beeinflusst das Wahlverhalten, was wiederum dazu beiträgt, dass verbrecherische TV-Stars an die Macht kommen. Time is wirklich up.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.