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SEZ in Berlin: Tausende Unterschriften gegen den Abriss
Trotz seiner bemerkenswerten Architektur steht das Sport- und Erholungszentrum vor dem Aus – doch die Zivilgesellschaft kämpft um den Bau
»Als ich jünger war, habe ich hier früher Kraftsport gemacht«, sagt ein Anwohner, seine Partnerin bestätigt es mit einem Grinsen. Eine andere Frau hat ihren Weg aus Marzahn vor das ehemalige Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in Friedrichshain gefunden. Selbst als sie noch in ihrer sächsischen Heimat gelebt habe, sei ihr das SEZ ein Begriff gewesen. »Das war einfach bekannt«, sagt sie zu »nd«. »Warum kann man so etwas denn nicht in der Stadt behalten?«
Mit ihrer Frage ist die 77-Jährige am Mittwochvormittag nicht alleine. Gegen den vom Berliner Senat in Aussicht gestellten Abriss des SEZ haben sich rund 50 Menschen vor dem DDR-Kulturgut versammelt. Aufgerufen hat unter anderem der Verein Gemeingut in Bürgerinnenhand (GiB). Durch mehrere Petitionen, auch auf private Initiative hin, konnten bereits über 10 000 Unterschriften für den Erhalt des Gebäudekomplexes einholen werden.
Heute, zum 43. Geburtstag des SEZ, hätte man das Ergebnis der Petition gerne an den SPD-Bausenator persönlich übergeben, sagt Carl Waßmuth vom GiB. Weil Christian Gaebler nicht erschienen ist, soll ein Fahrradkurier die Unterschriften in das Büro des SPD-Politikers liefern. Das ehemalige Freizeitzentrum abzureißen, wäre aus Sicht Waßmuths eine »grandiose Sünde«, die nächste Schleifung bedeutender DDR-Architektur: »Erst der Palast der Republik und dann das SEZ. Aber das SEZ hat keinen Asbest, Herr Senator. Diese Ausrede können Sie nicht verwenden.«
Jahrzehnte der Vernachlässigung haben dem SEZ sichtbar zugesetzt. Die einst strahlenden Farben sind verblasst, die Fensterscheiben trüb. Ein dicht plakatierter Holzzaun wurde wie ein Sichtschutz um das Gebäude errichtet. »Man denkt, das SEZ wäre kaputt«, sagt Waßmuth. »Aber das stimmt nicht.« Der Ingenieur spricht von hochwertiger Bausubstanz, die zu DDR-Zeiten im Westen bestellt worden sei, von einem geschützten Exoskelett und davon, dass die Innenräume in all dieser Zeit beheizt wurden. »Diese Tragstruktur ist top, die Fundamente sind top.« Geht es nach dem GiB, sollen das auch die Bürger*innen sehen: Der Verein fordert die Öffnung des Gebäudes für öffentliche Führungen.
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Den Sanierungsaufwand hält Waßmuth für so hoch, wie es auch bei jedem anderen Schwimmbad nach all den Jahren der Fall wäre. Zwischen 20 und 30 Millionen Euro müssten aufgewendet werden, schätzt die GiB. »Das Geld, das der Senat hier 20 Jahre nicht investiert hat, das hat er uns weggenommen«, sagt Waßmuth. Die Kosten für den Erhalt seien winzig im Vergleich zu dem, was der Senat in anderen Fällen ausgebe. Allein die landeseigene Howoge habe zuletzt verkündet, 10,7 Milliarden Euro mehr für die Schulbauoffensive ausgeben zu müssen als ursprünglich geplant.
Das GiB fordert nicht nur den Erhalt des Schwimmbades in der dicht besiedelten Gegend rund um die Verkehrsachse am SEZ: Rutschen, Eislaufen, Skaten, all das will der Verein wieder im Freizeitzentrum vereinen, zum kleinen Preis wie einst. »Es kann nicht sein, dass wir nach Oranienburg fahren müssen oder nach Brandt oder nach Potsdam«, sagt Waßmuth. »Wie demütigend ist das eigentlich?«
Gegen einen Abriss positionieren sich auch die Architects for Future, die auf eine nachhaltige Baupolitik in Berlin drängen. Die Kosten für Abriss und Neubau des SEZ schätzt die Bewegung deutlich höher ein als das, was die Sanierung vorhandener Strukturen kosten würde – ganz zu schweigen von der zusätzlichen Belastung der Umwelt. Die Architects for Future fordern den Senat auf, keine Entscheidung über den Komplex zu treffen, ohne zuvor einen offenen Wettbewerb auszuschreiben. Eine Lösung, bei der geplante Schul- und Wohnungsbauten mit dem Bestand kombiniert werden könnten, sei durchaus vorstellbar.
Ebenso sieht es der Linke-Abgeordnete Damiano Valgolio, der sich für die Rettung des SEZ stark macht. »Man kann den Wohnungsbau nicht vollkommen ausschließen«, hält er gegenüber »nd« fest. Was sich rechnerisch lohne, vom ehemaligen Freizeitangebot zu erhalten, solle auch erhalten werden. Valgolio will einen »ehrlichen Kassensturz«.
Erst vor Kurzem hat die Berliner Linke ein mehrstufiges Konzept für das weitere Vorgehen beim SEZ vorgelegt. Darin fordert sie zunächst ein Baugutachten, die erneute Inbetriebnahme des Hallenbads, der Roll- und Schlittschuhbahn und gegebenenfalls eine Erweiterung des Freibads im Außenbereich. Das Freizeitangebot soll der Senat mittels Zwischennutzungen so schnell wie möglich auf die Beine stellen. Trotz allem könnten laut Linke 200 bis 300 Wohnungen sowie die geplante Schule auf dem Gelände entstehen.
Die Bauverwaltung beruft sich auf den 2018 von der damaligen Senatorin Katrin Lompscher (Linke) aufgestellten Bebauungsplan. Dieser sieht 500 Wohnungen plus Schulneubau auf dem Gelände vor. »Stilprägende Elemente des SEZ sollen in die Gestaltung des Areals und der Neubauten einfließen«, heißt es erstmals auf Nachfrage von »nd«. Die zukünftigen Erdgeschossbereiche ließen eine flexible und unterschiedliche Nutzung zu. An dem Abriss selbst hält der Senat jedoch fest.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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