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Drohnen, die in Ruanda Leben retten
In der ruandischen Stadt Muhanga starten seit 2016 Lieferdrohnen mit Medikamenten
Zwei Zeitalter berühren sich in den Ausläufern von Muhanga, der viertgrößten Stadt Ruandas. Auf der Lehmstraße, die von der asphaltierten Piste in die Hauptstadt Kigali abzweigt, transportieren Fahrradtaxis meterlange Rohre, menschengroße Säcke mit Brennholz und sogar komplette Möbelstücke. Ein paar Meter weiter weist ein Schild auf die Einfahrt zum Gelände von Zipline hin. Das Firmengebäude, ein lang gestreckter weißer Bau mit elliptischer Dachkonstruktion, wirkt wie ein Raumschiff, das hier versehentlich Bodenkontakt aufnahm. Es handelt sich tatsächlich um einen Ort, an dem die Zukunft zu Hause ist. Denn auf der Freifläche vor dem Haus starten und landen im Minutentakt Drohnen.
»Dort rechts hinter dem gelben Gebäude fliegt gerade eine heran«, sagt Pascal Ishimwe und weist mit seinem Arm in die Richtung eines kleinen glitzernden Punktes. Der kommt schnell näher, entpuppt sich als weißer Flugkörper mit starrem roten Flügel, der von zwei Zwillingspropellern im hinteren Bereich angetrieben wird. Statt sanft zu landen, hakt sich die Drohne in einem straff gespannten Seil ein – und hängt dann in der Luft wie ein Fisch an der Angel. Die Drohne zappelt noch eine Weile am Seil, dann tritt Pascal vor und trägt das immerhin mehr als drei Meter Flügelspannweite messende Objekt wie ein großes Kind hinüber zur Basisstation.
Es handelt sich um eine zurückkehrende Drohne. Ihre Ladung hat sie per Fallschirm am Bestimmungsort abgeworfen. »Die Drohne hat etwa 200 Kilometer Reichweite. Das bedeutet, dass wir bei Einrechnung eines Sicherheitspuffers bis zu 80 Kilometer entfernte Ziele anfliegen können«, erläutert Pascal. Etwa 150 Gesundheitszentren im Westen Ruandas werden von Muhanga aus bedient. Das kann man einer Karte im Kontrollzentrum entnehmen. »Wir transportieren Medikamente und Blutkonserven. Während der Covid-19-Pandemie haben wir auch viel Impfstoffe geflogen«, erzählt Pascal. Aktuell handelt es sich eher um solche für Tiere, ergänzt er.
Aber Medikamente und Blutpräparate sind extrem wichtig, denn viele Gesundheitszentren sind im »Land der 1000 Hügel« nur umständlich auf dem Landweg zu erreichen. Eine Studie der Universität von Pennsylvania vom Mai vergangenen Jahres fand heraus, dass der Einsatz der Transportdrohnen die Lieferzeiten von mehreren Stunden über den Landweg auf – je nach Entfernung – 5 bis 51 Minuten verkürzte. Dank der schnelleren Auslieferung konnte der Lagerbestand von Blutkonserven in den Krankenhäusern um 63 Prozent reduziert werden. Dadurch ging die Anzahl der Blutkonserven mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, die vernichtet werden müssen, um 40 Prozent zurück. Die Studie stellte auch signifikant weniger Todesfälle im Krankenhaus fest. Die Drohnen retten also Leben und sorgen für eine bessere Nutzung von Ressourcen.
Neue Herausforderungen an die Kühlkette gab es während der Covid-19-Pandemie. In Zusammenarbeit mit dem Pharma-Unternehmen Pfizer rüstete Zipline das Auslieferungszentrum Muhanga mit Kühlgeräten aus. Für die Drohnen selbst wurden Behälter entwickelt, die über vier Stunden Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius bei einer Umgebungstemperatur von 43 Grad garantieren.
Insgesamt 1,75 Kilogramm Zusatzladung kann eine Drohne transportieren. Das reicht für die Thermobox und deren Inhalt. Verstaut wird die Ladung im Rumpf des Flugkörpers. Sorgfältig faltet Pascal den Papierfallschirm zusammen. Nichts soll schiefgehen, wenn sich über dem Zielpunkt die Ladeklappe öffnet.
Bei der Rückkehr kreisen die Drohnen über dem Landeplatz und warten auf Freigabe vom Steuerzentrum. Ihren Weg finden sie autonom. Sie sind mit GPS-Sensoren versehen und können eigenständig Hindernissen ausweichen. »Sie sind allerdings nicht so gut ausgestattet wie Verkehrsflugzeuge. Wir können sie auch nicht manuell steuern, aber wir können die Mission unterbrechen und das Gerät zum Ausgangspunkt zurückrufen«, erklärt Pascal.
Unterwegs sind die Drohnen auf festgelegten Routen, die der Flugüberwachung bekannt sind. Mit einer Flughöhe von etwa 120 Metern stören sie ohnehin den kommerziellen Luftverkehr nicht. Verloren gehen können die Drohnen nicht, ist Pascal überzeugt. »Für den Fall, dass wir schlechtes Wetter haben oder ein Blitz in die Drohne einschlägt, verfügt sie über einen Notfallfallschirm«, sagt er.
Pascal ist gelernter Mechaniker und stolz, auf Ruandas meistfrequentiertem Flughafen tätig zu sein. Alle paar Minuten landet hier eine Drohne oder wird auf die Abschussrampe gelegt. Ein paar Meter entfernt blinken in mehreren Reihen die Akkus, die an Ladegeräten hängen. Eine Klappe geht zum Kühllager, aus dem die jeweils angeforderten Medikamente oder Blutpräparate herausgereicht werden. »Bestellungen werden binnen drei Minuten in die Luft gebracht«, erklärt Pascal.
Ruanda ist eine Pioniernation in Sachen Drohnenverkehr. Die Fluggeräte vom Typ Sparrow wurden extra für den Betrieb hier entwickelt. Das Hauptquartier befindet sich zwar in den USA. Dort dauerte es aber bis zum Jahr 2022, um eine Fluggenehmigung zu erhalten. Praktische Erfahrungen sammelte das Unternehmen zunächst in Ruanda. Dort übernimmt es nach eigenen Angaben 75 Prozent aller Transporte von Blutkonserven außerhalb der Hauptstadt Kigali. Auf dem afrikanischen Kontinent ist Zipline noch in Ghana, Nigeria, Kenia und Côte d’Ivoire aktiv. Japan und Großbritannien gehören ebenfalls zu den Einsatzgebieten.
Abhängig ist die Firma vor allem von den jeweiligen Genehmigungsverfahren. Vor allem die Affinität einiger afrikanischer Politiker zu modernen Technologien sorgt dafür, dass in Sachen autonomer Lufttransport der Kontinent das alte Europa abgehängt hat. Allerdings sind wegen der Entfernungen und der tendenziell schlechteren Infrastruktur der Verkehrswege zu Land die Einspareffekte hier größer, der Einsatz von Drohnen daher attraktiver.
An einer zweiten Generation von Drohnen, die Pakete nicht mehr mit Fallschirmen abwerfen, sondern auf ebenen Flächen von etwa 60 Zentimetern Durchmesser landen können, arbeitet Zipline bereits. Dieses System wäre auch für innerstädtische Bereiche geeignet.
Nur auf ganz neue Technologien setzt man auch auf dem Drohnenflugplatz Muhanga nicht: An einer Wand des futuristischen Hauptgebäudes lehnt ein schweres, bunt bemaltes Fahrradtaxi ganz ohne Gangschaltung – gleich denen, mit denen außerhalb des Geländes Menschen, Möbel und Materialien transportiert werden. Mindestens ein Mitarbeiter der aktuellen Schicht kam mit diesem Gefährt zum Dienst. Ruanda ist eben ein Land der zwei Zeitalter.
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