- Berlin
- Mietenwahnsinn
Vonovia: Blechen in Baumschulenweg
Nach überhöhten Heizkostennachzahlungen organisieren sich Mieter in der Eisenbahnsiedlung
Die Mieter*innen der Eisenbahnsiedlung in Baumschulenweg können einen ersten Erfolg feiern: Am Dienstag hatte der RBB berichtet, dass Vonovia überhöhte Heizkostenabrechnungen, die Ende 2023 in den Briefkästen gelandet waren, nach unten korrigieren muss. Auf einer Mieter*innenversammlung noch am selben Abend wurde dieser Etappensieg gefeiert. Aber es soll weitergehen in der Mieter*innenorganisierung.
Man wisse ja noch gar nicht, was denn am Ende korrigiert werde, meint Karen Hölzl von der Mieter*inneninitiative »Nachbarschaft Eisenbahnsiedlung Baumschulenweg«. »Es gibt viele Punkte, die in den Abrechnungen nicht stimmen, wie etwa der Aufschlag von 20 Prozent für etwaige aufkommende Preissteigerungen«, berichtet sie den mehr als 70 Mieter*innen der Siedlung, die sich am Abend in einem Kinder-, Jugend- und Familienzentrum getroffen haben. Ihre Mitstreiterin Sandra Poller pflichtet ihr bei: »Wir haben die korrigierten Rechnungen ja noch gar nicht.«
Die Nebenkostenabrechnungen, die die Bewohner*innen der Eisenbahnsiedlung für die Abrechnungsperiode 2022/23 bekommen haben, war wie für viele Mieter*innen in Berlin ein Schock. In einem Fall in der Siedlung wurden für eine 67 Quadratmeter große Wohnung 3250 Euro gefordert. Wie der RBB berichtet, wurde beispielsweise der September 2022 – in dem die Weltmarktpreise für Gas extrem hoch waren – als Referenz für die Hälfte der gesamten Heizkosten ausgewählt.
Nach dem Schock brauchte es nur einen kleinen Anstoß, damit sich die Siedlung gegen die falschen Abrechnungen in Stellung brachte. Anfang Januar organisierte die Linke-Politikerin Katalin Gennburg eine erste Versammlung in einer Kleingartenanlage. Mit Unterstützung der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen haben die betroffenen Mieter*innen eine Initiative gegründet. Und diese macht Wind.
Nächster Schritt ist ein Protestbrief an die Vorstandsvorsitzenden von Vonovia und Deutsche Wohnen, den mehr als 300 Mieter*innen aus der Siedlung unterschrieben haben. Neben der Forderung, überhöhte Nachforderungen zurückzunehmen und nur tatsächlich entstandene Kosten abzurechnen, hat die Initiative die Vorstandsvorsitzenden zu einem Gespräch eingeladen. Der zu der Versammlung am Dienstagabend eingeladene Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) hatte seine Teilnahme bereits abgesagt.
Seit der Gründung haben sich Arbeitsgruppen gebildet. Im Laufe der Beschäftigung mit den Nebenkostenabrechnungen sind die organisierten Mieter*innen auf ein bekanntes Problem gestoßen: Undurchsichtige Berechnungen. »Sie sind schwer zu verstehen und für Laien eigentlich überhaupt nicht zu beurteilen«, meint Karen Hölzl, die in der Zahlen-AG der Initiative ist, im Gespräch mit »nd«. Man könne sich zwar schnell schlau machen, aber man müsse sich wirklich bemühen. Hölzl meint, dass das viele abschrecke: »Leute, die nicht zahlenaffin sind, haben keine Chance. Die bekommen, denke ich, einfach nur Angst und denken, das wird schon seine Richtigkeit haben.«
Hölzl hat sich mit Unterstützung in die Materie eingearbeitet und offensichtliche Fehler in den Abrechnungen gefunden. Es sind aber die nicht offensichtlichen Dinge, die das Ganze schwieriger werden lassen. »Vor allem das Konstrukt zu verstehen, dass wir als Mieter gar nicht Kunde des Gaslieferanten sind, sondern der Vermieter das Gas einkauft«, meint Hölzl. Wenn man eine Gasetagenheizung hat und der Gasanbieter zu teuer ist, kann man einfach den Anbieter wechseln. Mit den Heizeinheiten für mehrere Aufgänge in der Eisenbahnsiedlung geht das für die Mieter*innen dort nicht: »Wir sind abhängig davon, dass unser Vermieter den günstigen Preis für uns einkauft.«
Um die Preiskalkulation des Wärmelieferanten G+D, der zu 49 Prozent Vonovia gehört, zu verstehen und so auch alle notwendigen Belege ihrer Nebenkostenabrechnung nachvollziehen zu können, hat Sandra Poller den Wärmelieferungsvertrag angefordert. »Es kam ein nettes Antwortschreiben, dass sie dem nicht nachkommen werden und festgestellt hätten, dass eine Mietforderung von 961 Euro offen sei.« Auf telefonische Nachfrage konnte man ihr diese Mietschulden, die sie vorher noch nie hatte, nicht erklären, erzählt Poller weiter.
Die Mieter*inneninitiative lässt sich weder von nicht nachvollziehbaren Abrechnungen noch von anderen Vermieterschreiben davon abbringen, sich untereinander zu vernetzen. »Wir versuchen, alle im Kiez mitzunehmen«, meint Poller. Es gebe ja auch Leute, die keinen Internetzugang hätten oder mobilitätseingeschränkt seien und deswegen nicht zu Versammlungen kommen könnten. »Wir haben jedes Haus abgeklappert und wir merken, es ist ein Interesse da. Man lernt sich ganz anders im Kiez kennen. Wir haben das Gefühl, es kämpft nicht jeder für sich, sondern wir kämpfen zusammen für jeden Einzelnen«, beschreibt Poller die Stimmung.
Auch mit anderen Initiativen läuft die Vernetzung an. Auf der Versammlung selbst hält eine Vertreterin einer Initiative aus Mariendorf-Ost eine flammende Rede. Auch dort kämpfen die Mieter*innen gegen überhöhte Nebenkostenabrechnungen. Die Notwendigkeit der Vernetzung ist für Hölzl klar: »Wenn die Mieter eine Kraft werden wollen, dann muss sich das bündeln und zwar deutschlandweit.« Ein erster Schritt wurde schon gemacht: Hölzl und Poller waren beide auf der Konferenz Vonovia & CO VERstehen & WIDERstehen. »Das hat uns total viel Mut gemacht, weil wir erfahren haben, wir sind nicht die Einzigen«, erzählt Poller. Hölzl will noch viel mehr: »Meine Utopie wäre, dass es in jeder Nachbarschaft einen Ort gibt, der Anlaufpunkt von den Mietern ist. Damit diese Isolation der Menschen in der Großstadt aufgebrochen wird. Weil, wer sich kennt, der hilft sich.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.