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Vater oder Sohn – wer hat mehr Schiss?

Identitätsprobleme im Plattenbau: »18 Kilometer bis Ljubljana« von Goran Vojnović

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 5 Min.
Sportereignisse, wie hier das Spiel Slowenien gegen Serbien bei der Basketball-EM 2017, entfachen stets nationale Gefühle – besser, als gegeneinander Krieg führen.
Sportereignisse, wie hier das Spiel Slowenien gegen Serbien bei der Basketball-EM 2017, entfachen stets nationale Gefühle – besser, als gegeneinander Krieg führen.

Er ist zurück: Marko Đorđić ist wieder bei seinen Eltern in Fužine, dem Plattenbauviertel in Ljubljana, wo vor allem die Arbeiter aus den anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken leben. Marko, der Ich-Erzähler, war weg – zehn Jahre lang. Seine Eltern hatten ihn zur Verwandtschaft nach Bosnien geschickt, weil er in Slowenien als »Tschefur« aneckte und außer Scheiße zu bauen, nichts auf die Reihe bekam; der Weg in den Knast war vorgezeichnet.

Nun ist er zurück bei den »Skifahrern«, geflohen aus Bosnien, wo er einen Mafioso mit besten Verbindungen in die Politik gehörnt hatte. Und auch sonst war das Land der Eltern nicht gerade der Ort, um sein Leben zu überdenken. Doch etwas entdeckte Marko im bosnischen Visoko: Er verliebte sich in Alma. Sie, eine muslimische Bosnierin, er, der serbisch-bosnische Gastarbeitersohn aus Fužine. Das konnte nicht gutgehen. Seine Familie wollte nicht, schickte ihn weg aus Visoko in das nächste Städtchen. Und dann war Marko selbst auch nicht in der Lage, Alma seine Liebe zu zeigen. Als er dann noch ihren Vorschlag, gemeinsam ins Ausland zu gehen, unbeantwortet ließ, war es vorbei.

Bosnien war im Vorgängerroman »Tschefuren raus!« noch Sehnsuchtsort. Nun lautet das Urteil, Bosnien sei gar kein Land, »sondern ein Gebiet, auf dem unglücklicherweise Menschen leben. Nicht einmal leben, sondern nur da sind«. Offen bleibt die Frage nach Heimat trotzdem und damit verbunden die nach der eigenen Identität. Manchmal ist das etwas Körperliches, und so platziert Vojnović die Handlung in der Zeit der Basketball-EM 2017. »Wer nicht springt, ist kein Slowene« wird so zum Ausdruck für Zugehörigkeit, aber auch zur Provokation gegenüber den serbischen Freunden in Bosnien.

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Noch komplizierter ist es mit den scheinbar festgefügten ethnischen Zuordnungen in der Fremde. Das wird beim Blick auf Markos Freunde deutlich. Dejan, der früher der größte Serbe von allen sein wollte, lebt mittlerweile in einem verschlafenen slowenischen Provinzstädten. Äußerlich und innerlich hat er sich derartig assimiliert, dass sich seine alten Freunde nur noch über ihn lustig machen können. Dabei ist deren Schicksal nicht weniger tragisch: Aco sitzt mehr im Knast, als dass er in Freiheit ist. Und Adi lebt mit seinem mittlerweile tief religiösen Bruder und dessen komplett verschleierter Frau zusammen, wobei ihn mehr als zuvor die Drogen unter Kontrolle haben.

Nun also wieder Fužine. Das Viertel hatte sich seit dem Weggang Markos verändert. Mehr Slowenen sind hergezogen, die Tschefuren ohne Geld mussten ihnen weichen. Gentrifizierung könnte man es nennen. Familie Đorđić hat mit noch bedrohlicheren Problemen zu kämpfen. Vater Radovan – gewitzt, wenn er mal redet – hat einen Tumor. Das möchte sich der Patriarch nicht eingestehen. Das macht es für Mutter Ranka nicht leicht, sodass sie in Selbstmitleid versinkt.

Marko kann dies alles nur schwer ertragen – wie er eigentlich alles recht schwer ertragen kann. Etwa, wenn er Radovan ins Krankenhaus zur Operation bringen will, doch dieser vor ihm das Haus verlässt. Beide Männer irren durch die Gänge der Onkologie voller Angst, wie der Eingriff ausgehen wird. Dabei erinnert sich Marko daran, wie sein Vater ihn in Bosnien besuchte, um ihn die Beziehung mit Alma auszureden. Dabei ging es auch darum, dass ein Serbe nicht mit der Tochter eines Muslims zusammen sein kann, der vermutlich die orthodoxe Kirche des Ortes niedergebrannt hatte.

Der Vater will weiterhin das Sagen haben, doch eigentlich ist er auch voller Angst vor dem eigenen Leben. Der nicht eingestandene Tumor ist Symbol einer Männlichkeit, die nichts Gutes verspricht und keine Antworten für die Zukunft hat: »Zwei Hosenscheißer, das sind Radovan und ich. Nur weiß keiner, welcher der größere ist.« Diese Sätze wurden von Klaus Detlef Olof ins Deutsche übertragen. Er gehört zu einem der profiliertesten Übersetzer der jugoslawischen Sprachen, der bisher auch die anderen Werke Vojnović’ im Folio Verlag zugänglich gemacht hat, nicht zuletzt auch durch die einordnenden Anmerkungen zur slowenischen Politik und Gesellschaft. Für die Übertragung von »18 Kilometer bis Ljubljana« aus dem Slowenischen wurde Olof zu Recht für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung nominiert.

War es in »Tschefuren raus!«, das Debüt und gleich auch der Durchbruch von Goran Vojnović in Slowenien, noch sehr direkt und auf die Fresse, ist die Sprache nun besonnener geworden. Nicht, dass die Aggressionen weg wären, aber da gibt es nun auch eine Reflexionsebene. Außerdem haben sich die Umstände geändert. In Slowenien hat das Feindbild »Tschefur« an Strahlkraft verloren, andere Gruppen wie Geflüchtete müssten inzwischen für die Mehrheit zur Selbstvergewisserung herhalten. Marko Đorđić ist nicht nur älter geworden, er hat ein paar Tücken des Lebens mitgenommen – Erfahrungen gesammelt, könnte man sagen. Doch er bleibt auf der Suche und emotional verschlossen, wenn es darum geht, mit seinen Mitmenschen in Kommunikation zu treten. Lieber schweigt er – die Frauen, die was von ihm wollen, nennen es eher Feigheit. Mit ihm hat Goran Vojnović eine Figur geschaffen, die eine Generation porträtiert und das Potenzial für eine ganze Romanreihe hat.

Goran Vojnović: 18 Kilometer bis Ljubljana. A. d. Slow. v. Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, 319 S., geb., 26 €.

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