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KPÖ in Graz: Kommunalpolitik ist auch Sozialarbeit
Aktivitäten in Sachen Gesundheit und Wohnungen machen die KPÖ in Österreichs zweitgrößter Stadt für viele wählbar
»Das sind alles Lügen. Die Politiker machen nicht, was sie versprechen«, urteilt Johann, ein magerer Mann Ende Vierzig. Er ist auf dem Weg in den Volksgarten, einem Park zwischen den Grazer Bezirken Lend und Gries, in denen die KPÖ bei den Gemeinderatswahlen 2021 die meisten Stimmen gewonnen hatte. »Eigentlich will ich mir was zu rauchen holen«, sagt Johann beiläufig. Ihm fehlen die Zähne, er läuft unsicher. Wenn er stehen bleibt, muss er seine Knie beugen, um sich selbst tragen zu können.
Graz ist die Hauptstadt des Bundeslandes Steiermark und mit knapp 300 000 Einwohner*innen die zweitgrößte Stadt Österreichs. Der von einer Polizeiinspektion flankierte Volksgarten ist Drogenumschlagplatz, auch Sexarbeiter*innen halten sich hier auf. Johann berichtet, dass er in der Stadt für die KPÖ stimme, bei den Nationalratswahlen aber nicht wählen gehe. »Es braucht mehr Menschen wie Elke Kahr in der Politik«, findet er. Er beschreibt die Bürgermeisterin als vertrauenswürdige und bodenständige Frau, die auf die Menschen zugehe. Er habe auch schon mal mit ihr geredet und fühle sich respektiert.
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Keine fünf Minuten vom Volksgarten entfernt liegt die Annenstraße, ehemals eine Prunkstraße. Hier gibt es mittlerweile vor allem Gemüsehändler, 24/7-Läden, Dönerbuden und Leerstand. Stefanie, die hier in einem Kiosk arbeitet, erzählt: »Viele Leute haben gesundheitliche Probleme, die meisten gehen aber ungern zu Untersuchungen, weil sie nicht ernst genommen werden und lange Wartezeiten haben.« Viele der Menschen in Gries und Lend sind in mehrfacher Hinsicht benachteiligt: Armut, rassistische Diskriminierung, aber auch nach sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
Gegenüber einer Queer-Bar liegt die Gesundheitsdrehscheibe, eine im September 2023 eröffnete sozialmedizinische Versorgungsstelle, die KPÖ-Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer nach einem Hamburger Vorbild eingerichtet hat. »Menschen, die Ausgrenzung erfahren, sind bedrohter von Krankheiten. Armut beeinflusst die Gesundheit negativ«, erklärt Christoph Pammer, Leiter der Gesundheitsdrehscheibe. In der zehnköpfigen Praxis arbeiten Sozialarbeiter*innen und medizinisches Personal gemeinsam. Durch Positionierung in zwei der ärmeren Bezirke habe man wohnortnahe, soziale Einrichtungen zur Verfügung stellen wollen, »wo die Leute sind, die einen höheren Bedarf haben«, erklärt Pammer. Es geht auch um niederschwellige Beratungsangebote und Tipps für den Umgang mit Behörden und Krankenhäusern. Menschen, die keine Krankenversicherung haben oder anonym bleiben wollen, können in der Gesundheitsdrehscheibe ebenfalls Hilfe in Anspruch nehmen. »Gesundheitliche Ungleichheit muss durch Medizin abgebaut werden«, findet Pammer. Hierfür brauche es mehr als nur fachliche Kompetenzen. Die Tätigkeit der Gesundheitsdrehscheibe rage über das Praxisbüro in der Annenstraße hinaus: »Wir müssen uns ins soziale Netz einarbeiten, Teil des Ortes sein.«
Das Rathaus in Graz ist ein historistisches Gebäude, Fassadenschmuck und Ecktürmchen symbolisieren bürgerliche Herrschaft. Durch das geräumige Treppenhaus gelangt man in die Büros der Kommunist*innen. Der Erfolg der KPÖ wird in Graz wie zuletzt auch in Salzburg mit dem Wohnungsthema in Verbindung gesetzt. In Graz können alle Menschen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung und ohne bürokratische Erfassung, beim Mieternotruf der KPÖ Mietrechtsauskünfte einholen. 1998 hatte die KPÖ mit Ernest Kaltenegger zum ersten Mal das Wohnressort übernommen, und schon 2005 war Elke Kahr das erste Mal Wohnungsstadträtin, ein Posten, den sie auch als Bürgermeisterin der Stadt jetzt innehat.
Wenn Menschen eine Gemeindewohnung benötigen oder von einer Delogierung (Räumung) bedroht sind und Hilfe brauchen, dann kommen sie mit Kahrs Mitarbeiter*innen in Kontakt. Zehn der fünfzehn Stellen im Bürgermeister*innenamt hat sie mit Frauen besetzt, eine davon ist die Wohnungsreferentin Eveline Würger. Die KPÖ habe erreicht, dass die Miete einer Gemeindewohnung maximal das Drittel des Gehalts der Mieter*innen ausmachen darf, erklärt sie. Wenn die Miete dieses Drittel übersteigt, setzt eine Mietzinszuzahlung ein, die die Stadt auszahlt. »Wir schauen, dass Geld da ist, damit wir solche Projekte finanzieren können. Dann passiert eben anderes nicht, keine neue Oper, keine Prestigeprojekte«, sagt Würger.
Auch Gesundheitsstadtrat Krotzer berichtet: »Unter der KPÖ haben wir die Repräsentationsausgaben der Stadt runtergefahren. Nicht immer große Buffets, teures Essen für Gäste. Auch die Dienstwägen und Chauffeure wurden reduziert.« Krotzer fragt: »Wer ist im Fokus meiner Stadtpolitik?«
Als die FPÖ von 2017 bis 2021 das Wohnungsressort leitete, »kaufte sie ein einziges Grundstück«, berichtet Würger. Die KPÖ hingegen mache den Erwerb von Grundstücken zum festen Bestandteil ihrer Politik. So hat sie im Flächenwidmungsplan für eintausend neue Wohnungen Vorbehaltsflächen gesetzt. Das heißt: Wenn ein Privater ein Grundstück verkaufen will, muss er dieses zuerst der Stadt anbieten.
Während des Interviews mit Würger kommt die Bürgermeisterin ins Büro, ein kurzes »Hallo«, dann bespricht sie sich mit einer Mitarbeiterin. Als die Frage nach der Zahl der gebauten Kommunalwohnungen fällt, weckt das Kahrs Interesse: »Ich hab die genauen Zahlen kürzlich erst nachgesehen.« Spontan setzt sie sich dazu. »Zwischen 2008 und 2017 war die KPÖ für das Wohnungsressort zuständig. In diesem Zeitraum haben wir 1149 neue Gemeindewohnungen gebaut«, antwortet sie und lächelt: »Das ist der Verdienst der Kommunisten in Graz!« Zum Vergleich: Mitte der 90er bis 2008 habe die Stadt nur ein Grundstück bebaut. »In Graz wurde jahrzehntelang eine Wohnpolitik für die Haus- und Grundherren gemacht. Kein Wunder, dass es keine mieterfreundliche Wohnpolitik gibt«, spricht die Bürgermeisterin mit rauchiger Stimme. Kontinuität sei wichtig: »Wenn du nicht in jeder Gemeinderatsperiode neue Wohnungen errichtest, wirst du irgendwann einmal einen Rückstau haben an Leuten, die eine Gemeindewohnung brauchen.«
Für die laufende Amtsperiode hat sich die KPÖ das Ziel gesetzt, 500 neue Gemeindewohnungen zu errichten. »300 davon haben wir schon erreicht«, sagt Würger. Eine wichtige Stütze ist die Einrichtung eines Fonds, der Mieter*innen bei Kautionszahlungen mit bis zu 1000 Euro unterstützt. Dieses Geld müssen sie erst mit Beendigung des Mietverhältnisses an die Stadt zurückzahlen.
Ihre Sprechstunden führt die Bürgermeisterin meist im Volkshaus, dem Parteizentrum der Grazer KPÖ. Dieses Mittel der Politik, das in Österreich Parteienverkehr genannt wird, dient dazu, mit der Bevölkerung und ihren Problemen im Austausch zu bleiben. Die KPÖ nutzt den Parteienverkehr auch als Raum für konkrete Hilfe. Der Chefredakteur einer Boulevardzeitung wirft Kahr vor, die »oberste Sozialarbeiterin« der Stadt Graz zu sein.
Auch wenn es diesem Mann, der Kahr auch für ihre schlichte Kleidung kritisiert, vor allem um Diskreditierung geht, erkennt er etwas Wahres: Die Kommunalpolitik der KPÖ trägt Züge sozialer Arbeit, allerdings nicht als karitative Instanz, sondern als kommunale Ressource und in fortwährendem Austausch mit der Bevölkerung. Genau wie Sozialarbeiter Pammer sich ins soziale Netz der Annenstraße einarbeiten muss, findet die KPÖ über unbürokratische Hilfe ihren Weg in die unteren Einkommensschichten: Sie ist Teil des Alltags im Leben von Bezirken wie Gries und Lend.
Und die KPÖ-Mandatsträger*innen geben den Großteil ihres Gehaltes ab: »Der Geldtopf, der durch unsere Gehaltsobergrenzen entsteht, ist kommunal wirksam. Die Gespräche sind nicht nur für finanzielle Unterstützung, sondern haben auch eine vermittelnde Funktion. Natürlich wollen wir die Leute auch mobilisieren«, sagt Krotzer, »aber einem Mann, der gerade aufgrund eines Mietrückstands seine Wohnung verlieren könnte, bringt es im Moment wenig, über das sozialistische Fernziel zu diskutieren. Erst muss man konkret unterstützen.« Parteisekretär Max Zirngast erklärt, dass ihre Politik nicht im luftleeren Raum stattfinde und sich die europäische Linke in der Defensive befinde. Auf einen Satz Adornos Bezug nehmend, sagt er, dass man nicht Politik machen könne, als stünden die Arbeiterbataillone schon bereit: »Wie willst du mit Leuten über große politische Ziele reden, wenn sie auf einer grundlegenden Ebene kein Vertrauen zu dir haben?« Um dieses zu gewinnen, müsse man viel zuhören, auf die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen eingehen: »Natürlich ist das auch Sozialarbeit, Beziehungsarbeit.«
Für Norma Rieder, Leiterin der Pflegedrehscheibe – einer weiteren Neuerung –, sind die kommunalpolitischen Erfolge der KPÖ kein Wunder: »Sie sind halt bei den Menschen«, sagt sie. »Wenn wir einen Stand haben, um Menschen über unsere Pflegeangebote zu informieren, dann ist Robert Krotzer auch da.« Mit der KPÖ könnten sie auf Augenhöhe kommunizieren.
Wer die Wahlergebnisse der KPÖ in Salzburg und Graz auf das Charisma ihrer Führungspersonen reduziert, hat den Erfolg dieser Partei nicht begriffen. Als Kahr in Graz die Führung der KPÖ von Ernest Kaltenegger übernahm, gab es Stimmen von Unverständnis: »Wieso geht der denn? Der ist doch das Zugpferd gewesen. Wer ist diese Kahr überhaupt?«, erinnert sich ein Grazer.
Es sind nicht Ausnahmemenschen, die die KPÖ stark machen, sondern eine Schule der politischen Charakterbildung, die Politiker*innen hervorbringt, die die Menschen verstehen können, weil sie sich jede Woche stundenlang mit ihren Problemen auseinandersetzen. Die Begrenzung der Gehälter sorgt für die Anbindung der Politiker*innen an die ökonomische Klasse, deren Interesse sie verteidigen sollen. Zirngast sagt: »Es gab viele, die hierhergekommen sind und nach einer Zauberformel gesucht haben, irgendwas, dass wir anders machen, aber so was finden sie nicht. Es geht um das Ganze, was wir hier tun. Das muss man verstehen.«
Im Volksgarten blickt Johann auf den Kanal, dessen sonst trübes Wasser im kalten Morgenlicht dunkelblau leuchtet. Wie kann man eine Politik wie die der KPÖ andernorts reproduzieren? Johann muss für seine Antwort nicht lange nachdenken: »Indem man den Leuten hilft. Weil es um sie geht und nicht, weil man Wählerstimmen gewinnen will. Das würden die Leute merken und fänden es nicht gut.«
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