Peter Sodann: Der Trotzist

Zum Tod des Schauspielers Peter Sodann

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Dieser Kommissar hieß Bruno – Ehrlicher. Als führe Ehrlichkeit zum guten Ziel. Der geradezu partisanische Name war kein sehr feinsinniger Witz, eher ein richtig grobes Ding. Das passte zu Peter Sodann. Der achtete in jeder seiner Regungen auf einen gewissen Anteil von Grobheit. Weil er danach suchte, deutlich zu sein. Er hätte, gefragt nach seinen Universitäten, wahrscheinlich unumwunden geantwortet: die Niederungen. Wo der Schmutz unter die Fingernägel kriecht – man nennt das auch Arbeit. Sodanns Arbeit an der eigenen Aura: noch beim Siegen die Strahlung des Geringen wahren, des Stutzigen, des Ungelenken.

Ehrlicher war der erste ostdeutsche »Tatort«-Kommissar nach der Wende: sächsisch nicht als Dialekt, sondern als Haltung. Der Mann kam nicht aus dem Heldentum, sondern aus der Nachbarschaft. Einkaufstüten waren ihm näher als die Pistolentasche. Raffiniert begriffsholzig wie ein Provinz-Columbo, raffiniert einfältig wie ein Schwejk, klug wie tückisch einen falschen Verdacht schürend: Er sei womöglich nur ein altbackener Simplicius Simplicissimus des Beamtentums.

In Halle hat Intendant Sodann, über 20 Jahre lang, mit Kraft, List, Ausdauer, Fantasie und vielen treuen Mitstreitern aus einem alten Kino eine Kulturinsel geformt, die überregional für Schlagzeilen sorgte. Weil dieser Kulturort in Sachsen-Anhalt so entschieden örtlich blieb, so bodenständig, hallensisch sozusagen. Ohne jede fremdgesteuerte Angleichung an aktuelle medienpolitische Trendbörsen.

Dies »neue theater« war Zentrum einer Kultur aus Bildung, Unterhaltung und Kneipe. Dazu ein Puppentheater, eine Galerie, eine Bibliothek. Sagte Shakespeares Lear von sich, an ihm sei jeder Zoll ein König, so war bei Sodann jeder Zoll ein Schlitzohr. Kumpel auf dem Kaiserthron. Für diesen Eindruck tat er viel. Schlurfte, ging zu den Stammtischen, als sei der Weg dahin ganz roter Teppich. Vielleicht nicht Teppich, jedoch rot.

Ein gebürtiger Meißener, aber fern allem Porzellan. Er hinterließ lieber Scherben, als nur immer einer glatten, bruchlosen Schaufensterglanzgesinnung zu folgen. Sein Vater war Stanzer, blieb in Hitlers Krieg, die Mutter Landarbeiterin – solche Leute hatten triftigen Grund, nach der Ruinenzeit einen Staat zu preisen, der Arbeitermacht danach bemaß, was ein Arbeiter aus sich machte. Und ein Arbeiter vom Schlage Sodann hatte dann das Richtige aus sich gemacht, indem er nicht alles mit sich machen ließ. Er gehörte einer Generation an, mit der, wenn sie ausstirbt, auch der Begriff ABF ausgestorben sein wird: Arbeiter-und-Bauern-Fakultät.

1961 sperrte ihn der Staat weg, wegen Mitgliedschaft im Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter«. Sechs Monate Einzelhaft. Der zähe Kerl ließ sich trotz der Schikanen nicht zum Feind machen (da konnten sich Staat und Stasi, das eine verknotet im anderen, noch so anstrengen). Seltsame Fügungen: Im Fernsehen stellte der einst Verfolgte später ausgerechnet den General Mielke dar, im »Deutschlandspiel«, und einen weiteren Offizier der Staatssicherheit, in »Nikolaikirche« von Frank Beyer und Erich Loest.

Nach aufgezwungener Dreher-Arbeit im VEB Starkstromanlagenbau Leipzig durfte Sodann sein Schauspielstudium fortsetzen, er spielte am Berliner Ensemble (Krach mit der Weigel), in Erfurt, in Karl-Marx-Stadt, wurde Schauspieldirektor in Magdeburg. Dann Halle. Die SED hat er verflucht, aber einem der vielen Stasi-Spitzel, die auf ihn angesetzt waren, hat er später die Grabrede gehalten. Er nannte sich einen betenden Kommunisten und hängte im Hallenser Theater-Café Jesus, Lenin und Einstein auf – seine utopische Dreifaltigkeit. Den Herbst 1989 nannte er nicht Revolution, sondern: »Gefängnisaufstand« – ein Volk jagte seine Wärter davon.

Er hatte als Intendant Spaß am störrischen Behaupten eines Ensembles von Jung und Alt, und auch daran, etwa den BE-Regisseur Manfred Wekwerth bei sich inszenieren zu lassen – dies just in jenem Moment, da sich dem Ex-ZK-Mitglied und Akademiepräsidenten die großen Theater politisch korrekt verweigerten. Als Komödianten-Chef vereinte Sodann den Zirkusdirektor mit dem Pastor, er war Vorsteher und Hausmeister, Familienhüter und Weltenkönig. Ein sozialistischer Prinzipal Striese, Peter, der Große: Zar dort, wo er auch Zimmermann sein durfte. Nach dem Ende der DDR Organisator beliebter (kämpferischer!) 1.-Mai-Umzüge, auf der Bühne dickköpfig und unverblümt daran glaubend, dass man Büchner und Millowitsch, Schiller und Ohnsorg verbinden könne. Er konnte.

Des Intendanten Credo: »Bei mir wird auf dem Flügel nicht gevögelt.« Theater spielte und inszenierte er knorrig, volksnah, unverschnörkelt. Wirkte so auch in Filmen von Lothar Warneke (»Addio, piccola mia«), Roland Gräf (»Der Tangospieler«), Bernhard Wicki (»Sansibar oder Der letzte Grund«). Unvergesslich sein alter Genosse in Andreas Dresens »Gundermann«. Sodann gibt im Film einen SED-Genossen, gestählt in Klassenkämpfen, jetzt ein Strickjacken-Opa, der sehr viel Verständnis für den jungen rebellischen Baggerführer aufbringt – nein: scheinbar nur, denn das so zugewandte Gesicht erweist sich als inquisitorische Maske eines eisig Abrechnenden. Vertrauen als Folterinstrument. Da maßt sich ein Veteran das Aburteil an, also: die Entfernung eines jungen Unbotmäßigen aus der Partei. Ein alter kalter Gott, der aber ganz warm lächelt. Ein Lauern auf Samtpfoten. Das Leder der ideologischen Härtung taugt noch immer zur Peitsche. Grandios abstoßend, herzschnürend.

Sodann war ein Spieler ganz aus Hintergründen heraus, er blendete nicht mit Präsenz, aber er leuchtete doch aus, listig, mit Vorliebe für Lädierte und Gezeichnete. Proletkult ganz auf der Höhe des Romantischen. Und: Er wusste, wie man ein Problem am sinnfälligsten löst. Ganz einfach: Man wendet sich flugs einem anderen Problem zu. Sodann war nämlich eines Tages nicht mehr Prinzipal der Theaterinsel in Halle, eines weiteren Tages nicht mehr TV-Kommissar, und Bundespräsident wurde der Linkskandidat 2009 auch nicht. Also wechselte er das Aufmerksamkeitsfeld: Er konzentrierte sich mit gehöriger Leidenschaft auf seine DDR-Bibliothek. In Staucha (Landkreis Meißen) gedieh sie gewaltig, im ausgebauten Heuboden des Kuhstalls und in der Scheune eines ehemaligen Ritterguts. Wuchs und wuchs. Der Bestand umfasst mehrere Millionen Exemplare. Die Bibliothek lebt: Sie sprengt Räume. Ein beglückendes Problem.

Freunde sagten, dieser kantige Kerl sei ein Fossil. Das ist heiter benannte Traurigkeit: Wahre Clowns sind immer von gestern, weil ihre Unbeholfenheit unpassend bleibt; das Ungeschmeidige stört. Sodann hat nie aufgehört mit ganz einfachen, aber sturen Gedanken. Etwa über die ungerechte Verteilung von Reichtum, Arbeit, Macht. Er blieb Plebejer, Diderot und Brecht im Munde führend. Die plebejische Art als intelligente Ausnutzung des Vorurteils, es fehle dem Plebejertum vor allem an Intelligenz. Plebejertum ist Souveränität von unten auf, gerichtet gegen alles, was von oben herab Herrschaft versucht. In diesem Sinne war Sodann nie Trotzkist, ein Trotzist ist er geblieben. Erdig, ostig, wetterfest, unaufwendig, schlipsfremd, handwerklich, trittfest, robust. Nicht sehr weltläufig – aber der wahre Überblick wächst aus dem Bewusstsein, dass es der feine Riss ist, der jeden Mauerbeton sprengt. Nun ist Peter Sodann im Alter von 87 Jahren gestorben.

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