• Politik
  • Internationaler Gerichtshof

Beihilfe zum Völkermord: Nicaragua klagt Deutschland an

In Den Haag wird gegen Deutschland der Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord verhandelt

Unter Anklage: Deutschlands juristisches Team sieht sich in Den Haag dem Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord ausgesetzt. Angeführt wird das Team don Tania von Uslar-Gleichen.
Unter Anklage: Deutschlands juristisches Team sieht sich in Den Haag dem Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord ausgesetzt. Angeführt wird das Team don Tania von Uslar-Gleichen.

Am Montag hatte Nicaragua das Wort, am Dienstag hatte es Deutschland. »Wir werden unsere Rechtsauffassung am morgigen Dienstag vor dem IGH darlegen«, erklärte das Auswärtige Amt am Montag im Onlinedienst X. »Unser Völkerrechtsteam wird zu erwartenden Anschuldigungen dann morgen Vorwurf für Vorwurf im Detail widerlegen.« 

Die Vorwürfe von Nicaraga, die in der zweitägigen Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verhandelt werden, haben es in sich: »Durch die Lieferung von militärischer Ausrüstung und die Streichung der Mittel für das UNRWA (…) leistet Deutschland Beihilfe zum Völkermord«, heißt es in dem 43-seitigen Schriftsatz an den IGH. Bis zu einer endgültigen Entscheidung des Den Haager Gerichts fordert das zentralamerikanische Land die Verhängung von fünf Sofortmaßnahmen, darunter den Stopp von Waffenlieferungen und anderer Unterstützung durch Berlin an Israel und die Aufhebung des Zahlungsstopps an die UNRWA. 

»Die internationale Gemeinschaft hatte generell Verständnis dafür, dass Israel reagieren und seine Bürger beschützen musste«, so schreibt die Republik Nicaragua in ihrem Antrag an den IGH. »Man konnte verstehen, dass Staaten wie Deutschland, die mit Israel befreundet sind, eine angemessene Reaktion auf diese Attacke unterstützen würden; aber dies kann keine Ausrede für Verstöße gegen das Völkerrecht sein.«

Israels Kriegsführung steht zunehmend in der Kritik

Deutschland hatte im Januar seine Zahlungen an das UNRWA ausgesetzt. Grund waren Vorwürfe gegen das UNRWA, zwölf seiner Mitarbeiter seien in den beispiellosen Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober verstrickt gewesen, bei dem rund 1140 Menschen starben und mehr als 250 Geiseln genommen wurden. Seitdem führt Israel Krieg gegen die Terrororganisation im Gazatreifen. Israels Kriegsführung steht international zunehmend in der Kritik. Mehr als 30 000 Palästinenser wurden seit Kriegsbeginn getötet – darunter wohl mehr als 20 000 Frauen und Kinder. Die Angaben stammen vom Hamas-geführten Gesundheitsministerium in Gaza, werden international aber als glaubwürdig eingeschätzt.

Am ersten Verhandlungstag hat Nicaragua den Internationalen Gerichtshof (IGH) dazu aufgefordert, einen Stopp deutscher Waffenlieferungen an Israel anzuordnen. »Es ist äußerst dringend, dass Deutschland diese Hilfe endlich aussetzt«, sagte der Nicaragua vertretende Anwalt Alain Pellet am Montag zum Auftakt der zweitägigen Anhörung. Erst vergangenen Freitag hatte der Uno-Menschenrechtsrat in einer Resolution verlangt, wegen der »möglichen Gefahr eines Völkermords im Gazastreifen« jegliche Waffenlieferungen nach Israel einzustellen. Ein Exportstopp wurde zuvor bereits vom IGH angemahnt. Kanada hat als prominenter ehemaliger Unterstützer Israels bereits seine Waffenlieferungen eingestellt, die USA und Frankreich haben zuletzt ihre Kritik am israelischen Vorgehen deutlich verschärft.

Sevim Dağdelen vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) weilt als parlamentarische Prozessbeobachterin des Bundestages bei den Anhörungen in Den Haag. »Die Bundesregierung hat 2023 für 47 Prozent aller Waffenexporte nach Israel verantwortlich gezeichnet. Bei den Genehmigungen gibt es eine Verzehnfachung gegenüber 2022 auf über 320 Millionen Euro. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in Gaza ist die Verweigerung eines Waffenexportstopps durch die Ampel schlicht verantwortungslos«, sagte die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe gegenüber »nd«. Es läge nahe, dass die Bundesregierung durch die Waffenexporte zumindest Beihilfe zu den Verletzungen der Genfer Konventionen leistet.

Humanitäre Hilfe und Waffen im Doppelpack

Harte Kritik übte auch der deutsche Anwalt Daniel Müller, der unter anderem Nicaragua in dem Verfahren vertritt. »Es ist eine wirklich erbärmliche Ausrede für die palästinensischen Kinder, Frauen und Männer, einerseits humanitäre Hilfe zu leisten, insbesondere durch Abwürfe aus der Luft, und andererseits die militärische Ausrüstung zu liefern, die verwendet wird, um sie zu töten und zu vernichten.«

Der IGH wurde eingerichtet, um über zwischenstaatliche Streitigkeiten zu entscheiden. Obwohl seine Urteile rechtlich bindend sind, hat er kaum Möglichkeiten, sie durchzusetzen. Im Dezember hatte Südafrika vor dem IGH gegen Israel den Vorwurf eines Völkermords im Gazastreifen erhoben. Das Gericht wies Israel Ende Januar in einer vorläufigen Entscheidung an, bei seinem Militäreinsatz im Gazastreifen alles zu tun, um einen Völkermord zu verhindern, die palästinensische Bevölkerung zu schützen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Ein weiterer Eilantrag Südafrikas gegen Israel wegen seiner bevorstehenden Militäroffensive in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen wurde zurückgewiesen. Mit Agenturen

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -