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- Mietenwahnsinn in Berlin
Möbliertes Wohnen auf dem Vormarsch
Senat hält gewerbliche Angebote für Ergänzung des regulären Mietangebots
Wer in Berlin auf Wohnungssuche ist, stößt über kurz oder lang auf solche Angebote: Beim Anbieter Coliving.com kann man für 995 bis 1400 Euro pro Monat ein Zimmer in einem »Coliving-Space« mieten. Schnelles Internet und Möbel inklusive. Dafür teilt man sich Küche, Bad, eine »Lounge« und Waschmaschinen mit den anderen Hausbewohner*innen. Bei »unit36« kann man im »coolsten Kiez der Stadt« Friedrichshain möblierte Mikroapartments mieten, immerhin mit eigener Küchenzeile und Bad. Kostenpunkt: ab 635 Euro pro Monat für 17 bis 20 Quadratmeter Wohnraum. Dazu sind die Verträge auch noch befristet.
Gewerbliches Wohnen ist ein Oberbegriff für Mietmodelle, die zeitlich begrenzt sind. Dadurch gelten einige gesetzliche Vorgaben des regulären Mietrechts nicht. Für alte und neue Berliner*innen, die an der Wohnungssuche verzweifeln, sind solche Angebote gewerblicher Vermieter aber oft die letzte Möglichkeit, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu finden. Amtliche Zahlen darüber, wie viele es davon gibt und ob deren Anzahl steigt, gibt es nicht. »Es liegen keine Informationen über die Anzahl der gewerblichen Wohnungen in Berlin vor«, so die Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Linke-Abgeordneten Katalin Gennburg.
»Wir haben den Eindruck, dass diese Angebote zunehmen«, sagt Wibke Werner, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins über Angebote möblierten Wohnens. Der Wohnungsmarktbericht für das Jahr 2023 der Investitionsbank Berlin (IBB) bestätigt diesen Eindruck: »Den abnehmenden Inseratszahlen regulärer Mietwohnungen stand eine steigende Anzahl von Inseraten möblierter Wohnungen auf Zeit gegenüber.« Laut Bericht dominieren diese sogar das Angebotsgeschehen, die Anbieter seien mehrheitlich gewerblich.
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Eigentlich unterliegen auch Verträge über möbliertes Wohnen der Mietpreisbremse, allerdings können Vermieter einen Möblierungszuschlag verlangen. Und Bett, Sofa und Schreibtisch können teuer werden. Die Angebotsmiete für solche Wohnungen liegen laut IBB-Bericht 2022 bei durchschnittlich 24,44 Euro pro Quadratmeter, deutlich teurer als reguläre Mietwohnungen. Die Mietpreisbremse ist so recht einfach umgangen. Für den Senat alles kein Problem: »Die Angebotsformen von gewerblichem Wohnen ergänzen das klassische Mietwohnungsangebot in Berlin und bieten verschiedene Optionen für unterschiedliche Bedürfnisse und Lebenssituationen.« Und wenn dafür ausgewiesener Gewerberaum genutzt werde, gehe hierbei kein Wohnraum verloren.
»In diesen Mietverhältnissen werden alle Mietrechtsgesetze ausgehebelt. Das ist ein riesiges Problem«, sagt hingegen Katalin Gennburg zu »nd«. Diese Gesetze seien eingeführt worden, weil sich die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass auch in Bezug auf Wohnen Menschen soziale Sicherheit brauchen und eben nicht alle drei Monate umziehen können. »Das nimmt ein riesiges Ausmaß an und das alles ohne Regulierung«, so Gennburg weiter. »Mit solchen Angeboten ist nur die Rendite sicher.« Gerade Menschen, die aus dem Ausland nach Berlin kommen, fänden – unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit – gar keine andere Wohnung. »Sie werden in solche Wohnungen gezwungen.« Die Linke-Politikerin fordert deswegen: »Wir brauchen harte Wohnraumschutzgesetze!«
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