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»›Lebe!‹, flüsterte es in mir. ›Lebe!‹«
Mit Kunst auf Gewalt antworten: In »Knife« verarbeitet Salman Rushdie das Attentat, das 2022 auf ihn verübt wurde
Nach der Messerattacke hing das Leben von Salman Rushdie an einem seidenen Faden. Die Ärzte, die ihn notoperierten, räumten ihm wenig Chancen ein, dass er überleben würde. Am 12. August 2022 hatte er in Chautauqua, einem kleinen Örtchen im äußersten Süden des US-Bundesstaates New York auf einem Podium gesessen, als der 24-jährige Hadi M. aus New Jersey auf ihn zustürmte und dann 15 Mal auf ihn einstach.
Rushdie erzählt nun, dass er danach zwischen Leben und Tod schwebte und von »Das siebente Siegel«, Ingmar Bergmans Film von 1957, träumte, und zwar von der Szene, als der heimgekehrte Ritter mit dem Tod Schach spielt und das Spielende so weit wie möglich hinauszögert: »Das war ich. Ich war der Ritter«, schreibt Rushdie in seinem neuen, autobiografischen Buch »Knife«, in dem er die Terrorattacke literarisch verarbeitet.
Es ist ein sehr persönliches Buch. Der 76-jährige, heute in New York lebende Schriftsteller berichtet über seine Ängste, seine Panik, aber auch über Hoffnungen und über intime Beziehungen und sein Familienleben, vor allem die Liebe zu seiner Frau, der Lyrikerin Rachel Eliza Griffiths. Auf 250 Seiten erzählt er ausführlich und chronologisch von dem Anschlag und den nachfolgenden Ereignissen, von seiner Krankengeschichte und von der Notwendigkeit, das alles aufzuschreiben. Für ihn war dies der Weg, »das Vorgefallene anzuerkennen, die Kontrolle zurückgewinnen, mir das Geschehene anzueignen und nicht ein bloßes Opfer zu sein. Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten«.
Das gelingt ihm in diesem Buch, das über weite Strecken eher versöhnlich klingt und frei von Ressentiments ist. Wobei es sich der Autor nicht verkneifen kann, vom Täter stets als »A.« wie Arschloch zu sprechen, wie er anfangs erklärt. Wie mit einem scharfen Messer seziert er die Ereignisse. Er beschreibt detailliert, wie er auf der Bühne überrascht wurde (»Ich stand einfach nur da und starrte ihn an, stand da wie angewurzelt, ein Kaninchendepp im Scheinwerferlicht«), wie der Täter immer wieder auf ihn einstach, er zu Boden ging, ein Handgemenge entstand, Zuschauer Erste Hilfe leisteten und den Attentäter überwältigten. Rushdie war die ganze Zeit bei Bewusstsein, bis er schließlich ins Krankenhaus kam und mehrere Stunden operiert wurde. Er hatte schwere Verletzungen im Brust-, Hals- und Armbereich und er verlor sein rechtes Auge, in das der Täter mit dem Messer hineingestoßen hatte. Monatelang konnte er seine linke Hand nicht mehr bewegen.
Nach dem Mordaufruf in Teheran durch Ayatollah Chomeini 1989, ihn umzubringen, weil er mit seinem Roman »Die satanischen Verse« den Propheten und den Islam beleidigt habe, war Rushdie eine der am besten bewachten Personen auf der Welt gewesen, hatte sich aber in den letzten Jahren zunehmend freier und damit schutzloser bewegt. Und dann wäre er nach mehr als drei Jahrzehnten ausgerechnet bei einer Podiumsdiskussion, bei der es um den Schutz für verfolgte Schriftsteller gehen sollte, fast ermordet worden. »Warum nach all den Jahren? Die Welt hatte sich doch gewiss weitergedreht, dieses Kapitel war längst abgeschlossen. Was da kam und sich so rasch näherte, war jedoch eine Art Zeitreisender, ein mörderischer Geist aus der Vergangenheit.«
Nach dem Attentat wurden die Sicherheitsvorkehrungen in seinem Alltag wieder hochgefahren, wie früher. Neu war, dass ihn nun Fluglinien mitnahmen, als er nach Monaten wieder reisen konnte. Das war in den 1990er Jahren nicht immer so gewesen. Rushdie betont, dass dieser versuchte Mordanschlag sein Leben nachhaltig veränderte, nicht nur, weil er ein Auge verloren hat. Er spüre nun »eine tiefe Sehnsucht nach der unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit, von der mich das Messer abgeschnitten hat, einer Vergangenheit, die einen Schmerz in mir hinterließ, für den es keine Heilung gab«.
Im Laufe dieses Jahres wird es zum Prozess gegen seinen Attentäter Hadi M. kommen. Ob Rushdie daran teilnimmt, um ihm gegenüberzutreten, weiß er noch nicht. Dabei würde er durchaus gerne mit dem jungen Mann sprechen, der ihm nach dem Leben trachtete und der nach der Festnahme verblüfft feststellte, dass Rushdie noch lebte. In »Knife« führt der Schriftsteller Rushdie einen fiktiven Dialog mit ihm und befragt ihn nach seinen Motiven, nach seiner Vorstellung von Religion, Moral und Politik. Auf diesen 25 Seiten Dialog ist aber vor allem auch zu lesen, was Rushdie dem Täter sagen will, unter anderem, dass er in seinen Romanen, vor allem in »Mitternachtskinder« und in den »Satanischen Versen« sehr differenziert über muslimische Menschen und deren Religion geschrieben habe.
»Knife« ist aber keine Verteidigungsschrift oder ein anklagender Essay zum Thema Meinungsfreiheit. Dennoch ist es ein kämpferisches Buch, das sich gegen Ideologen und Despoten richtet, deren hasserfüllte Botschaften für viele Menschen derzeit immer bestimmender zu werden scheinen. »Also müssen wir uns bemühen, bessere Geschichten als die falschen Narrative der Tyrannen, Populisten und Narren zu schreiben, Geschichten, in denen die Menschen leben wollen.« Denn »Knife« ist vor allem auch das Buch eines geglückten Überlebenskampfs. »›Lebe!‹, flüsterte es in mir. ›Lebe!‹«
Ausgerechnet der Atheist Rushdie wird nun immer wieder gefragt, ob er denn an Wunder glaube, weil er das Attentat überleben konnte – was er natürlich verneint, aber auf erzählerisches Werk verweist, in dem immer wieder Magie und Zauberei eine Rolle spielen. »Ich halte Kunst für einen Wachtraum. Und die Fantasie kann die Kluft zwischen Traum und Realität überbrücken; sie erlaubt uns, das Reale durch das Objektiv des Irrealen auf neue Arten zu sehen. Nein, ich glaube nicht an Wunder, aber ja, meine Bücher tun das.«
In »Knife« berichtet Rushdie nicht nur vom Attentat, sondern auch von seinen Jugendtagen, vom trinkenden Vater und von der großen Liebe der vergangenen Jahre, vom Leben in New York, das er so unglaublich schätzt, von den Freundschaften zu den Schriftstellern Martin Amis und Paul Auster. Insofern ist dieses Buch auch ein überraschend persönliches Porträt dieses Künstlers. Mal sehen, ob »Knife« seinen Zweck für ihn als Schriftsteller erfüllt, wie er es erklärt hat, und ob er sich nach dieser Aufarbeitung wieder anderen Themen widmen kann. Kurz vor dem Attentat hatte er Thomas Manns »Der Zauberberg« und Franz Kafkas »Das Schloss« gelesen als Vorbereitung für einen Roman »über ein rätselhaftes, geheimnisvolles College«. Man darf gespannt sein.
Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. A.d. Engl. v. Bernhard Robben, Penguin, 256 S., geb., 25 €.
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