Die Linke und Bewegung: »Auf offene Türen gestoßen«

Fremdeln oder freuen? Das Verhältnis zwischen der Linkspartei und Bewegungsaktiven bleibt zwiespältig

Volles Naturfreundehaus in Köln, bei der Debatte zum Verhältnis von Linker und Bewegungen.
Volles Naturfreundehaus in Köln, bei der Debatte zum Verhältnis von Linker und Bewegungen.

Ein warmer Aprilabend, im großen, grünen Hinterhof des Naturfreundehauses in Köln-Kalk ist es voll. 70 bis 80 Menschen sind hier, die meisten jünger, sportlich gekleidet, linke Accessoires wie Buttons und Aufnäher fehlen nicht. Wenn es gleich losgehen würde, einen Naziaufmarsch oder ein Kohlekraftwerk blockieren, man würde sich nicht wundern. Dabei gibt es nur eine Diskussionsveranstaltung und die auch noch zu einem Thema, das vor Kurzem nur die allergrößten Polit-Strateg*innen interessiert hätte. Es geht um das Verhältnis der außerparlamentarischen Linken zur Linkspartei.

Für Die Linke sitzt mit Lea Reisner eine Person auf dem Podium, die von sich selbst sagt, dass sie sich in einem »Klärungsprozess« befindet. Reisner kommt aus der außerparlamentarischen Linken, ist gelernte Krankenschwester und war als Seenotretterin aktiv. Wäre sie nicht echt, die PR-Agentur der Linken hätte sie erfinden müssen. Bei den Europawahlen tritt sie auf dem aussichtslosen neunten Platz an. Im Wahlkampf engagiert sie sich trotzdem intensiv. Sie macht stark, dass Die Linke die einzige Partei ist, die Asylrechtsverschärfungen und die Festung Europa konsequent ablehnt. Mit der eigenen Rolle hadert sie noch. Politikerin will sie nicht sein. Sie hofft, im Wahlkampf zu Diskussionen eingeladen zu werden, zu denen sie als Aktivistin nicht käme und dort antirassistische Positionen vertreten zu können. Ihr Appell an das aktivistische Publikum in Köln: schauen, ob man im Bündnis mit einzelnen Politiker*innen konkrete Verbesserungen erkämpfen kann.

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Als Fundamentalkritiker tritt in Köln Robert Schlosser auf, der »seit 1969 als Kommunist aktiv« ist, sich viel in betrieblichen Kämpfen engagiert hat und heute für den rätekommunistischen Blog Communaut schreibt. Schlosser glaubt nicht an Die Linke. Er zählt die Geschichte der Parteien auf, die als Bewegungsparteien gestartet und im Staatsapparat versandet sind. Schlosser seziert das Programm der Linken, sieht zahlreiche inhaltliche Unzulänglichkeiten und zweifelt am antikapitalistischen Charakter der Partei. Er befürchtet, es ginge um nicht viel mehr als das Abgreifen von »Staatsknete«. Das sei legitim und im Einzelfall bestimmt auch nützlich.

Nun sind nicht alle auf der Veranstaltung so kritisch. Neben der vom Linke-Vorstand initiierten Kampagne »Eine Linke für alle« haben radikale Linke Ende November einen Aufruf unter dem Titel »Wir/Jetzt/Hier« initiiert. Hunderte Linke sollen dem gefolgt und in die Linkspartei eingetreten sein. Online tauschen sich diese Neumitglieder noch regelmäßig aus. Aber wie sind sie in der Partei angekommen?  

Eine, die nach dem »Wir/Jetzt/Hier«-Aufruf in Die Linke eingetreten ist, ist Janine Heitzmann aus einem Vorort von Freiburg. Es sei eine »Impulsentscheidung« gewesen, erzählt sie dem »nd«. Eine Mitbewohnerin habe den Aufruf gesehen, man habe kurz diskutiert und sei dann mit der ganzen WG eingetreten. Man habe dann zuerst Kontakt zur Freiburger Linken bekommen. Dort gab es auch ein Neumitgliedertreffen für Flinta (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen), das Heitzmann gut gefallen hat. Sie und ihre WG wollten aber Die Linke im Umland unterstützen. Und jetzt mischen sie den Kreisverband Breisgau-Hochschwarzwald auf. Der habe erstmal gar nicht die Kapazitäten gehabt, sich um die Neuen zu »kümmern«.

In Baden-Württemberg finden parallel zu den Europawahlen Kommunalwahlen statt. Die Linke im Freiburger Umland will wieder in den Kreistag einziehen. Mitten in diesen Wahlkampf ist Janine Heitzmann jetzt hineingeraten. Sie berichtet von einer Garage voller Plakate und Debatten in der Partei über den Einsatz von Aufklebern und Social Media als Wahlkampfmittel. »Das sind schon Generationenkonflikte«, erzählt die Neu-Linke.

Insgesamt fühlt sie sich in ihrem Kreisverband wohl. Die Debatten seien wertschätzend. Mittlerweile hat sich für Heitzmann schon fast ein neues Problem ergeben. Sie berichtet, dass sie fast zu viele Aufgaben übernimmt, weil es »einfach zu viele Baustellen gibt.« Ihr Fazit nach vier Monaten ist trotzdem positiv. Sie ist sich sicher, »dass Die Linke die Partei ist, für die ich mein Gesicht hergebe«. 

Auch Ronja aus Leipzig ist dem »Wir/Jetzt/Hier«-Aufruf gefolgt. In der Linken ist sie jetzt ganz ähnlich aktiv wie Janine Heitzmann. Sie und einige andere Menschen unterstützen ländliche Kreisverbände im Wahlkampf. »Beim Landesverband Sachsen sind wir mit der Idee auf offene Türen gestoßen«, erzählt Ronja. Die Linke in kleineren Orten sei total überaltert und habe deswegen große Schwierigkeiten, aktiv zu werden. Es fehle an »People Power«. Flyer stecken, Plakate aufhängen, einfach Präsenz zeigen, das sei wichtig, findet die Leipzigerin.

Und der Austausch mit den Genoss*innen auf dem Land? »Die Klischees vom Konflikt urbane Linke und alte Ostlinke sind in der Realität Bullshit!«, so die Erfahrung von Ronja. Sie ist froh, in der Linken zu sein, fragt sich aber auch: »Was ist das für ein Riesenprojekt?« Sie sieht großen Reformbedarf und denkt, dass es auch noch einen großen inhaltlichen Klärungsprozess braucht.

Bei der Diskussion in Köln ist Berena Yogarajah die Einzige, die »Wir/Jetzt/Hier« thematisiert. Yogarajah ist in der Interventionistischen Linken organisiert und engagiert sich vor allem in antirassistischen Kämpfen. Sie attestiert vielen Bewegungsaktivist*innen »realpolitische Hummeln im Arsch« zu haben. Das kritisiert sie. Parteien könnten nicht in dem Maß »antistaatlich« sein, wie es notwendig ist.

Neben genereller Skepsis gegenüber Parteien befürchtet sie allerdings auch, dass zu viele Menschen Bewegungen in Richtung der Linken verlassen. Aktivistischer Druck könne mit geschwächten Bewegungen nicht aufgebaut werden. »Das wird nicht bedacht, wenn alle in die Parlamente rennen.« Inhaltlich kritisiert Yogarajah, dass Die Linke Migration nicht offensiv thematisiere und migrantische Realitäten in Deutschland nicht anerkenne. »Klasseninteressen von Migrant*innen« würden nicht als »Bedürfnisse der normalen Leute« anerkannt.

Ein paar Monate nach dem Beginn der Neuaufstellung stößt Die Linke immer noch auf Skepsis. Ist sie am Ende nur ein bisschen weniger rassistisch und für ein bisschen mehr Gerechtigkeit als die anderen Parteien? Oder kann sie sich erneuern und Schlagkraft entwickeln? Die Debatte ist jedenfalls lebendig.

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