Die Kunst gehört allen

Zum Tod des finnischen Komponisten Kaj Chydenius

  • Astrid Volpert
  • Lesedauer: 3 Min.
Kaj Chydenius im KOM-Theater Helsinki 2014
Kaj Chydenius im KOM-Theater Helsinki 2014

Am vergangenen Samstag starb Kaj Chydenius, Finnlands bedeutendster Komponist der Gegenwart, mit 84 Jahren in Helsinki. Er schuf mehr als 3000 Lieder – für Solisten, Gruppen, Chöre, Kabaretts, über 100 Theateraufführungen und Filme. Und er war 1971 der Mitgründer und langjährige Leiter des Avantgardetheaters KOM. Europaweit und besonders in der DDR wurde er in den 70er und 80er Jahren bekannt durch seine aktive Beteiligung an Foren über Poesie und Musik, Musik und politisches Theater anlässlich der Berliner Brecht-Dialoge und des Festivals des politischen Liedes sowie mit Gastspielen seines Theaters zu den Berliner Festtagen und an der Akademie der Künste. In der Berliner Wabe feierte er sowohl seinen 60. und 70. Geburtstag mit großartigen Konzertabenden.

Chydenius verkörperte lebendig und leidenschaftlich Eislers Diktum des »Ablieferns«; er sah sich und seine Kunst als Boten für ein Publikum, das seine Zeit begreifen und sich mit ihr auseinandersetzen will. Die Sprache seiner Musik war klar, vielseitig und ausdrucksstark, wobei er sich dem Politischen nie auf Kosten der Fantasie und künstlerischer Inhalte näherte.

Dichter waren seine Helden. Er war überzeugt, dass die Musik ihren Versen Flügel verleiht und vertonte nicht nur Werke finnischer, sondern auch internationaler Autoren wie Brecht, Jewtuschenko und Heine. Ein um 1580 verfasstes Liebesgedicht des Spaniers Luis de Góngora, 1977 produziert, wird heute in Finnland wieder öfter gesungen. Es erzählt von einer jungen Frau, die ihren Mann verloren hat, da er in den Krieg ziehen musste.

1939 in Kuusankoski geboren, zog es ihn gegen den Rat des Vaters, dem Filialleiter einer Papierfabrik, einen sicheren Beruf zu ergreifen, früh zur Musik. Er studierte an der Helsinkier Sibelius-Akademie und am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium. Seinen künstlerischen Start hatte Chydenius mit Avantgardemusik, Happenings und Instrumentaltheater in der Ästhetik von John Cage. 1966 gründete er mit Kommilitonen und Schauspielern seine erste Bühnentruppe. Am Studententheater führten sie seine antifaschistische Oper »Lapua« auf – ein Aufschrei gegen das Establishment in der Theater- und Musikbranche.

Mit dem KOM-Theater (das »Kom« stand für Kommunismus) reiste er in einem alten Bus durch Finnland. Sie begeisterten in Schulen, Kulturhäusern, Klubs und auf Volksfesten viele Menschen, nicht nur Intellektuelle. Später erwarben sie eine eigene Spielstätte in der Kapteeninkatu 26 in Helsinki. Ein halbes Jahrhundert stand Chydenius alternierend mit seinem Freund und Regisseur Pekka Milonoff an der Spitze dieser erfolgreichen Kunstbühne. Chydenius Musikpalette war unerschöpflich. Neben Liedern und Gesangszyklen komponierte er Chorwerke, Kammermusik, Kantaten und Oratorien. In späteren Jahren glich er in Statur dem kleinen Hanns Eisler, war wie dieser in Stimme und Klavierspiel laut und klar hörbar. Seine bekanntesten Lieder stammen aus der politischen Songbewegung der 1960er und 1970er Jahre. Als sie abebbte, blieben manche nicht im Archiv liegen: »Nuoruus-Tango«, »Kenen joukoissa seisot«, vor allem »Kalliolle kukkulalle«. Für Milonoff lebte sein Freund zwei Maximen: Die Kunst gehört allen und jeder kann singen – Arbeiter-, Studenten-, Solidaritäts-, Volkslieder, Chansons.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.