»Zentralfriedhof«: Pantomime kollektiv

Herbert Fritsch bringt den »Zentralfriedhof« auf die Bühne des Wiener Burgtheaters

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Hier wird nach Szenenapplaus gegiert: »Zentralfriedhof« an der Burg.
Hier wird nach Szenenapplaus gegiert: »Zentralfriedhof« an der Burg.

Einer der berühmtesten Gottesäcker der Welt wird 150: Wiens Zentralfriedhof. Dort liegt neben Würdenträgern aller Art auch viel gemeines Volk. Das Burgtheater lässt Herbert Fritsch einen Abend mit dem Titel »Zentralfriedhof« inszenieren und der trägt der Egalität dieser Ruhestätte auf eigene Weise Rechnung.

Vorhang auf, im Anfang war Vergeblichkeit: Ein älterer Herr (Hans Dieter Knebel) im Sargträgerdress erscheint gut gelaunt und übt sich in Veränderung. Er will die Wand an der linken Seite verschieben, doch die bewegt sich, er kann so lächeln, wie er will, nicht. Profan ragt auf der Bühne ein Würstelstand hervor, auf dem wird verkündet: »eh scho wuascht«. Ob man das als Defätismus oder Gelassenheit angesichts des Todes auslegt, steht zur Debatte.

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Im Folgenden kommt eine Kollegschaft aus Totengräber*innen nach vorne für allerlei Schabernack: Einer greift dem andern unter die Hosenträger und verheddert sich; zum Schluss sind alle ein Knäuel. Man schnappt sich Schaufeln und begräbt das Publikum in unsichtbarer Erde. Worte braucht das nicht, die Schauspieler*innen geben Töne von sich, reagieren auf die Umgebung, statt sie zu bereden. Die Szenen erinnern an Kollektiv-Pantomimenspiel.

Dann werden Fahrräder rangeschafft, man fährt gemeinsam im Kreis. Die Belegschaft giert nach Szenenapplaus. Dann aber ändert sich alles: Der Würstelstand weicht einem riesigen Skelett-Hampelmann, der von der Decke fährt. Einer (Yahyah Micah James) findet sich alleine wieder, erschrickt vorgeblich zu Tode, fällt in ein Loch; statt in einem tiefen Grab zu verschwinden, befördert ihn ein Trampolin zurück auf die Bühne. Die vermeintliche Todesstätte wird so elastische Vorlage für Artistik und Virtuosität, die der Vanitas trotzt.

Wie beim Rummelspiel Whac-a-Mole muss James dann Köpfe Untoter, die auferstehen wollen, wieder unter die Bühne drücken. Nach einiger Zeit löst sich seine Sisyphosarbeit auf in einen Totentanz, hinterm Trauerflor der Spieler*innen erschallt Gelächter. Es bilden sich Chöre. Sie entkleiden sich, und unterm dunklen Stoff der Gewänder kommen Laibchen und Strumpfhosen zum Vorschein; Konfetti fällt. Mit Bändern in grellen Tönen mumifizieren sich die Spieler*innen im Gesicht, bilden wieder einen Knoten.

Vor dem Schlussapplaus verstecken sich die Spieler*innen, um dann mehrere Male hinter dem Vorhang hervorzuhuschen – als hätten sie Angst, dass es zu Ende geht. Doch wo keine strengen Rollen waren, müssen sie auch nicht enden. So geht Ensemble an diesem Abend. Nur Burg-Intendant Martin Kušej muss nach dieser Spielzeit gehen.

Nächste Vorstellungen: 1., 26. und 31. Mai
www.burgtheater.at

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