Die im Dunkeln hängt man nicht

Warum wird der Rücktritt einer Oberstaatsanwältin beschwiegen?

Stellen Sie sich vor, bei der Bundeswehr würde eine Spitzenfunktionärin zurücktreten und das mit einem Rundumschlag begründen: Das ganze System komplett sei ineffizient, weshalb dem Staat Milliardenverluste entstünden. Dieses Systemversagen sei politisch geduldet, wenn nicht gar gewollt. Kurzum: Mit der Bundeswehr sei es wie mit der Elektrizität in einem Abbruchhaus: Wenn man sie braucht, tut sich nichts.

Was in diesem Fall passieren würde, ist klar: Agnes Strack-Zimmermann und Hofreiters Toni würden sich noch in der Plenarsitzung in Tarnfleck schmeißen und gen Osten ziehen, der Rest des Plenums würde umgehend Konsequenzen debattieren. Womöglich würden kurz darauf Köpfe rollen.

Nun, etwas Ähnliches ist vor ein paar Tagen passiert. Nur nicht bei der Bundeswehr, sondern einer Oberstaatsanwältin, die mit organisierter Finanzkriminalität befasst ist. Die tapfere Anne Brorhilker ist zurückgetreten und hat publik gemacht, warum sie so frustriert ist. Sie sei »überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.« Das lasse sich in einem Satz zusammenfassen: »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.«

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Dass das Thema niemanden so recht hinterm Ofen hervorlockt, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Materie ein wenig kompliziert ist. Aktien mit (»cum«) und ohne (»ex«) Dividendenansprüche wurden so lange hin- und hergeschoben, bis keine staatliche Stelle mehr durchblicke, selbst wenn die sich für all das interessiert hätte. Am Ende der Ping-Pong-Transaktionen erstattete der Fiskus jedenfalls Aktienhändlern, Beratern und Banken Kapitalertragssteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Übrigens auch Landesbanken wie der HSH Nordbank, der West-LB oder der LBBW. Staatliche Banken, die den Staat betrügen – und 12 Jahre später ist immer noch nichts passiert? Geht alles, wenn man es nicht anders will.

Den Staat soll all das einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet haben – den er sich dann eben von den Leuten mit weniger Lobby holt. An der verrotteten Infrastruktur sieht man, wozu es führt, wenn Finanzkriminalität und Steuerhinterziehung nicht verfolgt werden. Auch was die Besteuerung von privaten Vermögen angeht, ist es hierzulande ja ähnlich wie in den USA, wo Finanzinvestor Warren Buffet schon vor Jahren zu scherzen beliebte, dass er einen weniger hohen Steuersatz habe als seine Sekretärin. In Deutschland können Gewinne immer wieder reinvestiert werden, der Unternehmer zahlt darauf nur Unternehmenssteuern, aber eben keine Abgeltungssteuer und keine progressive Einkommensteuer. Auch das ist ein Grund, warum es immer mehr Milliardäre gibt.

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Wer deren verlängerter Arm in der Ampel ist, muss hier nicht erwähnt werden. Ärgerlicher ist, dass sich die Grünen und SPD vor einigen Jahren endgültig von dem Gedanken verabschiedet haben, dass »soziale Gerechtigkeit« nur dann zu bewerkstelligen ist, wenn man umverteilt. Und zwar von oben nach unten. Das ginge, man müsste sich nur mit den Lobbys der wenigen mit dem vielen Geld anlegen. Dass man stattdessen die Armen hängt, sagt nicht nur der Volksmund. Das sagst auch Anne Brorhilker. Und zwar wörtlich.

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