Kriminalstatistik für Berlin: Herkunft nicht entscheidend

Nach gestiegenem Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger fordert Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sozialpolitische Lösungen

Bei 536 000 erfassten Straftaten konnte die Berliner Polizei 2023 in 140 000 Fällen Tatverdächtige ermitteln.
Bei 536 000 erfassten Straftaten konnte die Berliner Polizei 2023 in 140 000 Fällen Tatverdächtige ermitteln.

Eigentlich sollte im Innenausschuss am Montagmorgen über Maßnahmen gegen kriminelle Zustände im Mietwagengewerbe beraten werden. Stattdessen aber verstrickten sich die Abgeordneten in einen Streit rund um die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik – und die Rolle, die Menschen mit Migrationsgeschichte in ihr einnehmen.

Von einer »zugespitzten gesellschaftlichen Diskussion, die zu Teilen auf Vorurteilen basiert« spricht SPD-Innensenatorin Iris Spranger. Fachlich und faktenbasiert will sich stattdessen der Senat mit der Thematik auseinandersetzen: »Zu Behauptungen, die den Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung verlassen, werde ich mich bewusst nicht äußern.« Die Kriminalstatistik für 2023 zeigte sowohl im Bund als auch in Berlin einen steigenden Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Straftaten.

Sprangers Parteikollegin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte nach Veröffentlichung zuletzt die schnellere Abschiebung durch die Bundesländer gefordert. Berlins Innensenatorin stimmt nun andere Töne an. »Erklärungen finden sich nicht in der Herkunft der Tatverdächtigen«, sagt Spranger. Vielmehr spielten Gewalterfahrungen, sozioökonomische Rahmenbedingungen und andere Hintergründe bei den Taten eine Rolle. »Es gibt für Gewalt keinerlei Entschuldigung. Aber wir müssen erkennen, wo Gewalt herkommt.« Diese Feststellung, so Spranger, sei ihr wichtig. Die Lösung liegt aus Sicht der Innensenatorin vor allem in sozialpolitischen Ansätzen.

Es sind Worte, die der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, zumindest teilweise mit Wohlwollen aufnimmt. Eine »erschütternde politische Kakofonie« sei auf die Veröffentlichung der Kriminalstatistik im Bund gefolgt, völlig abgekoppelt von der wissenschaftlichen Debatte. »Das war wirklich unterirdisch«, sagt Schrader und nimmt insbesondere auf die Aussagen Faesers Bezug. »Deswegen bin ich froh, dass sich das hier positiv davon abhebt.« Schrader mahnt, die Zahlen aus der Kriminalstatistik mit Vorsicht zu interpretieren: »Es muss bekannt sein, dass es sich um eine Statistik handelt, in der sich auch Kontrollverhalten der Polizei und Anzeigeverhalten der Bevölkerung wiederspiegeln.«

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Nach Sprangers Positionierung konzentriert sich die Kritik der Opposition am Montag vor allem auf die CDU. »Jeder, der eine Erkenntnis aus der Kriminalstatistik ziehen will, der sollte sie auch verstehen«, sagt Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Zahlen zur Kriminalität böten stets Potenzial zur Dramatisierung. Die Realität aber zeige: Zäune hielten keine Drogendeals auf und ein höherer Grad an Überwachung führe auch nicht zu weniger Übergriffen in Schwimmbädern, deren Anteil an allen Straftaten ohnehin unterhalb der Ein-Prozent-Marke liege. »Das hat nichts damit zu tun, Dinge beim Namen zu nennen. Das ist einfach nur Rassismus.«

Von 2022 zu 2023 ist der Anteil Nichtdeutscher an allen Tatverdächtigen in Berlin laut Kriminalstatistik von 47,4 Prozent auf 48,7 Prozent gestiegen. Bei 536 000 erfassten Straftaten konnten insgesamt in 140 000 Fällen Tatverdächtige ermittelt werden. »Die CDU und die AfD nehmen das immer als Generalabrechnung wahr«, kritisiert Franco. Man dürfe bei dieser Zahl allerdings nicht aufhören zu denken. Der Grünen-Abgeordnete dekliniert mit Blick auf die Kriminalstatistik durch: 20 Prozent aller Tatverdächtigen hätten keinen Wohnsitz in Deutschland, kämen aus dem Ausland nach Berlin gereist. »Sollen wir deshalb jetzt die Bahnhöfe und Flughäfen dichtmachen?«

Hinzu kämen 21 569 Straftaten, die nur Nichtdeutsche begehen könnten, so Franco. Fast alle dieser Fälle seien auf die Ankunft von Geflüchteten zurückzuführen, für die bis zur Stellung des Asylantrags überhaupt kein legaler Aufenthalt in Deutschland möglich sei. Dies werde zunächst als Straftat in der Statistik erfasst. »Wenn der Asylantrag gestellt ist, hat sich die Straftat wieder erledigt«, sagt Franco. »In der Statistik bleibt sie trotzdem.«

Zuletzt setzt der Grünen-Abgeordnete die Anzahl nicht deutscher Tatverdächtiger mit Wohnsitz in Berlin ins Verhältnis mit der Einwohnerzahl. Dann, so Franco, komme man auf einen bedeutend geringeren Anstieg von 0,9 Prozent – und das angesichts großer Probleme mit der Unterbringung und Integration Geflüchteter. »Wenn dann zusätzlich das Stigma des kriminellen Ausländers hinzukommt, dann ist das keine Lösung, sondern treibt Menschen im Zweifel noch mehr in die Kriminalität.« Mit der Polizei und der harten Hand des Rechtsstaats könnten zwar die Symptome bekämpft werden. Für nachhaltige Lösungen brauche es aber Prävention.

CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger setzt nach Francos Auslassungen zur Gegenrede an: »Jetzt haben die Grünen es tatsächlich erreicht, dass wir den Großteil der Zeit über Ausländergewalt sprechen.« Die CDU selbst hatte das Thema, anders als die AfD, im Ausschuss bis dahin nicht aufgegriffen. Franco führe eine Debatte ohne fachliche Substanz, nehme eigene Annahmen statt Fakten als Grundlage für seine Politik, so Dregger. Die Diskussion an sich bringe das Land Berlin bei der Suche nach Lösungen nicht voran.

Die große Koalition habe im Gegensatz zu Linken und Grünen erkannt, dass neben Prävention auch das Durchsetzungsvermögen des Rechtsstaates zentral sei. »Wir wissen, dass es nicht ein Allheilmittel ist. Aber es ist ein Ansatz«, sagt Dregger. Der CDU-Abgeordnete lenkt den Fokus auf die ebenfalls gestiegene Gewalt gegen Einsatzkräfte, deren Verharmlosung er Franco vorwirft: »Es gibt niemanden, der das Recht hat, sich der Polizei entgegenzustellen.«

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