- Politik
- Grenzüberschreitende Kooperation
Neuer Polizeivertrag mit der Schweiz
Ab 1. Mai auch Gefahrenabwehr und Eintreiben von Bußgeldern im Nachbarstaat erlaubt
1996 trat zwischen Luxemburg und Deutschland der erste bilaterale Polizeivertrag in Kraft, 20 Jahre später folgten Polen und Tschechien. Seitdem hat die Bundesrepublik mit allen neun Nachbarländern Übereinkünfte für grenzüberschreitende Polizeieinsätze getroffen. Sie regeln etwa den gegenseitigen Informationsaustausch, die sogenannte Nacheile bei der Verfolgung von Straftätern oder die Ausleihe von Hundertschaften und Ausrüstung für Großeinsätze bei Sport- oder Politikveranstaltungen sowie bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen. Ebenfalls umfasst sind verdeckte Observationen über Grenzen hinweg.
Aus Sicht von Polizei und Justiz werden die Jahrzehnte alten Abkommen jedoch neuen »Herausforderungen« nicht gerecht, sie werden deshalb überarbeitet. Den Anfang machte der deutsch-schweizerische Polizeivertrag, die Verhandlungen zur Neufassung begannen bereits nach der sogenannten Migrationskrise 2016. Letztes Jahr haben die Parlamente in beiden Ländern schließlich zugestimmt, das bilaterale Abkommen um mehrere bedeutsame Maßnahmen zu erweitern. Umgesetzt werden sie ab dem 1. Mai 2024.
Beamte können nun auch in Fähren oder Zügen aus dem Nachbarstaat Zwangsmittel einsetzen, um unerwünschte Migranten an der Einreise zu hindern. Dafür dürfen sie auf der anderen Seite der Grenze in das Beförderungsmittel zusteigen. An den Grenzübergängen sollen neben den bereits existierenden »Gemeinsamen Polizeizentren« weitere grenzpolizeiliche Verbindungsbüros entstehen, im Fokus steht auch hier die Migrationsabwehr.
Der ab 2001 gültige deutsch-schweizerische Polizeivertrag enthielt neben Maßnahmen zur Strafverfolgung auch solche für »präventiv-polizeiliche Zwecke«. So durften deutsche Polizisten auch Kontaktpersonen einer auslieferungsfähigen Straftat verdeckt in der Schweiz observieren – auch wenn diese Tat noch nicht erfolgt ist. Maßgeblich war lediglich, dass die heimliche Observation rechtzeitig im Nachbarland angemeldet wurde. Dann durften die Polizeispitzel im Nachbarland auch »Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume« betreten und dabei verdeckt getragene Mikrofone und Kameras einsetzen.
Die Verfolgung einer Person über eine Grenze hinweg darf gemäß dem neuen Vertrag auch zur Gefahrenabwehr erfolgen, etwa wenn Personen oder »wesentliche Sachwerte« geschützt oder Beweismittel gesichert werden sollen. Im »grenznahen Bereich« ist dies auch ohne vorherige Zustimmung des anderen Vertragsstaates erlaubt. Zur Zeugenvernehmung dürfen Beamte der Schweiz und Deutschlands im jeweils anderen Land Personen aus Gefängnissen abholen. Personen, die sich in der Schweiz im Zeugenschutzprogramm befinden, sollen auch in Deutschland entsprechend geschützt werden.
Die meisten neuen Zusammenarbeitsformen betreffen Asylsuchende, Verdächtige von Straftaten oder deren Kontaktpersonen. »Menschenschmuggler, Geldautomatensprenger, Terroristen, Gewaltextremisten und Waffenhändler« fasst das Schweizer Innenministerium diese Adressaten zusammen.
Jedoch enthält das Upgrade für den deutsch-schweizerischen Polizeivertrag auch eine gegenseitige Erlaubnis zur Vollstreckung von Bußgeldern von Verkehrsdelikten. Diese Briefe dürfen nun auch im Nachbarland zugestellt werden, die Behörden versorgen sich hierzu gegenseitig mit Halterdaten der Fahrzeuge. Für diese Regelung wurde ebenfalls ein eigenes Gesetz erlassen, gültig ist es aber erst für neu ausgestellte Strafzettel.
Bislang konnten sich etwa deutsche Autofahrer den teils heftigen Geldforderungen in der Schweiz entziehen, solange sie nicht wieder dorthin reisten. Dann drohte den Verkehrssündern sogar ein Strafbefehl. Das neue Abkommen greift ab einer Buße von 70 Euro beziehungsweise 80 Schweizer Franken (knapp 82 Euro). In der Schweiz ist diese Summe aber schnell erreicht: Schon eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 km/h kann mehr als 180 Euro kosten.
Weitere neue Abkommen der Bundesrepublik mit ihren Anrainern sind bereits in der Pipeline. Am Montag hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Brüssel einen deutsch-belgischen Polizeivertrag unterzeichnet, nun müssen die Staaten die nötigen Gesetze zur Umsetzung erlassen. Geplant ist auch die Erneuerung des Polizeivertrags mit Frankreich, Verhandlungen hierzu haben bereits begonnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.