Klimaneutralität - Wasserstoff aus der Erde

Der begehrte Energieträger kommt auch in geologischen Lagerstätten vor. Bei der Förderung könnte aber Methan frei werden

  • Wolfgang Pomrehn
  • Lesedauer: 7 Min.
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft, doch noch ist unklar, wo die benötigten Mengen herkommen sollen.
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft, doch noch ist unklar, wo die benötigten Mengen herkommen sollen.

Die Wasserstoffindustrie ist im Kommen. Das explosive Gas könnte künftig in der Stahlerzeugung den Koks ersetzen und ist bereits seit Langem für die chemische Industrie ein wichtiger Grundstoff. Die deckt bisher ihren Bedarf, indem sie Wasserstoff im großen Umfang aus dem Hauptbestandteil des Erdgases, aus Methan gewinnt. Die Sache hat allerdings einen Haken: Ein Methanmolekül (CH4) setzt sich aus einem Kohlenstoff- und vier Wasserstoffatomen zusammen, Ergebnis des Herstellungsprozesses sind also entsprechend erhebliche Mengen Kohlendioxid (CO2). Noch ist die Wasserstoffproduktion daher alles andere als klimafreundlich, denn CO2 verbleibt über mehrere Jahrtausende in der Atmosphäre und trägt dort maßgeblich zur Erhitzung des globalen Klimas bei.

Eine Alternative dazu ist die Herstellung von »grünem Wasserstoff«, wie sie bereits in sehr geringem Umfang unter Einsatz erneuerbaren Stroms erfolgt. Das »Knallgas«, wie es aus dem Schulunterricht bekannt ist, wird dabei per Elektrolyse aus Wasser gewonnen. Letzteres ist bekanntlich eine Verbindung aus Wasserstoff- und Sauerstoffatomen. Als Abfallprodukt entsteht entsprechend lediglich reiner Sauerstoff.

Der Vorteil an dieser Lösung wäre zudem, dass das Herstellungsverfahren zugleich zur Stabilisierung der Stromversorgung genutzt werden könnte. Zum einen, indem die Elektrolyse auf die Zeiten beschränkt wird, zu denen besonders viel Wind- oder Sonnenstrom anfällt. Zum anderen, indem Wasserstoff als Speichermedium eingesetzt und in Gaskraftwerken verbrannt wird, wenn es mal gerade zu wenig weht und auch die Sonne nicht viel zu bieten hat. Dafür bräuchte es allerdings nicht nur mehr Elektrolyseure, sondern auch mehr Speicher, heißt es bei der Initiative Energien Speichern, einer Organisation der Gasindustrie. Wegen der geringeren Dichte des Wasserstoffs würden die vorhandenen Erdgasspeicher nicht reichen.

Davon abgesehen hat Wasserstoff einen wesentlichen Vorteil: Bei seiner Verbrennung entsteht lediglich Wasserdampf. Er ist also mehr oder weniger klimaneutral, sofern kein Kohle- oder Erdgasstrom für seine Herstellung eingesetzt wird. Und solange durch seine Nutzung nicht im großen Maßstab die Luftfeuchtigkeit nachhaltig erhöht wird. Denn auch Wasserdampf ist ein Treibhausgas, wenn auch nur ein kurzlebiges.

Ein Minuspunkt der Elektrolyse ist, dass sie mit erheblichen Energieverlusten verbunden ist. Da wäre es natürlich besser, wenn Wasserstoff als Rohstoff abbaubar wäre wie Erdgas, Kohle oder Erdöl. Und tatsächlich gibt es auch natürliche Vorkommen von Wasserstoff, die allerdings bisher auf wenig ökonomisches Interesse stießen.

Großes Vorkommen in Lothringen

Das beginnt sich nun mit dem allgemeinen Hype um das Gas und mit der Suche nach klimafreundlichen Energieträgern zu ändern. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass unsere Kenntnisse von den Rohstoffen, die der Planet zu bieten hat, meist von den ökonomischen Interessen abhängen. Bisher galten Lagerstätten von Wasserstoff als selten, über ihren Umfang war wenig bekannt. Inzwischen mehren sich jedoch die Hinweise, dass es wesentlich mehr von diesem »weißen Wasserstoff« gibt als bisher angenommen.

Im französischen Lothringen lagern geschätzte 46 Millionen Tonnen Wasserstoff im tiefen Untergrund, schreibt die österreichische Zeitung »Der Standard«. Zum Vergleich: Derzeit werden weltweit etwa 90 bis 100 Millionen Tonnen pro Jahr verbraucht, aber die globalen Elektrolysekapazitäten würden beim derzeitigen Planungsstand nach Angaben der Internationalen Energieagentur bis 2030 nur für eine jährliche Produktion von 30 Millionen Tonnen Wasserstoff ausgebaut werden. Wenn tatsächlich alle Planungen umgesetzt und nicht durch steigende Kapital- und Ausrüstungskosten zunichtegemacht werden. Angesichts dessen scheint die Förderung geologischen Wasserstoffs attraktiv.

In den USA gibt es bereits die ersten Anzeichen eines regelrechten Wasserstoffbooms. Die US-Zeitung »Colorado Sun« berichtete kürzlich, dass ein namentlich nicht genanntes Privatunternehmen 250 Millionen US-Dollar in Anleihen und Krediten eingesammelt hat, um sich auf die Suche nach dem vielversprechenden Energieträger zu begeben. Das US-Energieministerium hat derweil 20 Millionen US-Dollar an verschiedene Institute, Universitäten und private Unternehmen für die Suche nach Wasserstoff verteilt. Auch aus Albanien, Australien und Spanien wird von größeren Vorkommen berichtet.

Erster Fund im Jahr 1987

Im westafrikanischen Mali, wo es die bisher einzige kommerziell genutzte Quelle des Gases gibt, war im Dorf Bourakébougou schon 1987 bei einer missglückten Brunnenbohrung ein relativ nah unter der Oberfläche befindliches Wasserstoffreservoir geöffnet worden. Zunächst wurde es jedoch wieder verschlossen und ignoriert. Erst zwei Jahrzehnte später besann man sich der Energiequelle, die heute ein kleines Kraftwerk antreibt und so das Dorf mit Strom versorgt. Die Betreiberfirma Hydroma sucht inzwischen seit über zehn Jahren mit Probebohrungen und seismischen Methoden nach weiteren Wasserstoffquellen und wurde auch schon fündig. Noch sind allerdings keine erschlossen, aber Hydroma erkundet bereits in Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen und Instituten Wege, Wasserstoff zu exportieren.

Doch wie entstehen Wasserstofflagerstätten eigentlich? Wie konventionelle Energieträger kann Wasserstoff aus abgestorbener Biomasse entstehen, und zwar unter hohem Druck und bei großer Hitze. Oft sind es aber eher diverse geologische Prozesse, bei denen Wasserstoff meist viele Kilometer unter der Erdoberfläche entsteht und dann durch Risse und Brüche in den Platten der Erdkruste aufsteigt. Hier und da sammelt er sich unter undurchlässigen Schichten, etwa alten Salzablagerungen, oder auch im porösen Sandstein und Karst, wie in Bourakébougou.

Nebenprodukt des radioaktiven Zerfalls

Ein solcher geologischer Prozess wäre zum Beispiel die sogenannte Radiolyse. In vielen Gesteinen gibt es Spuren radioaktiver Isotope des Urans oder auch von Thorium 230, das wiederum ein Zerfallsprodukt des Urans ist. Beim Zerfall der Isotope wird hochenergetische Strahlung abgegeben, die Wassermoleküle in ihre Bestandteile zerlegen und damit auch Wasserstoff freisetzen kann. Das Tempo des Zerfalls wird mit dem Begriff der Halbwertszeit beschrieben. Wenn diese verstrichen ist, ist die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Isotope zerfallen.

Die Halbwertszeiten der verschiedenen Isotope reichen von einigen Zehntausend bis zu mehrere Millionen Jahren. Im Falle des Uran 238 sind es sogar über vier Milliarden Jahre, weshalb es auf der Erde das mit großem Abstand häufigste Uran-Isotop ist. Als Isotope werden verschiedene Atomarten eines Elements bezeichnet, die alle die gleichen chemischen Eigenschaften haben, aber sich durch die Zahl der Neutronen in ihren Kernen unterscheiden. Manche Arten von Isotopen sind, wie die oben genannten, instabil. Das heißt, sie zerfallen irgendwann und setzen dabei radioaktive Strahlung in unterschiedlichen Formen frei.

Andere und vermutlich bedeutsamere Beispiele für die geologische Genese von Wasserstoff sind unterschiedliche Formen von Eisenoxidation bei hohen Temperaturen und der Anwesenheit von Wasser. Dazu gehört auch die sogenannte Serpentinisierung, die im mafischen, das heißt vulkanischen, Gestein abläuft. Dabei werden die Wassermoleküle aufgebrochen, und der im Wasser enthaltene Sauerstoff verbindet sich mit dem Eisen des Gesteins, während der Wasserstoff freigesetzt wird.

Eisenhaltige Gesteine sind auf allen Kontinenten weitverbreitet und nicht mit Eisenerz zu verwechseln. Insofern sind Geologen überzeugt, Wasserstoff in vielen Ländern aufspüren zu können. Untersuchungen aus Bourakébougou zeigen zudem, dass die dortige Lagerstätte sehr dynamisch ist und sich durch Zuströme aus dem tieferen Untergrund im gleichen Maße auffüllt, wie Wasserstoff entnommen wird. Damit wäre geologischer Wasserstoff, zumindest dort, sogar als erneuerbarer Energieträger anzusehen.

Bei all dem sollten allerdings einige Dinge nicht vergessen werden. Auch die Wasserstofflager werden zum Beispiel langfristig nicht unerschöpflich sein, und noch ist offen, wie schnell der Verbrauch die geologische Neubildung übersteigen wird.

Gemeinsames Vorkommen mit Methan

Vor allem müsste aber die Unbedenklichkeit für Klima und Umwelt erst noch nachgewiesen werden. Im lothringischen Vorkommen tritt der Wasserstoff im Gemisch mit Methan auf, was nicht verwunderlich ist. Auch herkömmliches Erdgas kann einige Prozent Wasserstoff enthalten. Ab einer Tiefe von 3000 Metern scheint in Frankreich der Wasserstoffgehalt allerdings immerhin bei 90 Prozent zu liegen. Von der Quelle in Mali berichtete das Fachjournal »Nature« im vergangenen Sommer, sie habe einen Methangehalt von einem Prozent.

Es bleibt also die Frage, was bei einer Förderung mit diesem Methan geschieht. Immerhin ist es ein fossiler Energieträger, dessen Verbrennung zur weiteren Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre führt. Es einfach in die Luft zu entlassen, wäre nicht wirklich die bessere Alternative, denn Methan ist zwar deutlich kurzlebiger als CO2, aber dafür ein vielfach effektiveres Treibhausgas. Nach 100 Jahren ist es weitestgehend verschwunden, jedoch ist es in dieser Zeit rund 20-mal so wirksam wie CO2, wenn man jeweils einzelne Moleküle vergleicht.

Bei aller Euphorie, die sich voraussichtlich vor allem bei den alten Energiekonzernen rund um den »weißen Wasserstoff« demnächst breitmachen wird, bleiben also ein paar der alten Fragen bestehen.

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