Cholera fordert Todesopfer auf Mayotte

Ressentiments und eine katastrophale Wasserversorgung im französischen Überseedepartement

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Choleraepidemie, die sich seit Mitte März im französischen Überseedepartement Mayotte ausbreitet, forderte ein erstes Todesopfer. Das dreijährige Mädchen stammte von den Komoren, einer 70 Kilometer entfernten Inselgruppe. Von dort migrieren schon seit Längerem jährlich Tausende Menschen illegal nach Mayotte, weil sie sich hier Arbeit und vielleicht auch die französische Staatsbürgerschaft erhoffen.

Zwar ist die im Indischen Ozean vor Ostafrikan gelegene Insel Mayotte das ärmste Departement Frankreichs, doch die Komoren, ein seit 1975 unabhängiger Staat mit einer dreimal größeren Bevölkerung und autoritärem Regime, ist noch ärmer. Mehr als drei Viertel der Einwohner von Mayotte und damit fünfmal mehr als im französischen Durchschnitt leben unter der offiziellen Armutsgrenze. Rund 38 Prozent kämpfen mit katastrophaler Hygiene in Elendssiedlungen und 29 Prozent verfügen nicht über fließendes Wasser.

Für die offiziell 320 000 Einwohner von Mayotte – die reale Zahl dürfte um einige Zehntausend höher liegen – gibt es auf der Insel nur ein Krankenhaus und die Zahl der Ärzte ist dreieinhalb Mal geringer als im französischen Durchschnitt. Das hat Konsequenzen für die medizinische Versorgung. So sind in Mayotte längst nicht alle, aber vergleichsweise mehr Einwohner gegen Cholera geimpft als in anderen Ländern der Region – auf den Komoren dagegen fast niemand. Dort wie in zahlreichen anderen afrikanischen Ländern grassiert die Seuche bereits seit Monaten und hat allein seit Jahresanfang 98 Tote gefordert.

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Bei allen der 65 bisher in Mayotte an Cholera erkrankten Patienten handelt es sich um illegale Einwanderer von den Komoren. Das heizt die schon lange ausländerfeindliche Stimmung in Mayotte noch mehr an. Davon profitieren die Regierung in Paris und die Behörden vor Ort. Im Rahmen einer seit Jahresbeginn laufenden Kampagne werden einige der Elendssiedlungen mit Wellblech- und Sperrholzhütten abgerissen. Sozialwohnungen als Ersatz bekommen aber nur Bürger von Mayotte, während Komorer, die dort lebten, in ihre Heimat abgeschoben werden.

In der Bevölkerung, die mehrheitlich der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen und deren ausländerfeindlichen Positionen zustimmt, wird darauf verwiesen, dass die Seegrenze zwischen Mayotte und den Komoren nach wie vor »porös« ist und weiter illegale Einwanderer und damit potenzielle Cholerapatienten kommen. Um ihren Forderungen nach energischeren Abwehrmaßnahmen Nachdruck zu verleihen, blockieren Einwohner der Inselhauptstadt Mamoudzou seit Tagen die Ausländerbehörde.

Gesundheitsminister Frédéric Valletoux war Anfang Mai nach Mayotte gereist, begleitet von 84 Ärzten und Pflegekräften zur Stärkung der Versorgung. Er erklärte, dass sich die Epidemie auf das Viertel Kirson in der Kleinstadt Koungou beschränke und die Situation unter Kontrolle sei. Das löste im Gesundheitswesen heftige Proteste aus, weil es absolut nicht der Lage entspricht. So fordern Ärzte und andere Mitarbeiter die umfassende Impfung der Bevölkerung. Doch es mangelt an Impfstoff. So wurden seit März erst 3700 Personen geimpft, und dies auch nur in Kirson. In den nächsten Tagen sollen 7000 folgen und für weitere 6000 wird Impfstoff im Laufe des Monats erwartet.

Der Gesundheitsminister erklärt das so: »Unsere Strategie besteht nicht in einer massiven, aber blinden Impfkampagne, sondern wir immunisieren zunächst die unmittelbaren Kontaktpersonen der bereits kranken Menschen und dann diejenigen, die innerhalb der letzten 48 Stunden vor Ausbruch der Krankheit mit den Kontaktpersonen zusammen waren.« Der Minister verwies darauf, dass die Regierung 240 Millionen Euro für die Modernisierung des Krankenhauses und für den Bau eines zweiten bewilligt hat. Er räumte ein, dass die Maßnahmen nicht sofort wirken.

Das Wasserproblem in Mayotte hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Choleraepidemie durch bakterienbelastetes Wasser ausbreiten konnte. Vor allem in den Elendssiedlungen fehlt es an einem funktionierenden Abwassersystem und an sauberem Trinkwasser. Die Versorgung kann seit Monaten nicht gewährleistet werden und fällt immer wieder für Tage völlig aus. Als Ersatz erhielt bisher jeder Einwohner pro Tag kostenlos eine Literflasche mit Trinkwasser, was aber völlig unzureichend ist. Diese Maßnahme sollte sogar wieder beendet werden, wird nun aber angesichts der Epidemie fortgesetzt.

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