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Wohnungsnot – »Mieten steigen nicht, sie werden erhöht«
Interview mit dem Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn
Hohe Mieten und Wohnungsnot sind allgegenwärtig. Gleichzeitig scheint es, dass die Mietenbewegung eher im Abstieg begriffen ist. Wie sehen Sie das?
Was wir als Mietenbewegung in Berlin in den letzten zehn Jahren geschafft haben, ist, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Versuche um 2011 herum, größere Demos zu machen. Da hat der Senat noch behauptet, es gibt kein Mietenproblem. Mit der großen Demo 2018 wurde der Mietenwahnsinn dann zum Thema der Stadt. Es war endlich allen klar, dass das ein zentrales soziales Problem ist, an dem man nicht mehr einfach vorbeikommt.
Wir haben in den Jahren auch ziemlich viele politische Erfolge feiern können. Viele einzelne Kämpfe, wie Häuser, die durch eine Ausübung des Vorkaufsrechts gerettet wurden. Jüngstes Beispiel ist das Tuntenhaus. Aber natürlich auch große Erfolge wie der erfolgreiche Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Gleichzeitig gab es Rückschläge. Die Rücknahme des Mietendeckels haben viele Mieter*innen sehr stark zu spüren bekommen. Und auch der absolute mietenpolitische Stillstand auf Bundesebene geht nicht spurlos an der Mietenbewegung vorbei. Wir bringen es deswegen ganz simpel auf den Punkt: Die Mieten sind zu hoch. Wir versuchen mehr Leute in der Stadt anzusprechen, weil das Problem ja nicht kleiner geworden ist.
Es ist mit Sicherheit ein Erfolg, dass 59 Prozent für den Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen gestimmt haben. Aber das ist doch am Ende mehr ein symbolischer Erfolg, weil mehr ist nicht passiert.
Es ist etwas sagbar geworden, was vorher undenkbar war, in den Mund zu nehmen. Ich denke aber, dass der Erfolg nicht nur symbolisch war. Viele Mieter*innen sind aktiv geworden, weil sie gemerkt haben, dass es sich auch lohnt zu kämpfen. Deutsche Wohnen & Co enteignen ist ja auch Teil einer größeren Bewegung. In den Beständen von Deutsche Wohnen und Vonovia wurden viele neue Initiativen gegründet, die sich erfolgreich gegen überhöhte Betriebs- und Heizkosten wehren. Ich glaube, das ist der Erfolg. Dass wir deutlich machen: Wir müssen es selber machen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die anderen das uns abnehmen, dass die Politik das regelt. Kämpfen lohnt sich.
Was denken Sie, müsste sich tun, damit sich der Senat an das Votum des Volksentscheids hält?
Was die Berliner Landesregierung und auch die Bundesregierung gerade machen ist ein kalkuliertes politisches Totalversagen. Es geht nicht darum, dass es keine Lösungen gibt. Die liegen auf dem Tisch, wie zum Beispiel die Umsetzung der Vergesellschaftung. Anstatt wirklich für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, werden aber die Profite von Investoren gesichert. Solange eine Politik gemacht wird, die nicht daran interessiert ist, sich um eine ordentliche Daseinsvorsorge für die Menschen in der Stadt zu kümmern, wird das sehr schwierig mit der Umsetzung des Volksentscheids. Deswegen schreibt die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen das Vergesellschaftungsgesetz nun ja auch selbst.
Denken Sie nicht, dass mit mehr Druck die Umsetzung unausweichlich gemacht werden kann?
Auf jeden Fall. Das tun wir ja gerade. Wir sind ja in einer Phase, wo wir daran arbeiten, stärker zu mobilisieren und stärker als bisher über unsere eigene aktivistische Blase hinauszugehen. Corona ist natürlich auch an uns nicht spurlos vorübergegangen. Trotzdem haben sich in letzter Zeit viele neue Initiativen hervorgetan. Wir wollen wieder eine klare Politik für die Mieter*innen. Der Druck ist auf jeden Fall da. Mieter*innen wehren sich. Mit unseren Kämpfen zeigen wir, wie es besser funktionieren kann. Wenn sich die Mieter*innen überall in Berlin organisieren und kollektiv Konflikte mit ihren Vermietern und der Politik führen, dann wird diese Stadt eine andere sein. Und das wollen wir am 1. Juni auf die Straße tragen, um diesem Komplettstillstand etwas entgegenzusetzen.
Die Mieten steigen, das eine Problem. Gleichzeitig gibt es in Berlin auch eine krasse Wohnungsnot. Was wäre ein Weg, dem zu begegnen?
Die Mieten steigen nicht, sie werden erhöht. Das ist ja kein Naturgesetz. Das ist das Problem, das ausnahmslos alle Mieter*innen betrifft. Wir sehen aber auch die Wohnungsnot. Diese wird aber mit dem, was gerade neu gebaut wird, nicht bekämpft. Die Wohnungen, die neu entstehen, haben Mietpreise von 20 Euro pro Quadratmeter und mehr. Wenn neu gebaut werden soll, muss das 100 Prozent kommunal passieren, 100 Prozent Sozialwohnungen auf Ewigkeit. Das ist das Einzige, was wirklich eine Lösung bieten würde. Wir reden aber auch viel zu viel über Bauen, Bauen, Bauen. Die 20 000 Wohnungen im Jahr, die sich die Landespolitik vorgenommen hat, sind ein Prozent aller Wohnungen. Es geht auch darum, Lösungen für den Bestand zu finden.
Eine Ihrer Forderungen ist ja auch ein Ende mit der Bodenspekulation.
Ja, ein Teil des Problems, warum die Preise im Neubau so hoch sind, ist, dass der Grund und Boden astronomische spekulative Preise hat. Wir sagen, Boden gehört nicht in private Hand. Das gilt für Wohnraumbebauung, aber auch für Flächen auf dem Land. Damit darf nicht weiter spekuliert werden.
Das sind ja systemverändernde Konsequenzen.
Die Mietenfrage ist eines der zentralen sozialen Probleme, das wir gerade haben. Wenn Grundbedürfnisse wie das Wohnen in privaten Händen sind, die damit möglichst hohe Gewinne daraus erzielen wollen, dann werden wir nie eine Versorgung schaffen, die Menschen angemessenen, guten und bezahlbaren Wohnraum bringt. Das können wir nur erreichen, wenn wir diesen gesamten Sektor gemeinwohlorientiert und möglichst in eigener Hand bewirtschaften.
Neben den vielen aktiven Mieter*innen gibt es sehr viele Menschen, die diesen Schritt nicht gehen, obwohl die Mietenfrage so zentral ist. Woran, denken Sie, liegt das?
Es gibt viele Menschen, die hart arbeiten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen und vielleicht noch Pflegeverpflichtungen haben. Ich kann sehr gut verstehen, dass sie die wenige Zeit, die ihnen noch bleibt, nicht auf Treffen verbringen wollen. Aber überall da, wo sich Mieter*innen zusammengetan haben, gibt das ganz viel Kraft. Man bekommt ein Gefühl dafür, sich gemeinschaftlich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Dieses solidarische Miteinander hilft, erfolgreich zu kämpfen. Dieses Gefühl würde ich gerne mitgeben. Und natürlich kann man uns ansprechen. Es gibt ganz viele Strukturen in der Stadt, die Unterstützung dafür bieten, Initiativen aufzubauen.
Sie haben von einem politischen Totalversagen gesprochen. Was wären denn Ihre Erwartungen an eine mieter*innenfreundliche Politik?
Um vielleicht ein paar Forderungen zu nennen: Wir brauchen sofort einen Mietendeckel auf Bundesebene. Die Landespolitik in Berlin könnte vorangehen und bei den Landeseigenen wieder einen Mietenstopp einführen – den es ja bis 2023 gab. Natürlich muss die Vergesellschaftung sofort umgesetzt werden. Und wir sehen in Eigenbedarfskündigungen in den letzten Jahren einen massiven Motor der Verdrängung. Das muss abgeschafft werden. Und natürlich das nie enden wollende Thema der Zwangsräumungen. Es darf einfach nicht sein, dass Leute auf die Straße geräumt werden. Das wären ein paar realpolitisch relativ einfach umsetzbare Forderungen. Dazu braucht es unseren Druck, den wir am 1. Juni auf die Straße bringen werden.
Sandra Koch ist Sprecherin des Bündnisses gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Über 300 Initiativen sind Teil der Vernetzung und rufen am 1. Juni um 14 Uhr zu einer Großdemo am Potsdamer Platz auf. Das Bündnis fordert unter anderem einen bundesweiten Mietendeckel und die Umsetzung des Volksentscheides von Deutsche Wohnen & Co enteignen.
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