Kein zweites Kopenhagen

Kurt Stenger zum Scheitern des Pandemieabkommens

Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen über ein Internationales Pandemieabkommen erinnert an die UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen: Obwohl sich damals die Länder einig waren, dass dort ein verbindlicher Vertrag zur Reduzierung der Treibhausgase auf den Weg gebracht werden sollte, ging man unverrichteter Dinge im Streit auseinander. Letztlich war dies ein heilsamer Schock: Die scheinbar gescheiterte Klimadiplomatie erfand sich neu, um später in Paris einen Vertrag zu beschließen.

Doch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit Blick auf das Pandemieabkommen jetzt beteuert, »die Vernunft wird siegen. Genau wie beim Klimaschutz, aber es dauert«, so ist das zumindest scheinheilig: Deutschland gehört zu den Ländern, die in einer Kernfrage der Verhandlungen eher für die eigene Pharmaindustrie als für eine effektive und gerechte Pandemievorsorge ringen. Die Frage, ob im Ernstfall Medizinprodukte bei ihnen Mangelware sein werden, ist für viele arme Länder nun mal vordringlich. Sie können sich nicht wieder mit einem Bruchteil der Arzneien, Impfstoffe und Diagnostika abspeisen lassen. Mit ihrer kalten Schulter machen die Industrieländer nur das Geschäft der Social-Media-Verschwörungsgruppen und rechter Regierungen, denen internationaler Ausgleich ein Graus ist.

Dass WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus vor der Weltgesundheitsversammlung jetzt das Erreichte lobt und auf Zweckoptimismus setzt, liegt das in seinem Amt begründet. Als Chef einer UN-Organisation muss er es allen Mitgliedsländern irgendwie recht machen, und die WHO kann nicht mehr tun, als die Kompromissfindung zu befördern.

Dass erstmal kein Abkommen statt eines schlechten beschlossen wird, ist gleichwohl kein Beinbruch. Es muss nichts überstürzt werden, denn rein statistisch ist es unwahrscheinlich, dass zeitnah die nächste Pandemie um die Ecke kommt. Viel wichtiger ist es, sich den Dauerbaustellen der internationalen Gesundheitspolitik zuzuwenden: sich wieder ausbreitende Armutskrankheiten wie Polio, Malaria oder Cholera, die gleichzeitige Zunahme von Unterernährung und Übergewicht, die ungewisse Zukunft in Zeiten des Klimawandels, aber auch darniederliegende öffentliche Gesundheitssysteme in armen Ländern. Die WHO-Versammlung kann vieles auf den Weg bringen – damit Genf kein zweites Kopenhagen wird.

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