Rohkost: Weg mit dem Kochtopf?

Eine reine Rohkost-Diät führt zum Mangel an bestimmten Nährstoffen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Bei diesem Kunstwerk ist alles roh, teils wäre ein Garvorgang vor dem Verzehr anzuraten.
Bei diesem Kunstwerk ist alles roh, teils wäre ein Garvorgang vor dem Verzehr anzuraten.

Rohes Fleisch, roher Fisch, rohe Eier, Rohmilchprodukte – das alles ergänzt durch kalt gepresste Säfte und unerhitzten Honig: Wer eine solche Diät problemlos übersteht, muss schon mit einer Rossnatur gesegnet sein – wobei Pferde ja eigentlich Pflanzenfresser sind.

Der Erfinder dieser ungewöhnlichen Ernährungsform, der US-Amerikaner Aajonus Vonderplanitz, war von seiner »Primal Diet« allerdings so überzeugt wie ein Prophet von seiner Botschaft. Der Rohkost, vor allem in Form tierischer Produkte, schrieb er das Potenzial zu, alle möglichen Krankheiten zu heilen. Die meisten anderen Rohkost-Formen setzen zwar vor allem auf Pflanzliches, sind aber manchmal kaum weniger bizarr: Die »Urkost« des Steuerexperten Franz Konz zum Beispiel sieht vor, Obst, Gemüse und Wildpflanzen samt Würmern und sämtlichen Mikroorganismen zu verspeisen – Waschen ist nicht vorgesehen.

Bei solchen Tipps schlagen Ernährungsexpertinnen und -experten die Hände über dem Kopf zusammen. Aus hygienischer Sicht sind rohe tierische Produkte nämlich bedenklich. »Sie können zum Beispiel mit Salmonellen oder Listerien verunreinigt sein«, sagt die Ernährungsberaterin Ursula Leyendecker-Bruder aus Köln. Für Schwangere, Kleinkinder, Senioren und immungeschwächte Menschen können solche Lebensmittelinfektionen gefährlich werden.

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Aber auch an rohem Obst und Gemüse können krank machende Keime kleben. Daher betont die Ernährungswissenschaftlerin Gabriele Kaufmann vom Bundeszentrum für Ernährung (BZfE): »Auch wenn der Salat aus dem eigenen Garten kommt, soll man ihn gründlich waschen.« Zum Beispiel könnten Insekten, die sich darauf gesetzt haben, Krankheitserreger übertragen.

Es gibt aber noch ganz andere Gründe, die gegen Rohkost-Diäten à la Konz sprechen. Vor Jahren ergab eine Studie der Uni Gießen, dass Menschen, die lange Zeit größtenteils von rohem Obst und Gemüse lebten, zu Nährstoffmangel neigten. So waren sie häufig mit Vitamin B12, aber auch mit Vitamin D, Zink, Jod und Kalzium unterversorgt. Zugleich waren sie meist schlank bis untergewichtig. »Bei einer solchen Ernährungsform läuft man Gefahr, zu wenig Energie aufzunehmen«, sagt Leyendecker-Bruder. Nimmt man es streng, fallen auch Getreideprodukte wie Nudeln und Brot weg, die viel Energie liefern.

Allerdings profitieren viele Menschen davon, wenn sie vermehrt Rohkost in den Ernährungsplan integrieren. Sie kann zum Beispiel helfen, das Gewicht zu kontrollieren: Wer vor dem Fernseher Karottensticks statt Kartoffelchips knabbert, vermeidet fettig-salzige Kalorienbomben – hinzu kommt, dass die Suchtgefahr bei Möhren gering sein dürfte. Zu viel sollte man vom Rohkost-Futtern aber nicht erwarten, warnt Kaufmann: »Wer wirklich langfristig und ausgewogen abnehmen möchte, sollte sich professionell beraten lassen.«

Gemüse richtig zubereiten

Rhabarber: Roh ist das Staudengemüse in größeren Mengen nicht empfehlenswert. Es enthält Oxalsäure, die sich beim Kochen teilweise löst. Das Kochwasser sollte nicht weiterverwendet werden. Oxalsäure behindert unter anderem die Aufnahme von Kalzium.
Süßkartoffeln: Meistens wird sie gegart gegessen (gebacken oder gebraten). Grundsätzlich kann man sie aber auch roh essen, zum Beispiel in einem Salat. Auch Süßkartoffeln haben einen hohen Oxalsäuregehalt, der sich durch Kochen reduzieren lässt. Mit Kartoffeln, die roh schwer verdaulich sind, haben die Knollen wenig gemein.
Bohnen: Hülsenfrüchte wie grüne Bohnen und Kidneybohnen enthalten roh viel giftiges Phasin. Die Eiweißverbindung Phasin, die zur Gruppe der Lektine gehört, wird durch hohe Temperaturen zerstört.
Daher empfiehlt die Verbraucherzentrale, Bohnen und andere Hülsenfrüchte mindestens für 15 Minuten bei 100 Grad Celsius zu kochen.
Rosenkohl: Wie andere Kohlsorten kann man ihn – zumindest theoretisch – auch roh essen. Giftig ist ungegarter Kohl nämlich nicht, dafür aber mitunter schwer verdaulich. Wie gut man bestimmte Kohlsorten roh verträgt, ist individuell sehr unterschiedlich. ast

Rohes Obst und Gemüse ist meistens gesund, aber nicht immer. In der Regel nimmt man mehr Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe zu sich, da manche davon beim Erhitzen zerstört werden. »Vor allem Vitamin C ist ein Mimöschen«, sagt Kaufmann. Der Stoff ist nicht nur gegenüber Hitze, sondern auch gegenüber Licht und Sauerstoff empfindlich und kann außerdem vom Körper nicht gespeichert werden. Auch die meisten B-Vitamine und einige sekundäre Pflanzenstoffe, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken, halten hohen Temperaturen nicht gut stand. Wie stark der Nährstoffgehalt beim Zubereiten schrumpft, hängt von der Gemüseart sowie der Zubereitungsweise ab. Grundsätzlich ist Dampfgaren oder kurzes Blanchieren schonender als längeres Kochen. Mineralstoffen kann Hitze zwar nichts anhaben, dafür können sie sich im Kochwasser lösen.

Umgekehrt sind manche Nährstoffe besser verwertbar, wenn Gemüse erhitzt wird. »Beta-Carotin aus Karotten und Lycopin aus Tomaten kann der Körper erst aufnehmen, wenn durch Garen die Zellwände aufgebrochen werden«, sagt Leyendecker-Bruder. Beide Stoffe gehören zu den Carotinoiden, die viele positive Wirkungen haben, zum Beispiel möglicherweise zum Schutz vor Krebs beitragen.

Es gibt auch Pflanzen, die roh nicht verzehrt werden dürfen – allen voran Hülsenfrüchte. »Die Lektine darin sind unverträglich und können schlimmstenfalls Vergiftungserscheinungen auslösen«, erklärt die Ernährungsberaterin. Diese Proteine können die roten Blutkörperchen verklumpen lassen und sind in größeren Mengen bedenklich. »Linsen, Bohnen und Kichererbsen sollte man daher auf gar keinen Fall roh essen«, sagt Leyendecker-Bruder. Da Hitze das Gift zerstört, ist es wichtig, Hülsenfrüchte mindestens 15 Minuten zu kochen. Ein Sonderfall sind Erbsen und Zuckerschoten: Sie enthalten kaum Lektine. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) darf man daher ruhig die eine oder andere rohe Erbse naschen – größere Mengen können aber Verdauungsprobleme verursachen.

Auch Kartoffeln sollten gegart werden. Ihr hoher Stärkeanteil macht sie schwer verdaulich, wie Leyendecker-Bruder erklärt. Erst durch Hitzeeinwirkung wird die Stärke so umgewandelt, dass der Körper sie gut verarbeiten kann. Wie andere Nachtschattengewächse enthalten Kartoffeln außerdem Solanin, das in großen Mengen zu Vergiftungserscheinungen führen kann. Vor allem in grünen und keimenden Kartoffeln findet sich der Stoff in höheren Konzentrationen. Daher sollte man grüne Stellen und Keimansätze vor dem Zubereiten herausschneiden. Hitze zerstört Solanin laut Verbraucherzentrale zwar nicht, doch führt Kochen dazu, dass sich der Stoff teilweise in Wasser löst. Deshalb sollte man es anschließend wegschütten.

Es gibt weitere Früchte, die auf Rohkostplänen nichts zu suchen haben: Neben Holunderbeeren, die unerhitzt giftig sind, sind das Wildpilze. Pilzexperten empfehlen, sie mindestens 15 Minuten lang gut durchzugaren. Das hat mehrere Gründe: Manche Arten, etwa Perlpilz und Hallimasch, enthalten Gifte, die durch Erhitzen zerstört werden. Außerdem wird das schwer verdauliche Eiweiß in Wildpilzen so bekömmlicher. Damit nicht genug: An Wildfrüchten könnten Eier des Fuchsbandwurms kleben, die durch Hitze abgetötet werden.

Andere Lebensmittel sind ungegart zwar nicht giftig, aber ebenfalls schwer verdaulich. So können manche Kohlsorten Bauchschmerzen bereiten, wenn sie roh gegessen werden. »Je länger Gemüse oder Obst gegart wird, desto bekömmlicher wird es«, sagt die BZfE-Expertin Kaufmann. Welche Gemüsearten auch roh gut vertragen werden, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bis zu einem gewissen Grad können sich jedoch auch empfindliche Mägen an Rohkost gewöhnen, indem man die Mengen vorsichtig steigert – dabei hilft sorgfältiges Kauen. Öfter Karotten- und Paprikasticks zu knabbern ist sicherlich gesund, doch sollte man es nicht übertreiben. Die DGE empfiehlt, Obst und Gemüse mal gegart, mal roh zu essen. Am Ende gilt: Die Mischung macht’s.

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