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Idee und Maschine
Kann künstliche Intelligenz intelligente Kunst erschaffen?
Wie jeder neuen Technologie, wird auch der sogenannten künstlichen Intelligenz a priori mit Misstrauen begegnet. Und wie schon bei der Einführung der Schallplatte, des Tonfilms, der Musikcassette, der selbst gebrannten CD, dem Sampling, der Verbreitung digitalisierter Musik im Internet und Video-Uploads bei Youtube wurde die Verletzung von Urheberrechten zum ersten und letzten Argument gegen die neuen Technologien gemacht, ohne letztlich ihre Durchsetzung, Verbreitung und Akzeptanz zu verhindern.
Auch der KI-gestützten Herstellung von Bild- und Tonwerken wurde umgehend von prominenter Seite eine Absage erteilt. So schlug beispielsweise Noam Chomsky vor, statt von Künstlicher Intelligenz, von Plagiatssoftware zu sprechen, da sich die KI ja aus vorhandenen Werken von zahllosen unbekannten Urhebern speise. Die Frage, die sich nun stellt, ist: tut ein Künstler das nicht auch? Stellt das mit natürlicher Intelligenz (NI) produzierte Werk eines Urhebers eine originäre durch keinerlei Vorwissen geprägte Leistung dar? Oder speist sich seine Kreativität nicht ebenfalls aus unzähligen Erfahrungen und Erinnerungen, die er im Laufe seines Lebens gesammelt und abgespeichert hat und die im Akt seiner Schöpfungstätigkeit bewusst oder unbewusst ihren Ausdruck findet?
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Geht es beim Vergleich zwischen NI und KI also nicht einfach um die unterschiedlichen rein quantitativen Zugriffs- und Verarbeitungsmöglichkeiten auf, beziehungsweise von Daten? Ist menschliche Kreativität so einzigartig und individuell, dass Computer sie nicht erzeugen können? Neuere Erkenntnisse und Experimente zeigen eher das Gegenteil. Bei Aufgaben, die explizit unkonventionelle Lösungsansätze abfragten, schnitten Maschinen bereits besser ab als Menschen, auch wenn es einzelne signifikante Ausnahmen gab.
Kreativität scheint letztlich nur eine bestimmte Form der Verarbeitung vorhandener Daten zu sein, keine quasi unerklärliche göttliche Eingebung. KI imitiert NI auf einer globalen Basis, aber in ihren Ergebnissen zeigt sie gleichzeitig umgekehrt, wie Kreativität in der biologischen Denkmaschine eigentlich funktioniert. Sie relativiert damit den bisher für einzigartig gehaltenen Schöpfungsakt menschlicher Ideen. Urheberrechtliche Relevanz von Kunst- und Musikwerken entstand dabei bisher nur anhand der inhärenten Struktur des einzelnen Werkes selbst, ungeachtet der Art und Weise, wie es hergestellt wurde und ungeachtet eventueller Fremddaten, die in den kreativen Prozess eingeflossen sind, wenn diese in dem Werk nicht auf »Schöpfungshöhe« nachgewiesen werden können. Insofern dürfte es schwierig werden, urheberrechtliche Forderungen an KI-generierte Werke allgemein zu begründen.
Wie intelligent diese künstliche Kunst ist, beziehungsweise für wie intelligent man sie hält, kann nur eine Frage der Interpretation sein – und die ist in der Kunst, wie jeder weiß, subjektiv. Jeder Jeck ist anders. Was der eine für intelligent hält, findet ein anderer dumm. Vermutlich wird man in Touring-Vergleichstests die KI eher daran erkennen, dass sie intelligenter wirkt, als die Erzeugnisse der NI. Das verursacht bei ihrem menschlichen Vorläufer eine existenzielle Kränkung des künstlerischen Intellekts und Selbstwertgefühls. Insbesondere weil er gleichzeitig weiß, dass auch diese neue Technologie wieder ganze Industrien zerstören und einen weiteren wirtschaftlichen Kahlschlag verursachen wird.
Waren die bisherigen Veränderungen des technologischen Umfelds stets auf Teilaspekte kreativer Tätigkeit gerichtet, in denen immer noch der Mensch als intellektueller Mittelpunkt und Direktor seine unersetzliche Funktion innehatte, so wird mit der KI auch diese letzte Bastion angegriffen: wir haben es mit nichts Geringerem als der Mechanisierung menschlichen Denkens zu tun. Und nicht nur das: Das künstliche Gehirn ist unsterblich, vergisst nichts, kann sich direkt vernetzen, auf bisher unvorstellbare Datenmengen zugreifen und diese in Geschwindigkeiten verarbeiten, die menschliche Fähigkeiten schon seit Langem übertreffen. Nicht nur der Künstler wird zum chancenlosen Konkurrenten der Maschine. Zumindest im Reich der Notwendigkeiten. Ob das, was ihm bleibt, das Reich der Freiheit sein wird, oder einfach das der Nutzlosigkeit, steht auf einem anderen Blatt.
Man kann jedenfalls vermuten, dass der Begriff der Kunst, wie wir ihn heute verstehen, verschwinden und durch eine hyperindividualisierte maschinelle Selbstermächtigung ersetzt wird, in der der einzelne Mensch zum Künstler und Rezipienten aufsteigt, während gleichzeitig die Software-Industrie ihre Supercomputer gegeneinander antreten lässt, im Kampf um die beste Maschine zur totalen Unterhaltung der zur Untätigkeit verdammten Menschheit.
Der Angriff der Künstlichen Intelligenz trifft auf eine Kunst, die bereits angeschlagen ist, seit sie ihren Höhepunkt etwa Mitte des letzten Jahrhunderts überschritten hatte. Der letzte Versuch, ihr durch Ausrichtung auf »politische Korrektheit« noch Bedeutung zu verleihen, hat ihr den Todesstoß versetzt.
Begleitet wird der Kampf der Daten durch eine programmierbare globale Hardware-Produktionssphäre, die Ideen umgehend in Dinge verwandeln und dem Konsumenten physisch zur Verfügung stellen kann. Joseph Beuys’ durchaus emanzipatorisch gemeintes Postulat, dass »jeder ein Künstler« sein soll und kann, wird sich dann sogar in der oft missverstandenen Bedeutung bewahrheiten, dass Menschen buchstäblich zu »Künstlern«, also Produzenten von »Kunst« werden. Nur dass es dann keine mehr ist, denn es ist ja die Maschine, die es tut. Das ist eine wahrhaft hegelianische und zutiefst dialektische Aufhebung des Begriffs »Kunst«, der eine gute Ära von etwa 300 Jahren hatte und nun einem neuen Zeitalter Platz macht, dem die Kunst nun aus ihrem reichhaltigen Fundus als Angestellte zuarbeitet.
Moritz Reichelt ist Maler und Musiker, er ist Mitgründer und Sänger von Der Plan
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