- Wirtschaft und Umwelt
- Schulden von Privathaushalten
Privatschulden: Berufstätig, online, pleite
Die Folgen von Inflation und Internettricks treffen auch vormals Gutsituierte
Schuldnerberatungen empfangen vermehrt Menschen, die dort früher nicht anzutreffen gewesen wären: Personen mit einer festen Anstellung, Wohneigentum und Selbstständige. Auch der Anteil der Rentner*innen steigt. Das ergibt eine bundesweite Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände (AG SBV). Die Nachfrage nehme zu, und das liege nur bedingt am steigenden Bekanntheitsgrad der Beratungsstellen, sagt Roman Schlag, Sprecher der AG SBV. Es bestätige sich ein Trend, der bereits während der Pandemie absehbar war.
Durch Inflation und geringe Lohnsteigerungen in einigen Branchen, Kurzarbeit und befristete Arbeitsverträge hat sich die Lebenssituation für viele verschärft. Ein großer Teil des Einkommens fließt inzwischen in Energie- und Mietkosten. So lag der Anteil der Wohnkosten am Haushaltseinkommen 2023 bei durchschnittlich 25,2 Prozent. Die Schuldnerberatungen unterstützen nun deutlich mehr Menschen, die ihre Finanzen früher noch gut in den Griff bekommen haben, sagt Schlag. 2023 betrug die Überschuldungsquote der privaten Haushalte laut Schuldneratlas der Creditreform 8,15 Prozent. Überschuldung liegt dann vor, wenn die Haushalte nicht mehr in der Lage sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzugehen – weder durch erwartbares Einkommen noch durch Vermögen.
Ein neues Problem sind sogenannte »Jetzt kaufen, später bezahlen«-Modelle, die insbesondere im Onlinehandel immer mehr zur Regel werden. Rechnungen können in Raten oder nach einem längeren Zeitraum beglichen werden, Direktzahlmöglichkeiten gibt es zum Teil nicht mehr. Wenn das Geld vom Konto abgebucht wird, wüssten viele gar nicht mehr, worum es ging, erzählt Marco Rauter, Vorsitzende der LAG Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin. »Man ist bei Vollprofis verschuldet, die genau wissen, was sie tun«, führt er aus. In vielen Fällen ist ein Insolvenzverfahren der einzige Ausweg.
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Die Tricks im Onlinehandel führen dazu, dass immer mehr junge Menschen Beratungen in Anspruch nehmen. Für den Schuldenexperten Schlag ein Alarmsignal. »Gerade junge Menschen melden sich erst, wenn der Schuldenberg bereits sehr hoch ist.« Deswegen fordert die AG SBV mehr Angebote zum Erwerb von Medien- und Finanzkompetenz. Laut dem Jugend-Finanzmonitor der Schufa von 2022 unterstützen 93 Prozent der Jugendlichen diese Forderung.
Auch gesetzlich sehen Experte*innen Handlungsbedarf. Wichtig seien, so Wiebke Rockhoff, Referentin für Schuldnerberatung der Diakonie, Gesetze für mehr Transparenz vor Abschluss eines Kaufs, ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung und die dauerhafte Finanzierung der Beratungsleistungen. »Verschuldung ist in unserer Marktwirtschaft erwünscht und wird gefördert«, sagt sie. Wenn Personen in Notlagen geraten, kippe die Situation jedoch schnell. Das könne inzwischen jedem passieren.
Diesbezüglich setzt die AG SBV Hoffnung in die Umsetzung der aktualisierten Richtlinie zu Verbraucherkreditverträgen, zu der das FDP-geführte Justizministerium und das grüne Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV) bis November 2025 ein Gesetz realisieren müssen. Danach müssten Anbieter künftig ausführlich über Geschäfte und Risiken informieren und EU-Mitgliedstaaten einen verlässlichen Zugang zu Beratungen garantieren.
Aus dem BMUV heißt es dazu gegenüber »nd«, ein entsprechender Entwurf werde im Spätsommer vorgelegt. Darin ist auch eine Regelung der »Jetzt kaufen, später bezahlen«-Modelle vorgesehen, um das damit verbundene Überschuldungsrisiko einzugrenzen. Die Umsetzung des EU-Rechts eröffne noch weitere Möglichkeiten, findet Linda Heitmann, Sprecherin für Verbraucherschutz (Die Grünen). So könnte man eine Mindestsumme festlegen, unter der keine »Jetzt kaufen, später bezahlen«-Angebote möglich seien. Bei Minikrediten sollte eine Kreditwürdigkeitsüberprüfung stattfinden, die Forderungen aus bestehenden Kreditverträgen berücksichtigt, die Kreditentscheidung sollte nachvollziehbar sein und Verbraucher*innen sollten in finanziellen Krisen ein Recht auf angepasste und flexible Rückzahlungsoptionen haben, so Heitmann zu »nd«.
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