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Italien: Das politische Erdbeben blieb aus

In Italien, drittgrößte Volkswirtschaft der EU, kann die Regierung von Giorgia Meloni bei der EU-Wahl ihre Macht konsolidieren – mehr aber auch nicht

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht über die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament bei einer Pressekonferenz im Wahlkomitee der Partei Fratelli d’Italia.
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht über die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament bei einer Pressekonferenz im Wahlkomitee der Partei Fratelli d’Italia.

Wie groß war der Erfolg von Giorgia Meloni bei der Europawahl? So eindeutig wie es auf den ersten Blick scheint, sind die Verhältnisse nicht. Ministerpräsidentin Meloni, politisch groß geworden in der Tradition einer sich explizit am Faschismus orientierenden Partei, konnte rund 6,7 Millionen Stimmen für ihre Partei Fratelli d’Italia (FdI) gewinnen. Gegenüber den italienischen Parlamentswahlen vom September 2022 hat die Partei damit über 600 000 Wähler verloren. Das liegt vor allem daran, dass die Wahlbeteiligung auf magere 49,7 Prozent gesunken ist und erklärt auch den höheren prozentualen Stimmenanteil bei dieser Wahl gegenüber den Parlamentswahlen. Dabei gehört Italien traditionell zu den Ländern mit einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung in der EU. Die anhaltende Krise der traditionellen Parteien als Mittler zwischen Institutionen und der Gesellschaft ist die wichtigste Ursache für diesen Trend.

Der relative Erfolg der rechtsextremen und faschistischen Kräfte in Italien war erwartbar, mehr als ein solcher ist es nicht. »Kein Erdbeben: Rom ist nicht Paris oder Berlin«, schreibt die linksliberale Tageszeitung »Domani«. Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung haben die beiden stärksten Parteien real nur 14 (Fratelli d’Italia – FdI) bzw. 12 Prozent (Demokratische Partei – PD) der Wahlberechtigten überzeugen können. Das zeigt, wie groß die Legitimationskrise des repräsentativen parlamentarischen Systems ist. Dies trifft nicht allein auf Italien zu, in vielen osteuropäischen EU-Ländern liegt die Wahlbeteiligung noch darunter. Der italienische Regierungsblock um Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia hat 47,7 Prozent der abgegebenen Stimmen geholt, das heißt, eine absolute Mehrheit hat die Rechte nach diesem Wahlergebnis nicht.

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Meloni kann ohne Frage einen politischen Erfolg verbuchen, vor allem wenn man als Maßstab die vorangegangenen Europawahlen von 2019 heranzieht: Damals gewann FdI nur 6,4 Prozent, ein Zugewinn also von mehr als 20 Prozent. Dieser Vergleich hat jedoch kaum Aussagekraft, weil sich seitdem politisch viel bewegt hat in Italien und Europa. Auf dem absteigenden Ast sind die Lega und die links-populistische Fünf-Sterne-Bewegung, die bei rund zehn Prozent gelandet sind.

Die 47-jährige Meloni trat als Chefin einer Regierung mit Amtsbonus an, ist als Person beliebt und weiß sich nach außen als lächelnde Ministerpräsidentin in Szene zu setzen. Sie trat selbst als Spitzenkandidatin an, konnte mehr als 2,3 Millionen Stimmen auf sich vereinen. Im Inneren treibt sie den Umbau der italienischen Politik und Gesellschaft voran, verschiebt das politische Pendel in Richtung einer extrem konservativen Politik mit faschistischen Elementen.

So hat die alleinerziehende Mutter das Recht auf Abtreibung de facto stark eingeschränkt. Ihr Ziel: die Geburtenrate, eine der niedrigsten weltweit, nach oben zu treiben. Diese Entscheidung steht in Einklang mit der Abschottungspolitik gegenüber Migranten: Meloni will keine nicht-weißen Migrantenkinder, um den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten, sondern mehr Bio-Italiener. Bei diesem Ziel ist sie sich blind einig mit ihrem Koalitionspartner von der Lega, Matteo Salvini, der zumindest verbal meist noch radikalere Töne anschlägt.

Völkisch-nationalistische Ideen sind in die politischen Überzeugungen Melonis eingeschrieben und spiegeln sich konsequenterweise in den Entscheidungen der Regierung wider, wenn auch nicht so offensichtlich und radikal. Die kürzlich beschlossene Einschränkung des Rechts auf Abtreibung ist dabei nur ein Element und war in den vergangenen Jahren bereits de facto durch eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses und die Erstarkung von Abtreibungsgegnern in der Gesellschaft Realität geworden: Die Zahl der Ärzte, die aus Gewissensgründen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, hat sich signifikant vergrößert. Beim G7-Gipfel stritt sich Meloni in dieser Frage auch mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der das Recht auf Abtreibung erst vor kurzer Zeit in den Verfassungsrang erhoben hat, und will nach Angaben von Diplomaten in der Abschlusserklärung ein klares Bekenntnis zu sicheren und legalen Abtreibungen verhindern.

Melonis Wählerklientel speist sich nicht nur aus rechtsextremen Nostalgikern, die der faschistischen Vergangenheit Italiens nachtrauern. Auch unter Arbeitern hat sie zunehmend Anhänger, aber bei den Unterschichten dominieren andere Parteien wie die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega. Große Erfolge hat Meloni nicht vorzuweisen, viel an ihrer Politik ist Propaganda, vor allem in der Sozialpolitik. Das von der Vorgängerregierung eingeführte Bürgergeld hat sie abgeschafft. Kein Wunder also, dass das Bündnis aus Grünen und Linken 6,7 Prozent der Stimmen gewinnen konnte und damit ins Europaparlament einzieht.

Giorgia Meloni begreift die Festigung ihrer Wählerbasis als Chance, um ihrem Politikverständnis auch in Europa mehr Raum zu verschaffen, im Zusammenspiel mit anderen rechten Regierungen wie der ungarischen oder niederländischen. An der Frage, wer sich als Nächstes auf den Sessel des Präsidenten oder der Präsidentin der EU-Kommission setzen soll, gehen die Positionen jedoch auseinander. Die Freundschaftsbezeugungen zwischen Meloni und Ursula von der Leyen deuten zwar darauf hin, dass Italien eine zweite Amtszeit von der Leyens unterstützen würde, doch Matteo Salvini will die deutsche EU-Kommissionschefin eigentlich loswerden.

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