Bildungssystem »am Anschlag« – Zahl der Schulabbrecher steigt

Zu wenig Fachkräfte, Unterfinanzierung und hohe soziale Ungleichheit – Nationaler Bildungsbericht attestiert starke Mängel

Lehrkräftemangel, fehlendes Geld, große Chancenungleichheit: Das deutsche Bildungssystem steht vor riesigen Herausforderungen.
Lehrkräftemangel, fehlendes Geld, große Chancenungleichheit: Das deutsche Bildungssystem steht vor riesigen Herausforderungen.

52 300 Jugendliche gingen 2022 ohne Abschluss von der Schule – der Anteil der Schulabbrecher steigt damit auf 6,9 Prozent. Das geht aus dem Nationalen Bildungsbericht hervor, der alle zwei Jahre vom Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) veröffentlicht wird. Im Vorjahr lag der Anteil der Schulabbrecher nach Daten des Statistischen Bundesamtes bei 6,2 Prozent und 2020 laut Bildungsbericht bei 5,9 Prozent.

»Das Bildungssystem arbeitet am Anschlag und steht unter großem Anpassungsdruck«, warnt Kai Maaz, geschäftsführender Direktor des DIPF, der den hunderte Seiten umfassenden Bericht am Montag gemeinsam mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und saarländischen Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) in Berlin vorstellte.

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Zu den größten Herausforderungen zählen demnach der Mangel an Fachkräften, die anhaltende soziale Ungleichheit sowie Transformationsbedarf im Blick auf Digitalisierung und die Integration von zugewanderten Kindern.

Personalmangel überall

»Wir haben Personalengpässe in allen Bildungsbereichen«, so Maaz. Im Kitabereich etwa sei die Zahl der Pädagogen im vergangenen Jahrzehnt zwar um 54 gestiegen, trotzdem ist aber zu erwarten, dass die Personallücke in Westdeutschland bis 2035 anhält. In Ostdeutschland kann der Personalbedarf inzwischen weitestgehend gedeckt werden, allerdings gibt es hier in der Regel weniger Personal pro Kind. Auch in der Schule, in der beruflichen Bildung und im Weiterbildungssektor fehlt es an Lehrkräften.

Ein weiteres Problem: Bedingt durch den Fachkräftemangel steigt an Bildungseinrichtungen der Anteil des Personals ohne pädagogische Ausbildung. Im schulischen Sektor waren 2023 beispielsweise unter allen neuangestellten Lehrkräften zwölf Prozent Seiteneinsteiger ohne Lehramtsausbildung. Bei gewaltigen Länderunterschieden allerdings: In Sachsen-Anhalt lag ihr Anteil bei 53 Prozent, in Bayern und Rheinland-Pfalz nur bei ein Prozent.

»In der Gruppe der Zugewanderten liegt ein großes Potenzial«, sagt Maaz am Montag. Aber: Die Anerkennung von entsprechenden Berufsqualifikationen für Lehrkräfte aus dem Ausland sind von Bundesland zu Bundesland anders geregelt. Lediglich in 14 Prozent der Fälle werden die Qualifikationen als gleichwertig anerkannt. Bei zwei Dritteln aller Anträge wird die Anerkennung an die Erfüllung einer Ausgleichsmaßnahme, zum Beispiel Sprachkurse, gekoppelt. »Hier müsste darüber nachgedacht werden, wie man Hürden eventuell abbauen kann«, sagte Maaz.

Hohe Chancenungleichheit

Sozial bedingte Ungleichheiten in der Bildung bleiben weiterhin hoch. Nur 32 Prozent der Kinder aus sozial benachteiligten Familien erhalten laut der Erhebung eine Gymnasialempfehlung, verglichen mit 78 Prozent aus priviligierten Familien. Während nur sieben Prozent der Kinder aus privilegierten Familien trotz Empfehlung kein Gymnasium besuchen, sind es bei benachteiligten Familien 17 Prozent.

»Die sozialen Disparitäten in unserem Bildungssystem von der Kita bis zur Weiterbildung sind ein riesiges Dauerproblem, die Politik schafft es nicht, daran etwas zu ändern«, kritisiert Studienautor Maaz und fügt hinzu: »Warum haben all die lobenswerten Bildungsinitiativen von Bund und Ländern, all das Geld, das in sie hineingesteckt wurde, keine messbare Wirkung erzielt hin zu einer flächendeckenden Verbesserung von Bildungschancen und Bildungsqualität?«

Zwar sind die Ausgaben für Bildung in den vergangenen zehn Jahren um 46 Prozent gestiegen, doch der Bedarf werde dadurch nicht abgedeckt, so die Studienautoren. Bezogen auf die Wirtschaftskraft Deutschlands ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt nur um 0,2 Prozent gestiegen.

Insbesondere im Bereich der Digitalisierung und in der Integration von zugewanderten Schülern sehen die Forscher große Herausforderungen. Woher mehr Geld für zusätzliche Ausgaben in diesen Bereichen herkommen soll – etwa für den von der Bundesregierung geplanten Digitalpakt 2.0 oder Sprachförderprogramme – bleibt aufgrund des von der Ampel selbstauferlegten Sparzwangs allerdings unklar.

»Es muss deutlich mehr Geld in das Bildungssystem, das seit vielen Jahren erheblich unterfinanziert ist, investiert werden«, mahnte Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, am Montag. Mit diesen Mitteln müssten insbesondere arme Kinder und deren Familien sowie Bildungseinrichtungen in herausfordernder Lage unterstützt werden, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg endlich aufzubrechen.

Linke-Abgeordnete Nicole Gohlke forderte am Montag: »Fällig wäre jetzt endlich ein großer Wurf: Ein 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bildung.«

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