Sklaven des Ruhms

Die Disney-Serie »Becoming Karl Lagerfeld« zeichnet den Aufstieg des Modezaren Anfang der Siebziger nach

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Daniel Brühls mangelnde Ähnlichkeit mit Karl Lagerfeld ist in dieser Serie belanglos.
Daniel Brühls mangelnde Ähnlichkeit mit Karl Lagerfeld ist in dieser Serie belanglos.

Yves Saint Laurent! Der Name allein hat ja in jeder Silbe mehr Grandezza und Stil, Glamour und Sexappeal als alle deutschen Shoppingcenter zusammen – selbst, wenn es darin seine unerschwinglichen Kleider zu kaufen gibt. Seit er sich 1961 von seinem Förderer Christian Dior getrennt und zum größten Pariser Modemacher aufgeschwungen hatte, war YSL, wie sich die Ikone der Haute Couture nennen ließ, also das Gegenteil jener Gestalt, die mit Karl Lagerfeld elf Jahre später in einer fantastischen Fashionserie gegenübersteht.

KL, wie der sich schon 1972 auf praktisch jedes Stück Stoff sticken lässt, ist seinerzeit nur einfacher Gast beim Firmenjubiläum seines Rivalen. Im Kreise der gesamten Pariser High Society sind die Rollen demnach klar verteilt: Hier der französische Superstar, dort der hanseatische Parvenü. Hier ein alter Freund, der höher kaum steigen könnte, dort sein neuer Rivale, der erst noch nach oben will. Hier Macht, Prestige und Würde, dort Ehrgeiz, Protestantismus und Fleiß. Hier wie dort also klare Positionen einer festen Hierarchie? Nicht im hochkomplexen Disney-Sechsteiler von Jérôme Salle und Audrey Estrougo.

»Beim letzten Mal bin ich mit Papiertüte vorm Mund am Boden erwacht, und das Einzige, was mich am Leben erhalten hat, war der Gedanke, mit meinen Karlito von damals auf dem Bett«, sagt YSL mit gramgebeugtem Kreuz inmitten seiner Festgesellschaft zum kerzengeraden KL. »Ich bin ein Sklave des Ruhms«, flüstert er noch – dann bricht der 35-Jährige unterm Ballast von Depressionen, Drogensucht und Paranoia zusammen. Es ist die Schlüsselszene einer Serie, mit der Disney nicht nur auf dem fruchtbaren Feld üppig dekorierter Mode-Biopics Maßstäbe setzt.

Nach makellosen Drehbüchern aus dem Writers Room von Isaure Pisani-Ferry zeigt »Becoming Karl Lagerfeld« in sechs Dreiviertelstunden Historytainment, wie man Berühmtheiten im Kontext ihrer Epoche porträtiert, ohne bloß Altbekanntes wiederzukäuen. Zumindest, sofern die Berühmtheiten dahinter so fabelhaft agieren wie hier. Und damit zu Daniel Brühl. Nur unwesentlich älter, verkörpert der Schauspieler den Hamburger in Paris nicht nur auf dem Weg zu »Kaiser Karl«, wie Gaument das Format ursprünglich nennen wollte. Brühl beseelt ihn, als würde Lagerfeld aus dem Jenseits Regie führen.

Wie der menschenscheue Sklave seiner eigenen Ruhmsucht in knallroten Lackstiefeln durch die queere Subkultur jener homophoben Tage stolziert; wie der kontrollsüchtige Dandy den ungleich jüngeren Adelsspross Jacques de Bascher (Théodore Pellerin) schätzen, lieben und manipulieren lernt; wie der arbeitswütige Dienstleister als Chefdesigner des gehobenen Alltagslabels Chloé seinen Stil sucht; wie dem profilneurotischen Rolls-Royce-Fahrer sogar ein Auftrag von Marlene Dietrich (Sunnyi Melles) nicht in die »Vogue« verhilft ... Alles dringt so präzise ins Wesen Karl Lagerfelds vor, dass Brühls mangelnde Ähnlichkeit mit ihm belanglos wird.

Dafür sorgen auch die Alleinstellungsmerkmale eines oberflächenvernarrten Kostümfestes mit dem Tiefgang gediegener Arthaus-Filme. Anders als die aktuell wieder mal stark steigende Zahl an Film- und Serienporträts von Christian Dior, Yves Saint Laurent, Cristóbal Balenciaga und immer wieder Coco Chanel, verliert sich Disney selten in üppigen, übertriebenen Ausstattungen. Fast scheint es, als suche der strikt gewinnorientierte Unterhaltungskonzern hier wirklich den wahren Kern formschöner Fassaden – und wird spektakulär fündig.

Einerseits, weil »Becoming Karl Lagerfeld« am Gefühlshaushalt aller Charaktere interessiert ist. Andererseits, weil gerade dies die äußeren Umstände, in denen sie durcheinandergeraten, plausibel macht. Und so sehen wir überall fragile Protagonisten einer ästhetisch femininen, ökonomisch maskulinen Branche, die exakt jenes turbokapitalistische Geschäft befeuern, das selbst seine Oberschicht nach Kräften ausbeutet. Was wiederum nirgends deutlicher wird als in einer Nebenfigur, die sich am Spitzenpersonal vorbei in den Vordergrund spielt: Lagerfelds Mutter Elisabeth.

Fast die ganzen sechs Teile über hockt sie wie eine Aufseherin in der barocken Luxuswohnung ihres ödipalen Sohnes, liest rauchend Zeitung und füttert dessen Minderwertigkeitskomplex mit Sätzen von »Dann gibst du nicht genug!« bis »Du hast die Kontrolle verloren«. Im viersprachigen Ensemble spielt die Deutsche Lisa Kreuzer das mindestens ebenso brillant wie der Franzose Arnauld Vallois den seelenwunden Yves Saint Laurent. Gemeinsam machen sie »Becoming Karl Lagerfeld« somit zur vielleicht inhaltsreichsten Serie aus dem formverliebten Mode-Business überhaupt.

Zu sehen beim Streamingdienst Disney+

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