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»Man muss der Realität ins Auge schauen«
Programmdirektor Bernd Buder über den Umgang mit dem 7. Oktober beim Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg
Zum 30. Mal findet das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg statt. Und die diesjährige Ausgabe dürfte vor einer besonderen Herausforderung stehen angesichts des Gaza-Krieges und den Protesten in Israel gegen die Regierung Netanjahu?
Gerade jetzt ist es besonders wichtig, ganz unterschiedliche jüdische Stimmen und verschiedene Blickwinkel auf Realität, Geschichte und Alltag zu zeigen. Das ist umso wichtiger, um zu verstehen, dass es nicht den einen jüdischen Blickwinkel gibt, sondern zum Teil auch antagonistische Blickwinkel. Wir zeigen das in 71 Filmen aus 15 Ländern.
Ein großes Problem ist, dass viele Festivals nicht wissen, wie sie mit den Ereignissen vom 7. Oktober umgehen sollen. Was ist Ihre Lösung?
Alle erwarten Statements und Bekenntnisse. Man darf sich nicht dazu verführen lassen, ein Bekenntnis ablegen zu müssen, sondern sollte miteinander ins Gespräch kommen. Letztens haben wir in einem Mediengespräch über Versöhnung und Annäherung gesprochen. Ich denke, Versöhnung ist ein großes Wort, aber eine Annäherung ist gar nicht so schwer. Es ist wichtig, dass man lernt, unterschiedliche Positionen auszuhalten. Unsere Aufgabe als Filmfestivals ist es, Perspektiven und Analysen zu bieten und den Raum durch Kommunikation zu öffnen. Lösungen muss die Politik finden, aber ein Filmfestival kann für die Suche nach Lösungsansätzen ausgesprochen hilfreich sein.
Wie werten Sie die Atmosphäre auf dem Festival?
An diesem Wochenende findet das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) zum 30. Mal statt. Das Jubiläum wird überschattet vom Gaza-Krieg. Programmdirektor Bernd Buder betont, dass man vor Terror und Terroristen nicht kapitulieren wolle. Gezeigt werden an den diversen Spielstätten in Berlin, Potsdam, Frankfurt (Oder), Eberswalde, Oranienburg und Cottbus insgesamt 71 Filme, von denen 27 aus Israel kommen. https://jfbb.info
Die Stimmung ist natürlich sehr nachdenklich. Wenn man einen Film sieht wie »The Future« oder »The Vanishing Soldier«, wo ein Soldat aus dem Gazastreifen flieht, dann bekommt der Film durch die Anschläge vom 7. Oktober und die weiteren Entwicklungen eine ganz andere Relevanz.
Nur die auf dem Festival zu sehenden Filme »Supernova: The Music Festival Masasacre« und »Home Front« sind nach dem 7. Oktober entstanden. »Der Angst begegnen« nennt sich eine Veranstaltungsreihe während des Festivals. Kann man über Terror und Traumata in einem solchen Rahmen reden?
Wir denken darüber nach, wie wir der Angst vorm Terror ausweichen können und wie wir den öffentlichen Raum für die Debatte und den politischen Diskurs offenhalten können, ohne uns dem Druck zu beugen, den Terroristen auf uns ausüben wollen. Die Gesellschaft zu spalten und Angst zu erzeugen, ist das Ziel jeder terroristischen Aktion. Ganz gleich, ob es nur sogenannte Einzeltäter sind oder organisierte Gruppen.
Der Dokumentarfilm »Supernova« zeigt Handyvideos von Zeitzeug*innen des 7. Oktober. Das klingt heftig.
Ja. Die Szenen sind krass. Man wird langsam in das Ereignis hineingezogen. Die Leute begreifen anfangs gar nicht, dass da ein Überfall der Hamas passiert. Man sieht Menschen tanzen und feiern, und dann gibt es eine Szene, wo man etwas knallen hört und zunächst an ein Feuerwerk denkt. Man nimmt dann aber Raketen am Horizont wahr und sieht, wie die Leute auf wirklich grausamste Art und Weise erschossen und umgebracht werden. Das war einer der härtesten Filme, den ich in letzter Zeit gesehen habe. Wir lassen das Publikum nicht alleine, sondern bieten nach solchen Filmen Gespräche an, um das Gesehene verarbeiten zu können. Nach »Supernova« sprechen wir beispielsweise mit einem Überlebenden des Hamas-Attentats, dessen Bruder noch immer zu den Geiseln der Hamas gehört.
Sollte man diese Bilder überhaupt zeigen oder aus ethischen Gründen eher nicht?
Das haben wir auch lange überlegt. Auf der anderen Seite ist das ebenso ein Teil unserer Geschichte wie die Shoah. Das sind auch unerträgliche Bilder. Wir müssen diese Bilder als Warnung aushalten. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich viele Clubs sehr schnell und unreflektiert mit einem Palästina solidarisiert haben, wie es der Hamas vorschwebt, ist der Film wichtig.
Eine andere Reihe beschäftigt sich mit antizionistischer Propaganda. Wie wichtig ist der Blick zurück, um die Gegenwart zu verstehen?
Noch kurz nach Kriegsende, bis zum Tode Stalins, wurde der Begriff des Zionismus beziehungsweise Antizionismus als Kampfbegriff geprägt, ohne dass eigentlich klar definiert wurde, was damit gemeint ist. Es ist nichts weiter als ein unklares Totschlagwort, das schon zur Zeit des Nationalsozialismus in der Art und Weise geprägt wurde, wie er heute wieder benutzt wird. Zionismus überschneidet sich mit sozialistischen und sogar kommunistischen Ideen. Das Wort vom Antizionisten taucht heute wieder auf, wenn irgendjemand nicht sagen will, dass er gegen Israel oder ein Antisemit ist. Es gibt offensichtlich einige Traditionslinien im Denken, die auf Geschichte rekurrieren und immer wiederkehren. Aber Geschichte wiederholt sich nur in Facetten, sie ist nie gleich.
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Welcher rote Faden zieht sich durch die Filme des Festivals?
Die Filme, die wir zeigen, egal, ob es ein Arthouse Film ist oder ein kommerzieller Film, beobachten gesellschaftliche Vorgänge und Geschichte sehr genau und betrachten sie sehr divers. »Vishniac« porträtiert den Fotografen Roman Vishniac, der Anfang der 1930er Jahre die Städte in Osteuropa vor der Shoah dokumentiert hat. Und in »Rabbi on the Block« geht es um eine schwarze, jüdische Community in den USA, wo die Gottesdienste fast schon »gegospelt« werden, während in der Komödie »Between the Tempels« ein junger Kantor feststellt, dass er nicht mehr singen kann und aus der Synagoge in eine Musikkneipe flüchtet. In »Südsee« hingegen verhandeln eine Deutsche und eine Israeli am Swimmingpool ihre Identitäten, während man am Himmel sieht, wie Iron Dome Raketen abwehrt.
Was waren für Sie Tabus bei der Programmierung des Festivals?
Wir zeigen kein Tätermaterial. Die Hamas hat die Bilder vom 7. Oktober benutzt, um Propaganda zu machen. Wir haben auch bewusst auf Actionfilme und Thriller verzichtet. Es gibt genug Filme, die Terroranschläge als dramaturgisches Motiv ausnutzen. Das wollten wir nicht. Das ist kein Spaß oder Unterhaltung, das sind furchtbare Vorgänge, die uns alle bedrohen. Und man muss der schlimmen Realität ins Auge schauen.
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