Berlin-Lichtenberg: Teurer wohnen

Mieter in Lichtenberg wittern Mietwucher

  • Martin Hoffmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Das ehemaligen Bürogebäude in der Frankfurter Allee 216 wurde 2013 zu einem Mietshaus umgewandelt.
Das ehemaligen Bürogebäude in der Frankfurter Allee 216 wurde 2013 zu einem Mietshaus umgewandelt.

Als die Aktivist*innen an der Tür der Hausverwaltung klingeln, tut sich zunächst nichts. Das schmucklose Gebäude am hinteren Ende eines kleinen Gewerbegebiets in Schöneberg wirkt am Freitagnachmittag schon recht verlassen. Erst nach einiger Zeit kommt ein Mitarbeiter heraus. Die Geschäftsführung sei schon im Wochenende, sagt er. Die Aktivist*innen müssen sich damit zufriedengeben, ihre Forderungen dem Mitarbeiter zu überreichen, der immerhin zusagt, sie schnellstmöglich an die Geschäftsführung weiterzuleiten.

Die Mietaktivist*innen sind zum Sitz der Q.I.M. Quartier Immobilienmanagement GmbH gekommen, um auf die Zustände in einem Haus an der Frankfurter Allee in Lichtenberg aufmerksam zu machen. Die Q.I.M. übernimmt die Verwaltung des Hauses ab Juli von der Hausverwaltung Optima. In dem ehemaligen Bürogebäude sollten nach Jahren des Leerstands eigentlich junge Menschen eine preiswerte eigene Wohnung finden. Trotzdem beschweren sich viele Mieter*innen mittlerweile über überhöhte Mietforderungen. Dazu kommen Beschwerden über die Lebensbedingungen in dem Haus: Mieter*innen berichten von Diebstählen aus den Kellerräumen, Schädlingsbefall in den Wohnungen und einer Hausverwaltung, die auf E-Mails und Anrufe nicht reagiert. »Kakerlaken und andere Schädlinge gelangen in unsere Wohnungen«, heißt es in einem von den Mieter*innen verfassten Brief.

Der 1979 als Verwaltungsgebäude der Deutschen Reichsbahn errichtete Plattenbau in der Frankfurter Allee 216 wurde zwischen 2012 und 2013 zum Wohngebäude umfunktioniert und bietet Platz für über 400 Einzimmerwohnungen. Für diesen Zweck erhielten die beteiligten Investoren auch Unterstützung vom Bezirk, wie die »Taz« damals dokumentierte. Der Projektname »Q216« prangt in meterhohen rosa Lettern auf der grauen Betonfassade. Laut eigenen Angaben richtet sich das Angebot vorwiegend an junge Mieter*innen, Azubis und Studierende. 25 Quadratmeter Wohnfläche kosten hier kalt 399 Euro, 35 Quadratmeter sind für 520 Euro zu haben.

Wegen der schwierigen Lage im Haus kamen die Mieter*innen im Juni zu einer Hausversammlung zusammen, um sich auszutauschen und acht einstimmig beschlossene Forderungen an die Hausverwaltung zu erarbeiten. Vor allem wünschen sie sich, dass die Warmmiete an die tatsächliche Wohnfläche angepasst wird, die in der Realität oft kleiner ausfalle als im Mietvertrag angegeben. Die Mieter*innen, so der Vorwurf, zahlen also zu viel für zu kleine Wohnungen.

Geht es nach dem Willen der Mieter*innen, soll auch die Nettokaltmiete auf acht Euro pro Quadratmeter sinken. Die Mieter*innen berufen sich dabei auf die ortsübliche Vergleichsmiete für ein 1979 errichtetes Gebäude. Die Eigentümerin hingegen geht als Baujahr von dem Zeitpunkt aus, zu dem das Gebäude umfassend saniert und zu einem Wohnkomplex umfunktioniert wurde, und kommt so zu deutlich höheren Mieten.

Unterstützt werden die Mieter*innen von der Mieter*innengewerkschaft Berlin, einer Initiative, die 2020 mit dem Ziel gegründet wurde, Mieter*innen zu vernetzen und zum gemeinschaftlichen Kampf für ihre Interessen und Rechte zu ermächtigen. Vor der Hausversammlung hatte die Initiative über 200 Haustürgespräche geführt, um sich ein besseres Bild von der Situation der Mieter*innen im »Q216« zu machen. Auch die Übergabe der gemeinsamen Forderungen war von der Mieter*innengewerkschaft initiiert worden.

»Es zeigt eine ganz andere Wirkung, wenn plötzlich eine kollektive Forderung gestellt wird.«

Nuri Mieter*innengewerkschaft

Haustürgespräche führen, Hausgemeinschaften vernetzen, Kräfte bündeln: Das sei Alltagspraxis und Wachstumsstrategie der Mieter*innengewerkschaft, erklärt Mio, einer der Sprecher der Initiative. »Grundsätzlich gilt für alle unserer Kämpfe: Die Probleme wurden schon individuell angesprochen, in der Regel von mehreren, aber die Reaktionen waren dürftig oder nicht vorhanden«, ergänzt Nuri aus der Moabiter Ortsgruppe. »Es zeigt eine ganz andere Wirkung, wenn plötzlich eine kollektive Forderung gestellt wird.«

Der kollektive Ansatz sei es auch, der die Mieter*innengewerkschaft von anderen Mieter*innenvereinen unterscheidet: Statt Mieter*innen individuell zu unterstützen, fokussiert sich die Gruppe auf Kämpfe, die große Teile der Mieter*innengemeinschaft gleichermaßen betreffen. »Wir wollen eine Organisation werden, die Druck aufbauen kann«, so Mio. »Unser Konzept ist, den Wohnungsmarkt zu verändern, indem wir reale Gegenmacht aufbauen.«

Mit diesem Ansatz konnte die Mieter*innengewerkschaft schon Erfolge verbuchen: So seien in einem Wohngebäude in der Rostocker Straße in Moabit wenige Wochen nach dem Überreichen der Forderungen bauliche Mängel behoben worden, die vorher jahrelang nicht beachtet wurden. Für eine Mieterin im Rentenalter, deren Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt wurde, konnte durch Verhandlungen mit der neuen Eigentümerin die Übernahme der Umzugskosten und die Vermittlung einer Alternativwohnung erkämpft werden. »Die wäre sonst sicher auf der Straße gelandet«, sagt Mio.

Solche Erfolge will die Mieter*innengewerkschaft auch beim »Q216« wiederholen. Man sei vorsichtig optimistisch, zumindest was die Forderungen nach mehr Sauberkeit, einem Anschluss ans Glasfasernetz und einer besseren Erreichbarkeit der Hausverwaltung angeht, sagt Mio. Beim größten Streitpunkt, der geforderten Mietminderung, stellen sich die Beteiligten dagegen auf einen langen Kampf ein. »Nach dem ersten Eindruck erwarte ich, dass wir einen Termin kriegen und miteinander reden«, sagt ein Aktivist. »Da wird man dann wahrscheinlich an die Grenzen des Machbaren stoßen.«

In einer Stellungnahme verwies die Hausverwaltung Q.I.M. darauf, dass sie bislang nicht für das Haus zuständig gewesen sei, und verweist auf die bisherige Hausverwaltung Optima. Diese hat sich wiederum bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorwürfen geäußert.

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