Schulen für Flüchtlinge: Ein einsames Lernen

Grüne und Linke fordern, Flüchtlingskinder an Regelschulen zu unterrichten

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 4 Min.
Bildung in Berlin: Schulen für Flüchtlinge: Ein einsames Lernen

Ein Gespräch ist Janina Meyeringh besonders in Erinnerung geblieben. Die Psychologin betreut in dem Behandlungszentrum Xenion geflüchtete Kinder und Jugendliche. Vor einiger Zeit sei ein 13-Jähriger in ihre Sprechstunde gekommen. Unter Tränen verlangte er immer wieder etwas, das für die meisten anderen Kinder selbstverständlich ist: »Warum darf ich nicht zur Schule gehen?«

»Damit sind wir tagtäglich beschäftigt«, sagt Meyeringh. 1221 minderjährige Flüchtlinge standen nach Senatsangaben zu Beginn des Jahres auf einer der bezirklichen Wartelisten für einen Schulplatz. Real liegt die Zahl wohl deutlich höher: Die 840 Kinder und Jugendlichen, die im Ankunftszentrum auf dem ehemaligen Flughafen Tegel leben, besuchen in der großen Mehrheit ebenfalls keine Schule. Dazu kommen 632 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in temporärer Obhut der Senatsjugendverwaltung, von denen niemand weiß, wie viele von ihnen zur Schule gehen.

Für Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) liegt die Lösung in sogenannten Willkommensschulen. Das heißt konkret: Provisorische Schulen, in Containerbauweise errichtet, in unmittelbarer Nähe zu den Flüchtlingsunterkünften. Das Curriculum konzentriert sich auf den Erwerb der deutschen Sprache. Am Ankunftszentrum Tegel wurde eine solche Willkommensschule im Frühjahr eröffnet. Die Kapazität von zuletzt 130 Schülern soll sukzessive auf 300 erhöht werden. Bereits im August soll in der Massenunterkunft am ehemaligen Flughafen Tempelhof eine weitere Containerschule dazukommen.

Die Pläne stoßen nicht nur auf Zustimmung. »Es wird ein Parallel-Schulsystem geschaffen«, sagt Marianne Burkert-Eulitz, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Gemeinsam mit der Linke-Fraktion haben die Grünen im Parlament am Mittwoch zu einem Fachgespräch geladen. Durch die Segregation könnten die Flüchtlingskinder keinen Kontakt zu deutschsprachigen Gleichaltrigen herstellen, so Burkert-Eulitz. Das sei das Gegenteil von Integration.

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Auch die Psychologin Janina Meyeringh sieht das Konzept kritisch. »Wir riskieren langfristige Folgen für die psychische Gesundheit der Kinder«, sagt sie bei der Fachtagung. Die Schule sei einer der wichtigsten Faktoren für das psychische Wohlergehen der Kinder. Separiere man die Flüchtlingskinder, würden sie ihre Unterkunft gar nicht mehr verlassen und hätten keinen Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft. »Wir generieren da Risikofaktoren für Depressionen und Traumafolgestörungen«, sagt Meyeringh. Es sei empirisch eindeutig belegt, dass die Integration in Regelschulen die größten Erfolgschancen für Zuwandererkinder bedeute.

Grüne und Linke wollen sich deswegen am liebsten ganz vom Konzept der Willkommensschulen verabschieden. In einem Linke-Antrag an das Plenum des Abgeordnetenhauses heißt es, dass sichergestellt werden müsse, »dass alle Kinder und Jugendliche eine Schule an einem regulären Standort besuchen«. Die bereits eröffnete »Lagerschule« in Tegel müsse »umgehend abgewickelt« werden.

In den Bezirken teilen nicht alle Parteivertreter diese Haltung. »Die Kapazitäten an den Regelschulen sind erreicht«, sagt Martina Zander-Rade, Grüne-Bezirksverordnete in Tempelhof-Schöneberg. In ihrem Bezirk gebe es schlicht keinen Platz für die zusätzlichen Schüler. »Alle Räume sind belegt – selbst fensterlose«, sagt sie. »An der Schule am Tempelhofer Feld kommen wir nicht vorbei«, ist sie überzeugt. »Aber das muss eine Übergangslösung sein.«

»Wir riskieren langfristige Folgen für die psychische Gesundheit der Kinder.«

Janina Meyeringh Psychologin

Als Übergangslösung sieht auch die Senatsbildungsverwaltung die Willkommensschulen. »Das wird hier kein Dauerbeschulungsort sein«, sagte Bildungssenatorin Günther-Wünsch bei der Eröffnung der Schule am Ankunftszentrum Tegel im Februar. Vorgesehen ist, dass die Kinder und Jugendlichen an Regelschulen wechseln sollen, wenn die Eltern das Ankunftszentrum verlassen. Im Schnitt sind dies 100 Tage, ein beträchtlicher Teil der dort lebenden Flüchtlinge bleibt allerdings deutlich länger in der Zeltstadt auf dem ehemaligen Rollfeld.

Grüne-Bildungspolitikerin Burkert-Eulitz hat Zweifel, ob dies so eintreten wird. Sie spricht von einer »Salamitaktik« seitens der Bildungsverwaltung. Die Beschulung in Unterkünften werde auch an anderer Stelle vorbereitet. »Im Laufe der Zeit wird dann aus der Ausnahme die Regel.«

Die Flüchtlingskinder einfach unbegleitet auf die Regelschulen zu schicken, wollen Grüne und Linke allerdings auch nicht. »Willkommensklassen haben weiter ihre Berechtigung«, sagt Franziska Brychcy, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Willkommensklassen sind separate Klassen für geflüchtete Kinder, die allerdings an Regelschulen angesiedelt sind. Schüler können hier Deutsch lernen, beim Leistungsstand aufholen und dann flexibel in Regelklassen wechseln. Insgesamt 12 160 Schüler lernen nach Senatsangaben in 965 solcher Willkommensklassen. Im Durchschnitt verbringen die Kinder ein Jahr in ihnen.

Das stelle zwar auch eine Separation dar, aber immerhin könnten die Kinder hier auf dem Schulhof mit anderen Schülern interagieren, so Brychcy. Sie hält die Willkommensklassen für einen Schlüssel, um bislang unversorgte Kinder an die Schulen zu bringen. Sie fordert, die Klassengröße der Willkommensklassen von zwölf auf 15 zu erhöhen. »Damit würde man 2000 Kindern ermöglichen, einen Platz zu kriegen«, sagt Brychcy.

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