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So teuer muss es nicht werden
DAK warnt vor massivem Anstieg der Beiträge zu den Sozialversicherungen
Krankenhausreform und Pflegenotstand – das sind aktuell zwei große Baustellen im Sozialsystem. In beiden Bereichen scheinen Veränderungsprozesse festgefahren. In Sachen Kliniken ist keine Einigung der Beteiligten in Sicht, bei der Altenpflege fehlen Fachkräfte. Die Finanzierung wackelt in beiden Fällen. Konzepte zur Problemlösung liegen in etlichen Schubladen. Jetzt hat die Krankenversicherung DAK sich einige Szenarien für die Beitragsentwicklung durchrechnen lassen. Vorgestellt wurde das am Dienstag in Berlin.
Los geht es bei 40 Prozent. Das war einmal die heilige politische Obergrenze der Sozialbeiträge, bezogen auf Bruttoarbeitslöhne und eingezogen noch von der Großen Koalition. Aber schon seit 2023 fließen mehr als 40 Prozent des Bruttolohns an Krankenkassen, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Seither tauchen noch hier und da Forderungen auf, wieder zu der Marke zurückzukehren, unter anderem von Arbeitgebern oder den Unionsparteien. Andererseits halten viele Krankenkassen das für unrealistisch.
Schon seit 2023 fließen mehr als 40 Prozent des Bruttolohns an Krankenkassen, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.
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Davon geht auch die DAK-Berechnung aus. Ob mit oder ohne bestimmte Gegenmaßnahmen: Die 40 Prozent sind erledigt. Bis 2035 könnten sogar 48,6 Prozent erreicht werden. Ausgewählt wurde der Zehn-Jahres-Zeitraum ab 2025, weil hierfür allgemein der erste Höhepunkt der demografischen Belastung durch die große Kohorte der Babyboomer angenommen wird. Allein die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wäre mit einem Beitragssprung von jetzt 16,3 auf 19,3 Prozent dabei, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Gesamtprognose wurde vom Berliner Iges-Institut im Auftrag der DAK erstmals für alle Zweige der Sozialversicherung erstellt, basierend auf Daten von Bundesministerien und Versicherungsträgern. Das Institut ist ein privatwirtschaftliches Forschungs- und Beratungsunternehmen für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen.
Bezogen auf ihr Kerngeschäft befasste sich die DAK vor allem mit den Feldern Gesundheit und Pflege. Schon 2025 steigen die GKV-Beiträge um 0,6 Prozentpunkte auf 16,9 Prozent. »Mit einer Steigerung um einen vollen Beitragspunkt innerhalb von vier Jahren ist das der historisch höchste Beitragsanstieg in der GKV in einer Wahlperiode«, kritisierte Kassenchef Andreas Storm. Die Iges-Projektion ergab: 2030 würden 18,1 Prozent erreicht, 2035 dann 19,3 Prozent, also ein Gesamtanstieg um ganze drei Beitragssatzpunkte.
Wie nun gegensteuern? DAK-Vorstand Storm schlägt einen Stabilitätspakt in zwei Stufen vor. Zum einen sollte die Unterfinanzierung der GKV beendet werden, indem sie endlich das vom Bund erhält, was ihr zusteht, unter anderem laut Koalitionsvertrag der Ampel. Da wären die Ausgaben von jährlich 9,2 Milliarden Euro für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern. Und der Bundeszuschuss müsste dynamisiert und jährlich angepasst werden. Damit wäre der Beitragssatzanstieg langfristig um 0,6 Prozentpunkte zu reduzieren.
Fast noch wichtiger erscheint es, die Ausgaben prinzipiell zu begrenzen, und zwar orientiert an den beitragspflichtigen Einnahmen. Durch eine solche Deckelung könnte der Beitragsanstieg bis 2035 um gut zwei Punkte reduziert werden. Aber dieser Deckel hat Voraussetzungen, die verschiedenen Ministern, darunter Karl Lauterbach (SPD) und Christian Lindner (FDP) so gar nicht schmecken werden: So dürften die Krankenkassen nicht mit jährlich 2,5 Milliarden Euro für den Transformationsfonds der Krankenhausreform verpflichtet werden. Und auch die vertraulichen Erstattungspreise für Arzneimittel wären nicht machbar. Dieses Geschenk an die Pharmaindustrie würde bei den Krankenkassen zu einem Ausgabenschub führen. Allein für den zusätzlichen Bürokratieaufwand pro Jahr wäre ein dreistelliger Millionenbeitrag nötig. Wird hingegen der vorgeschlagene Stabilitätspakt umgesetzt, könnte der GKV-Beitrag bis 2035 bei etwa 16,5 Prozent bleiben.
Bei der Pflegeversicherung wird von für 2025 von 0,2 Prozentpunkten mehr ausgegangen, dann wären 3,6 Prozent erreicht. Bis 2030 käme man auf 4,1 Prozent, die bis 2035 zu halten wären. Deutlich besser würde es aussehen, wenn auch hier Versprechungen aus dem Koaltionsvertrag erfüllt werden: Würde die Versicherung von den Rentenbeiträgen für pflegende Angehörige und von der Ausbildungsumlage entlastet und käme der für dieses Jahr gestrichene Bundeszuschuss wieder, könnte der Beitragssatz 2035 bei 3,7 Prozent zum Stehen kommen. Zwar schränkt DAK-Vorstand Storm ein, dass mit der Finanzierung die Probleme der Pflegeversicherung noch nicht gelöst sind. Aber um sie zu lösen, also aus der Personalnot herauszukommen, sei eine sichere Finanzierung die Grundlage.
Bleiben die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung. Bei ersterer steigen nach einem kurzen Absinken auf 2,5 Prozent bis 2026 nach der Iges-Berechnung die Beiträge bis 2035 auf 3 Prozent. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung geht es kontinuierlich bergauf, von derzeit 18,6 auf 20,6 Prozent im Jahr 2030, und 2035 werden 22,3 Prozent erwartet.
Laut DAK ließen sich die Beitragsanstiege für GKV und Pflege effektiv begrenzen. Der größte Anstieg sei bei der Rentenversicherung absehbar. Statt die Bürger regelmäßig mit Horrorszenarien zu schocken, schlägt Vorstand Storm vor, solle die Bundesregierung für alle Sozialversicherungen zusammen jährlich einen Bericht vorlegen. Der sollte die Beitragsentwicklung für jeweils zehn Jahre enthalten sowie verschiedene Szenarien durchspielen.
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