Friedrich Engels als Soldat in Berlin, Karl Marx als Student

Maurice Schuhmann hat einen philosophiegeschichtlichen Stadtführer geschrieben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Als Denkmal sind Marx und Engels in der Berliner Innenstadt präsent.
Als Denkmal sind Marx und Engels in der Berliner Innenstadt präsent.

»Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber drauf an, sie zu verändern«, steht im Foyer der Berliner Humboldt-Universität zu lesen. Es ist die elfte These über Ludwig Feuerbach, aufgestellt vom Philosophen Karl Marx, dessen Ideen die Welt verändert haben.

Feuerbach studiert ab 1824 in Berlin, Marx bis 1841. Feuerbach wechselt 1825 von der theologischen zur philosophischen Fakultät, Marx bleibt in seinen Berliner Jahren für Jura eingeschrieben, obwohl sein Interesse für die Philosophie aufkeimt. So schildert es Maurice Schuhmann in seinem philosophiegeschichtlichen Stadtführer »Geistreiches Berlin und Potsdam«.

Karl Marx zieht mehrfach um und lebt zwischendurch zur Erholung auch im Fischerdorf auf der Halbinsel Stralau. Sein Weggefährte Friedrich Engels leistet 1841/42 in Berlin seinen Militärdienst ab, verkehrt im oppositionellen Kreis der Freien und hört in der Universität die Antrittsvorlesung des greisen Philosophen Friedrich Schelling, die ihn zu einem spöttischen Essay veranlasst.

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In der einstigen Garde-Fußartillerie-Regimentskaserne in der heutigen Geschwister-Scholl-Straße in Mitte ist zu DDR-Zeiten das Wachregiment »Friedrich Engels« der Nationalen Volksarmee untergebracht – und ein Traditionskabinett erinnert an den berühmten Namensgeber. Die Soldaten stehen an der Neuen Wache Posten, ihre Wachaufzüge locken viele Schaulustige aus nah und fern an.

Schuhmanns Stadtführer enthält zwar einige Touren, auf denen es um die Spuren geht, die berühmte Denker in Berlin hinterlassen haben. Oft ist aber nicht mehr viel zu sehen. Gedenktafeln sind verschollen, Häuser abgerissen. Mal ist ein Ehrengrab erhalten, mal eine Straße nach einem der Männer benannt.

Als Einstieg in die Vorstellungswelt der Philosophen ist das Buch wenig geeignet. Das wäre in der gebotenen Kürze auch schwer zu leisten, wo den einzelnen Personen nur wenige Seiten gewidmet sind. Dennoch zitiert Schuhmann beispielsweise ausführlich aus einem Brief von Friedrich Engels an seine Schwester, in dem er sich über einen Lausitzer Wein verbreitet. Der Erkenntnisgewinn ist gering, wenn es da heißt: »Es ist ein sehr nachhaltiger Wein, denn wenn man einen Schluck trinkt, so ist einem der Hals vier Wochen lang wund.«

Ähnlich verhält es sich mit einer Schilderung, wie der russische Anarchist Michail Bakunin einen Punsch zubereitete und dabei wie ein Abgesandter der Hölle gewirkt habe. Interessant ist jedoch, dass Bakunin in Berlin zeitweise mit dem Schriftsteller Iwan Turgenjew zusammenwohnte und dieser Bakunin zum Vorbild für den Titelhelden seines Romans »Rudin« nahm.

Aufschlussreich ist ebenfalls, wer alles in Berlin und Potsdam lebte, lernte oder lehrte: Diderot, Schleiermacher, Fichte, Hegel und Schopenhauer beispielsweise und auch Kierkegaard. Ebenso Autoren wie Lessing, Heine und die Gebrüder Grimm. Maurice Schuhmann beginnt mit Voltaire, den der preußische König Friedrich II. nach Potsdam holte und der sich zu alt fühlte, noch Deutsch zu lernen, um seine Widersacher zu verstehen.

Schuhmann endet mit Rudolf Steiner, dem Begründer der Waldorfschulen. Der ist heute wegen antisemitischer Tendenzen in Verruf geraten. Aber er hat auf Bitte von Wilhelm Liebknecht an sozialdemokratischen Arbeiterbildungsschulen erst Geschichte und dann zusätzlich Literatur und Redekunst unterrichtet. Steiner selbst sagte dazu: »Mich interessierte zunächst der sozialistische Zusammenhang, in dem die Schule stand, wenig. Ich sah die schönste Aufgabe vor mir, gereifte Männer und Frauen aus dem Arbeiterstande zu belehren.«

Der auf politische Philosophie spezialisierte Politikwissenschaftler Maurice Schuhmann gibt übrigens selbst Philosophiekurse an Volkshochschulen. Es ist nicht notwendig, die von ihm empfohlenen Streifzüge durch beide Städte zu unternehmen, um an dem Buch »Geistreiches Berlin und Potsdam« seine Freude zu haben. Es könnte aber durchaus spannend sein, sich persönlich umzuschauen.

Maurice Schuhmann: Geistreiches Berlin und Potsdam. Ein philosophiegeschichtlicher Stadtführer. Hendrik-Bäßler-Verlag, 180 S., 19,80 €.

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