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Wohnortnahe Versorgung in Berlin in Gefahr
Die Krankenhausreform im Bund wird in der Hauptstadt mit Sorge betrachtet
Die große Krankenhausreform des Bundes schreitet scheinbar unaufhaltbar voran. Am Donnerstag wurde der Gesetzentwurf in der ersten Lesung im Bundestag debattiert. Derweil üben die Länder parteienübergreifend fundamentale Kritik. Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) kritisierte in einer Pressemitteilung Ende Mai die geplante »Finanzierung zu Lasten der Länder und der gesetzlich Versicherten«. Während sie die Krankenhausreform aber im Großen und Ganzen befürwortet, sehen andere Berliner Akteur*innen in ihr eine existenzielle Bedrohung für die wohnortnahe stationäre Versorgung.
»Die Überlastung wird steigen«, sagt Songül Yürek, Kinderärztin und Mitglied der Initiative Berliner Kinderkliniken, auf einer Pressekonferenz des Bündnisses »Krankenhaus statt Fabrik« anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs. Schon jetzt seien die Kliniken nicht ausreichend finanziert und es fehle das Personal. Durch die Einführung der 65 Leistungsgruppen, deren Angebot nur finanziert werden soll, wenn die Kliniken entsprechende Qualitätsmerkmale erfüllen, also zum Beispiel ausreichend hohe Fallzahlen in dem entsprechenden Behandlungsbereich aufweisen, drohen Klinikschließungen – nach Einschätzung Yüreks eher im Berliner Umland als in Berlin selbst. Die Berliner Kinderkliniken würden also zusätzlich mit weiteren Patient*innen belastet, und bundesweit könne eine »Rund-um-die-Uhr-Notfallversorgung von Kindern und Jugendlichen nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden«, so Yürek.
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Außerdem kritisiert die Kinderärztin die geplante Einführung von Vorhaltepauschalen. Denn diese würden sich an planbaren Eingriffen bemessen, was Kinderkliniken benachteilige. »Kinder werden akut krank, das ist nicht planbar.«
Auch Jorinde Schulz, aktiv beim Bündnis Klinikrettung und Vorstandsmitglied der Berliner Linkspartei, kritisiert auf der Pressekonferenz das neue Finanzierungsmodell. Die Leistungsgruppen zusammen mit den Vorhaltepauschalen führten real zu einem »gedeckelten Leistungsgruppenbudget« und zu einem Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern um die Leistungsgruppen, so Schulz. Die Länder müssten sich entscheiden: Verteilen sie die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Kliniken, was zu Klinikschließungen und einem Mangel an wohnortnaher Versorgung führen würde, oder auf möglichst viele Häuser verteilten, was wiederum dazu führen würde, dass diese nicht ausreichend finanziert würden. »Private Krankenhausbetriebe dürfen aber weiter Gewinne machen«, so Schulz.
Schulz will außerdem mit dem Mythos aufräumen, dass eine Reduzierung von Kliniken und Bettenabbau den Personalmangel beheben würde. »Die Patient*innen bleiben ja«, sagt sie. Außerdem würden viele Pflegekräfte bei Schließung ihres Krankenhauses den Beruf verlassen. Silvia Habekost, Berliner Pflegerin und Teil der Berliner Krankenhausbewegung, fordert, dass die gesamten Personalkosten bedarfsgerecht gedeckt werden.
Die Krankenhausreform war im vergangenen Monat auch Thema im Berliner Abgeordnetenhaus. Am 22. Mai setzte Gesundheitssenatorin Czyborra den Startschuss für die Berliner Krankenhausplanung für die Jahre 2026 bis 2030. Zwar fehlten weiterhin wesentliche Regelungen der Krankenhausreform, doch weil eine solche Planung zwei bis drei Jahre dauere, könne das Land nicht länger auf den Bund warten, hatte Czyborra mitgeteilt.
Einen Tag später diskutierte das Abgeordnetenhaus einen Antrag der Berliner Linksfraktion. Dieser fordert eine »Analyse des Versorgungsbedarfs in zu definierenden Gesundheitsregionen der Stadt«, um darauf zukünftig eine integrierte Gesundheitsplanung aufzubauen. »Wir müssen über die Sektorengrenzen hinwegblicken. Wir müssen den niedergelassenen Bereich, die Pflege und die Krankenhäuser zusammen anschauen«, sagte Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, bei der Vorstellung des Antrags vor den anderen Abgeordneten. Zwar kenne er das Argument, dass das durch das Landeskrankenhausgesetz nicht ermöglicht werde, die einzelnen Gesundheitsbereiche gemeinsam zu planen. Doch in Brandenburg werde eine solche Analyse bereits gemacht, und Berlin müsse das nachmachen, so Schulze.
»Da der Bund nun gefährlich herumstümpert, müssen wir als Land selbst etwas für unsere Krankenhäuser tun.«
Tobias Schulze Berliner Linksfraktion
Die Krankenhausreform betrachtet die Berliner Linke mit Sorge. Es gehe »unter dem Vorbehalt der Qualitätssicherung« um einen Abbau der Kapazitäten. Insbesondere kleinere Krankenhäuser würden dadurch unter Druck gesetzt, heißt es im Antrag. »Da der Bund nun gefährlich herumstümpert, müssen wir als Land selbst etwas für unsere Krankenhäuser tun«, so Schulze.
So, wie die Krankenhausplanung in Berlin aktuell funktioniere, werde es mit der Krankenhausreform nicht mehr funktionieren, sagt der Linke-Politiker »nd«. Ein Beispiel sei das Jüdische Krankenhaus, eine kleine Klinik ohne besonders gewinnbringendes spezialisiertes Angebot. Es könnte durch die Verteilung der Leistungsgruppen der Reform zum Opfer fallen und würde so nach Bundesgesetz nicht mehr finanziert. Das Land hingegen würde es in der Krankenhausplanung als notwendig für die wohnortnahe Versorgung betrachten.
Wie solche Situationen gelöst werden sollen, sei nicht geklärt, sagt Schulze. »Es gibt noch gar keine Folgenabschätzung.« Eine solche Auswirkungsanalyse fordern die Länder schon seit einer Weile ein, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe das zwar versprochen, aber noch immer nicht erfüllt.
Weiteres Problem sei, dass zwar Betten abgebaut und Eingriffe ambulant durchgeführt werden sollen, aber dafür die ambulanten Strukturen fehlten. »Das Gesetz sagt nichts dazu, wie das gemacht werden soll.« In Berlin habe der landeseigene Klinikkonzern Vivantes bereits angekündigt, wegen des Personalmangels 25 Prozent der Betten abbauen zu wollen, weil vieles ambulant machbar sei. »Aber die Strukturen dafür existieren noch gar nicht«, so Schulze.
Der Antrag der Linksfraktion wird von den anderen Abgeordneten tendenziell positiv aufgenommen. Während zwar Christian Zander (CDU) kritisiert, dass der Antrag »keine neuen Impulse bringe« und Bettina König (SPD) die Krankenhausreform ihres Parteigenossen Lauterbach in Schutz nimmt, stößt der Vorschlag einer sektorenübergreifenden Planung der Gesundheitsversorgung generell auf Zustimmung. Der Antrag soll im Gesundheitsausschuss diskutiert werden, aber erst im September, nach der parlamentarischen Sommerpause, sagt Schulze zu »nd«.
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