Paula Irmschler: Tragisch, aber isso

Paula Irmschler erzählt in ihrem zweiten Roman von einer komplizierten wie normalen Mutter-Tochter-Beziehung

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit den Zumutungen des Lebens gehen Mutter und Tochter unterschiedlich um. Was Karla aber von Gerda gelernt hat: ihren Platz in der Welt zu behaupten.
Mit den Zumutungen des Lebens gehen Mutter und Tochter unterschiedlich um. Was Karla aber von Gerda gelernt hat: ihren Platz in der Welt zu behaupten.

Gerda ist die Mutter, Karla die Tochter. Sie sind 30 Jahre auseinander. Karla wurde kurz vor der Wende geboren. Irgendetwas ist geschehen, dass sie sich nicht verstehen. Oder anders: Sie verstehen sich schon, aber nicht gut. Wären sie nicht Mutter und Tochter, würden sie sich wohl aus dem Weg gehen. So aber finden sich die beiden plötzlich auf einem Trip nach Hamburg wieder, der von Gerdas Kindern – Karlas Geschwistern – organisiert wurde, um dort das Musical »König der Löwen« zu sehen.

Das ist die ganze Geschichte, um die herum Paula Irmschler ihren neuen Roman »Alles immer wegen damals« gebaut hat. Die Leichtigkeit, die dieses Buch auszeichnet, kommt auch daher, dass man meinen könnte, den Rest machten die Figuren von allein – einfach, indem sie sind, wie sie sind.

Von den großen Themen der Gegenwart sind nichtsdestoweniger einige da. Sie sind aber derart in die Biografien der beiden Protagonistinnen eingewoben, dass sie zwar mitschwingen, aber nie bestimmend werden. Man könnte dieses Buch auch als ironischen Kommentar auf das Genre des Thesenromans lesen, Anknüpfungspunkte gibt es genug.

Es ist nämlich ein Ostroman. Gerda ist eine Ossi-Mutter, alleinerziehend und entsprechend gezwungen, die Kinder machen zu lassen, und war am glücklichsten kurz vor Karlas Geburt. Die ostdeutsche Prägung, die fortwährende Kränkung angesichts des Ausverkaufs der eigenen Vergangenheit – sei es, dass ihr Wohnviertel durchgentrifiziert wird, sei es, dass sie nicht auf die Insel kommt, die sie sich auf einer Reise an die Ostsee gerne ansehen würde, weil irgendein westdeutsches Arschloch das alles aufgekauft und einen Zaun drum herumgebaut hat – und auch ihre immer wieder durchschimmernde Ostalgie (Trabbis sind besser als SUVs) stören sie bisweilen an sich selbst; Gerda wird sie aber nicht los.

Es ist auch ein Roman über Armut: Gerda hatte zeitlebens nicht viel Geld, und das ganze Buch über hat auch Karla wahrscheinlich nie mehr als 50 Euro zur Verfügung. Es ist ein feministischer Roman: Männer kommen nur am Rande vor, und das haben sie sich auch verdient, schließlich sind sie – bis auf Sohn Fritz – alle abgehauen auf ihren Selbstfindungs- und Selbstbehauptungstrips. Es ist auch ein queerer Roman: Karla lebt in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, gehört aber nicht recht zur Szene, sondern ist halt einfach nur so.

Aber die Protagonistinnen sind von diesen Fragen nicht betroffen, diese Schwierigkeiten definieren sie nicht. Ihre Identität ist nicht eindampfbar auf eine einzige soziologische Frage. Sie haben auch ihre Ressourcen, um auf die Zumutungen der Realität zu reagieren: Gerda hat ihr unverwüstliches Wesen, das schon mit ganz anderem fertig geworden ist, Karla hat Freundin und besten Freund und ihre Träume und Wünsche, die ihr über den Alltag hinweghelfen. Paula Irmschlers Figuren sind keine Puppen, die an den Fäden der Erzählerin hängen, sondern in all ihren Fehlern und Unsicherheiten immer noch robuste Figuren, die ihren Platz in der Welt behaupten, so klein er auch sein mag.

Ein Label fehlt in dieser Aufzählung noch, das Paula Irmschler auslässt: dass des Generationenromans. Gerda nutzt den Familienchat ganz gern, um unverblümt und hemdsärmlig zu einem Punkt zu kommen, weil das die Art ist, wie sie sprechen gelernt hat, und sie diese Art der Kommunikation nicht verlernen kann – obwohl oder gerade weil es sie viel gekostet hat, so zu sprechen; die Verbindung mit ihrer eigenen Schwester Drea (die sie sehr liebt oder zumindest geliebt hat wie kaum einen Menschen) zum Beispiel könnte sehr viel besser sein, wäre Gerda nicht so konfrontativ.

Es ist aber auch klar, dass Gerda bei all ihren Bemühungen um Selbstbehauptung und Muttersein herum das nicht hinkriegen wird. Wäre es noch so wie im Osten, als ihr Muttersein eine der Normen darstellte, dann vielleicht; aber die Erschütterungen der Wende haben kein Familiengefüge unangetastet gelassen, dieses auch nicht. Gerda würde gern besser verstehen, warum Karla in dieses »arschteure« Köln gezogen ist, kann es aber nicht; ebenso wenig wie sie ihre eigene Tochter verstehen kann. Tragisch, aber isso.

Dass Paula Irmschler diese Art der Erzählung gelingt, liegt daran, dass es eine saubere und durchdacht erzählte Geschichte ist (nur dass Karla nie darüber nachgedacht hat, nicht neurotypisch zu sein, und sich nie nach Diagnosen oder Leidensgenoss*innen umgesehen hat, verwundert schon ein bisschen). Und die Geschichte ist auch deshalb gelungen, weil das ganze Geschehen in einer freundlichen Beiläufigkeit erzählt wird, die von der Haltung her ihren Widerhall in Gerdas hemdsärmeliger Pragmatik findet.

Zusammengehalten wird diese Erzählung aber auch von der Art und Weise, wie Paula Irmschler Humor einsetzt. Denn »Alles immer wegen damals« ist eben auch das: ein komisches Buch. Eine leise, nie aufdringliche Ironie durchzieht den Text, wobei diese Ironie sich nie gegen die Figuren richtet oder sie gar verrät. Beide Hauptfiguren wissen, dass sie auf eine gewisse Art seltsam sind, eigenartig und komisch, können aber auch nicht raus aus ihrer Haut. Paula Irmschler gesteht ihnen immer wieder zu, sich ansatzweise selbst zu erkennen und über sich selbst zu lachen. Zum Beispiel in den allerletzten Sätzen des Buches: Gerda bricht gerade zu einer Reise auf, die zu machen sie sich lange vorgestellt hat, und steht jetzt neben dem Auto. »Dann klopft sie auf das Dach des Wagens und sagt: ›Los geht’s.‹ Zum Glück hat das niemand gesehen.«

Es ist diese Art liebevoller Humor, der neckt und nicht tritt, der das Buch zu etwas Besonderem macht. Am Ende ist es eine schön erzählte Geschichte, die nie behauptet, mehr sein zu wollen. Gerade in Zeiten steiler Thesen und aufgeregter Marktschreierei ist das ein besonderes Geschenk.

Paula Irmschler: Alles immer wegen damals. dtv, geb., 320 S., 24 €.

Die Leichtigkeit, die dieses Buch auszeichnet, kommt auch daher, dass man meinen könnte, den Rest machten die Figuren von allein – einfach, indem sie sind, wie sie sind.

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