Film »Kein Wort«: Die Schönheit des Kontrollverlusts

Maren Eggert über ihren neuen Film »Kein Wort«, die Kunst der Mutterschaft und sich wandelnde Arbeitsbedinungen in Film und Theater

Sohn Lars (Jona Levin Nicolai) steht in der Beziehung zu seiner erfolgsverwöhnten Mutter Nina (Maren Eggert) am Abrund.
Sohn Lars (Jona Levin Nicolai) steht in der Beziehung zu seiner erfolgsverwöhnten Mutter Nina (Maren Eggert) am Abrund.

Ihr neuer Film »Kein Wort«, in dem Sie die Dirigentin Nina spielen, erinnert anfangs an »Tár« mit Cate Blanchett. Beiden Dirigentinnen ist gemein, dass sich künstlerischer Erfolg mit sehr negativen Charaktereigenschaften verbindet. Sie haben kein Gefühl für die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen, können nicht zuhören und missbrauchen ihre Autorität. Ist das bei Künstler*innen in Spitzenpositionen eine Berufskrankheit?

Dass man sich auf die eigene künstlerische Arbeit sehr fixiert, sich darin einigelt und unfähig ist, andere noch wahrzunehmen – dieses Egomanische, wenn man es negativ, oder dieses Aufgehen in der Arbeit, wenn man es positiv sieht –, das führt schon zu einer Abkapselung. Bei Nina wird sehr deutlich, dass sie keinen Raum für jemand anderen hat, selbst wenn es ihr eigenes Kind ist.

Bei Regisseur*innen oder Dirigent*innen ist das Bestimmerische wohl immanent.

Ich habe mich viel mit dem Berufsbild des Dirigenten beschäftigt, und ich denke, das macht was mit einem: so ein komplettes Orchester anzuleiten. Dass man derjenige ist, der sagt, wo es langgeht. Schon allein, das nur zu spielen … Wenn man diese vielen Menschen hat, die einem folgen, diese Energie, die sich überträgt, das euphorisiert enorm und ist auch für das eigene Ego besonders.

Interview

Maren Eggert, 1974 in Hamburg geboren, ist eine der profiliertesten deut­schen Schauspielerinnen. Einem breiten Publikum ist sie aus dem Kieler »Tatort« bekannt, in dem sie bis 2015 die Polizeipsychologin Frieda Jung spielte. Seit über zehn Jahren ist sie Ensemblemitglied des Deutschen Theaters in Berlin. Für ihre Rolle der Alma in Maria Schraders Film »Ich bin dein Mensch« erhielt Eggert 2021 den Silbernen Bären der Berlinale.

Sind Frauen anders erfolgreich – oder ist es immer das Gleiche mit der Macht?

Ich habe in der Vorbereitung auf die Rolle mit einem Dirigenten und einer Dirigentin gearbeitet. Beide waren sehr unterschiedlich. Der Mann war ein wenig autoritärer und sehr sachlich. Die Frau war viel durchlässiger und ganzheitlicher, auch in Bezug auf die Musik. Gerade in diesem Beruf ist es besonders wichtig, den Kopf und das Gefühlvolle miteinander verbinden zu können. Ich habe den Eindruck, dass Frauen das gut können.

Im Film klingelt andauernd das Telefon. Nina ist ständig abgelenkt von der Arbeit, und man leidet mit ihrem Sohn, den das irgendwann so sehr nervt, dass er in einem Akt der Selbstbestimmung ihr Telefon zertrümmert. Trotzdem wird am Anfang des Filmes sehr wenig gesprochen. Woher kommt dieses Schweigen?

Als Dirigentin ist Nina gerade in einer künstlerischen Phase, in der sie sich wirklich nicht auf irgendetwas anderes konzentrieren kann. Vom Kind dann zu erwarten, dass es das versteht, das geht schon sehr weit in die Erwachsenenwelt hinein. Nina ist als Person nicht perfekt, sie ist skeptisch, statt ihrem Sohn zu vertrauen. Sie sieht bestimmte Dinge nicht, die von außen total offensichtlich sind, weil sie ständig abgelenkt ist.

Nina versteht, dass die Bindung zu ihrem Kind verloren geht und will etwas ändern. Das schaffen nur wenige Menschen.

Die Geschichte erzählt sich stark über die Musik Mahlers. Das Adagietto in der 5. Sinfonie, die sie im Film dirigiert, macht Nina sehr zu schaffen, weil sie keinen Zugang dazu findet. Als die Ereignisse mit ihrem Sohn eskalieren, lernt sie eine gewisse Demut. Sie begreift, dass sie nicht alles kontrollieren kann. Und öffnet sich schließlich auch der Musik mit einem neuen Zugang.

Die Regisseurin Hanna Slak stellt mit dem Film die These auf, dass man als Künstler*in nur Profi sein kann, wenn man fähig ist, bedeutsame Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Würden Sie dem zustimmen?

Meine Erfahrung mit einer Familie ist, dass man sich verändert. Es ist manchmal störend, nicht mehr so viel Raum zu haben, aber man lernt, Dinge anders einzuordnen, dreht sich nicht mehr so sehr um sich selbst. Ich bin effizienter geworden. Oder kürzer geantwortet: Alles braucht seinen Raum, und jede Vernachlässigung in einem der Bereiche wirkt sich frustrierend aus.

Hat sich Ihr Anspruch an die Arbeit anderer damit auch geändert?

Ich mache nur noch Sachen, die ich wirklich möchte. Mich stört es inzwischen, wenn Arbeitszeit nicht gut genutzt wird. Wenn Zeit verschludert wird und die Konzentration fehlt. Ich denke dann immer: Hallo?! In zwei Stunden muss ich die Kinder abholen. Familie setzt neue Energie frei, die ich so vorher nicht kannte.

In einer zentralen Szene streiten Mutter und Sohn am Abendbrottisch, und Nina sagt auf dem Höhepunkt den Satz: »Sag mir, was ich falsch gemacht habe!« Ist das das ewige Mutter-Trauma, schuld zu sein, an allem, was mit dem Kind schiefgeht?

Da manifestiert sich die Angst, als Mutter nicht zu genügen. Man fragt sich ja andauernd: Wie muss man sein, um eine gute Mutter zu sein? Im besten Fall kommt man zu der Erkenntnis, dass man es einfach immer wieder versucht, und dann wird genau das gut genug sein. Nina hat in der Szene den Mut, diese Frage nach dem Genügen an ihren Sohn zu adressieren.

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Haben Menschen, die behaupten, dass Kind und Karriere nicht gleichwertig funktionieren, recht?

Ich würde nie behaupten, dass beides einfach machbar wäre. Ich bin oft total zerrissen, und mein Partner und ich überlegen täglich, wie wir uns aufteilen können, da wir beide voll arbeiten. Viele um uns herum verfallen noch in dieses alte Schema, dass einer weniger arbeitet als der andere.

Vereinbarkeit ist seit Jahren ein riesiges Thema. Wie ist es in der Kunst? Wird es eher weggelächelt – oder nimmt man es ernst?

Ich bin seit über zehn Jahren Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin, und in dieser Zeit hat sich schon einiges getan. Der Samstag war immer ein normaler Arbeitstag, und vor einer Weile haben wir gemeinsam entschieden, dass der Tag als Probentag wegfällt und nur noch die Abendvorstellungen fixe Termine sind. In der Filmproduktion ist es aber schon noch ein individueller Kampf. Da muss ich immer danach fragen, einen Wochenplan zu machen, damit man die Betreuungszeiten der Kinder absprechen kann. Man muss es also stets neu einfordern, aber dann stößt man auf relativ wenig Widerstand.

Meine Vermutung wäre eher gewesen, dass sich Mütter ihre Rechte jedes Mal hart erstreiten müssen.

Nein, es wird inzwischen auch von den jüngeren Kollegen ohne Kinder mehr auf Ausgeglichenheit von Privatem und Beruflichem geachtet. Aber man muss es schon von sich aus ansprechen, sonst passiert nichts.

Ich komme gerade von einem Dreh im Senegal, und dort läuft das Arbeiten noch mal anders. Es gab eine Situation, die ich in Deutschland so schon 100 Mal erlebt habe: Ein Regisseur schreit andere an, weil irgendetwas zu lange dauert, und eine Kollegin aus der Ausstattung fängt an zu weinen. In Deutschland ist es normal, dass man, wenn man angegangen wird, in den Angriff geht; nach dem Motto »Das bekommst du zurück«. Wenn einer weint, wären alle nur genervt. Aber in dieser Situation sind sie auf die Frau zugegangen und haben sie getröstet. Es war wichtiger, darauf zu achten, wie es jemandem geht, als einen Zeitplan einzuhalten. Und das Beeindruckende war, dass das Team diesen Konflikt gemeinsam gelöst hat und schon nach kurzer Zeit wieder konzentriert weitergearbeitet werden konnte. Eine wunderschöne Erfahrung.

»Kein Wort«, Deutschland, Frankreich, Slowenien 2023. Regie und Drehbuch: Hanna Slak.
Mit: Maren Eggert, Jona Levin Nicolai, Maryam Zaree. 87 Minuten. Start: 4. Juli.

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