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Auslieferung nach Ungarn: Rückholung von Maja T. unmöglich
Deutsche Auslieferung nach Ungarn sorgt in Berliner Rechtsausschuss für Kritik
Trotz anderslautender Weisung von höherer Stelle gab das Berliner Kammergericht am vergangenen Donnerstagnachmittag einem Auslieferungsantrag Ungarns für Maja T. statt. Mitten in der darauf folgenden Nacht setzte das sächsische Landeskriminalamt (LKA) die nonbinäre Aktivist*in in einen Hubschrauber Richtung Österreich. Freitag um 6.50 Uhr wurde T. an der österreichischen Grenze an die dortige Polizei übergeben, gegen 10.00 Uhr schließlich – wohl aufgrund eines sogenannten Durchlieferungsersuchens – an die Polizei in Ungarn weitergereicht.
Die Ketten-Auslieferung am Freitag war der Höhepunkt in einem Krimi, auf den sich Unterstützer*innen von Maja T. seit Monaten vorbereitet haben. In Budapest soll sich T. als Mitglied einer »linksextremistischen Organisation junger Erwachsener« sowie der versuchten gefährlichen und schweren Körperverletzung verantworten. Zusammen mit über einem Dutzend Linker aus Deutschland, Italien, Albanien und Syrien soll T. im Februar 2023 am Rande des rechtsextremen »Tages der Ehre« in der ungarischen Hauptstadt sechs mutmaßliche Teilnehmer eines Aufmarsches mit Schlagstöcken und anderen Werkzeugen verletzt haben.
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Noch in der Nacht versuchten T.s Anwälte, Maik Elster aus Jena und Sven Richwin aus Berlin, die Übergabe mit Verweis auf unmenschliche Haftbedingungen in Ungarn zu stoppen; am frühen Freitagmorgen reichten sie dazu einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Der positive Bescheid kam um 10.50 Uhr und damit zu spät: T. befand sich zu diesem Zeitpunkt schon auf ungarischem Hoheitsgebiet – wie in Österreich haben deutsche Polizei- oder Justizbehörden dort keine Vollmachten.
Im Raum steht nun der Vorwurf, dass die Berliner Generalstaatsanwaltschaft die Weisungen des höchsten deutschen Gerichts überging. Nach eigenen Angaben erfuhr die Behörde aber erst um 8.32 Uhr von der Entscheidung aus Karlsruhe, als sich T. bereits in den Händen der Polizei in Österreich befand. Jedoch wollen Elster und Richwin bereits in der Nacht dem LKA Sachsen mitgeteilt haben, rechtliche Schritte einleiten zu wollen. Dort wiederum heißt es, die Anwälte hätten lediglich angekündigt, sich »bei der Justiz beschweren« zu wollen.
War die Ansage also zu unkonkret? Am Mittwoch haben dazu Berliner Abgeordnete von Linke und Grünen die Justizsenatorin Felor Badenberg im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses befragt. Für die Beantwortung brachte die CDU-Politikerin die Oberstaatsanwältin Simone Herbeth mit, die den Vorgang detailliert nachzeichnete. Demnach hätten die ungarischen Justizbehörden dem Kammergericht Garantieerklärungen für ein rechtsstaatliches Verfahren sowie menschenwürdige Haftbedingungen für T. abgegeben, die durch das deutsche Konsulat kontrolliert werden könnten. Dazu gehört auch die Zusicherung, dass T. im Falle eines Urteils eine möglicherweise verhängte Haftstrafe in Deutschland absitzen darf.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag verfügt, dass, sofern die Auslieferung bereits gestartet worden sei, »Maßnahmen zur Rückführung« von T. nach Deutschland zu ergreifen sind. Die Richter hätten zu diesem Zeitpunkt aber nicht gewusst, dass sich T. bereits außer Landes befand, erklärte Staatsanwältin Herbeth im Rechtsausschuss. Dadurch sei die Weisung obsolet. Das habe ihr das Bundesverfassungsgericht auch nach Rückfrage versichert.
Dass Maja T. mit einem Hubschrauber an die österreichische Grenze geflogen wurde, erklärte Herbeth mit Hinweisen zu geplanten »Störaktionen« von Unterstützern zur Verhinderung der Auslieferung. Angesichts dieser »Bedrohungsszenarien« gehe sie davon aus, dass das sächsische LKA sich deshalb für den frühen Flug entschieden habe.
»Die Antworten der Staatsanwaltschaft lassen mich fassungslos zurück«, sagt der Linke-Abgeordnete Sebastian Schüsselburg dem »nd«. Die Behörden hätten »bewusst Tempo gemacht«, um dem Bundesverfassungsgericht zuvorzukommen, so der rechtspolitische Sprecher der Fraktion.
So sieht es auch der Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas aus Köln, den das Rechtsmagazin »LTO« um eine Einordnung bat. Er bezeichnet die Art und Weise des Vollzugs der Auslieferung als »Nacht-und-Nebel-Aktion« und angesichts des bevorstehenden Beschlusses des Verfassungsgerichts als rechtswidrig. »Ein solches Vorgehen kenne ich von Schurkenstaaten wie Russland und dem Iran, nicht jedoch von einem Rechtsstaat«, so der Anwalt.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fordert die Berliner Generalstaatsanwaltschaft auf, »alles dafür zu tun, Maja T. sofort aus Ungarn zurückzuholen«. Das schrieb die in Köln ansässige Organisation am Mittwoch in einer Pressemitteilung. Mit rechtlichen Mitteln ist das aber nicht mehr möglich, da in Ungarn kein deutsches Urteil vollstreckt werden kann, sagt Sven Richwin, einer der Anwälte der Aktivistin, auf Nachfrage des »nd«. Gegen die Auslieferung an das als queerfeindlich geltende Land will das Anwälteteam Verfassungsbeschwerde erheben – allerdings mit dem Ziel eines generellen Urteils zur ungarischen Menschenrechtslage.
Das ungarische Justizsystem erlaubt es auch, Angeklagte in Ketten und an einer Leine ins Gericht zu führen. So erging es der Italienierin Ilaria Salis beim Prozessauftakt im Februar in Budapest. Dies führte zu einem Aufschrei in der italienischen Öffentlichkeit und einer diplomatischen Verstimmung zwischen den beiden Ländern. Ein in derselben Sache in Auslieferungshaft sitzender Italiener wurde von der Staatsanwaltschaft in Mailand freigelassen. Salis durfte schließlich nach ihrer erfolgreichen Kandidatur für das EU-Parlament in ihre Heimatstadt Monza ausreisen.
Ebenso in Ketten könnte nun auch Maja T. im Prozess vorgeführt werden. Einen Vorgeschmack bot dazu die Übergabe an die ungarische Polizei am Freitag. In einem von der Behörde veröffentlichten Video ist zu erkennen, wie mit Maschinengewehren bewaffnete Polizisten einen Riemen an den Handschellen von T. anbringen und diese zu einem Fahrzeug führen. Ein Geständnis erhielten die Behörden beim anschließenden Verhör nicht, bestätigte die Budapester Polizei am Freitag.
»An Maja soll ein Exempel statuiert werden, um die antifaschistische Bewegung einzuschüchtern«, schrieb die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe am Wochenende. Tatsächlich haben die ungarischen Behörden europäische und internationale Haftbefehle gegen 14 weitere Personen erlassen, von denen drei nach Angaben von Ungarns Polizei im Ausland festgenommen wurden. Eine davon ist die Antifaschistin Hanna S., die seit Anfang Mai in Nürnberg in Untersuchungshaft sitzt. Ihre Auslieferung haben ungarische Behörden offenbar noch nicht beantragt; darüber müsste dann das Landgericht entscheiden.
In einer früheren Version stand im Artikel, dass Hanna S. in Nürnberg in Auslieferungshaft sitzt. Dies ist aber offenbar aus Ungarn noch nicht beantragt.
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