Großbritannien: Die Insel der Unseligen

Viereinhalb Jahre nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs bleibt der vorhergesagte Crash aus. Dennoch herrscht Ernüchterung auf der Insel.

Vor viereinhalb Jahren trat Großbritannien aus der EU aus. Bisher lassen sowohl Crash als auch wirtschaftlicher Aufschwung auf sich warten.
Vor viereinhalb Jahren trat Großbritannien aus der EU aus. Bisher lassen sowohl Crash als auch wirtschaftlicher Aufschwung auf sich warten.

Die allgemeine Stimmung scheint in Großbritannien schlechter zu sein als die wirtschaftliche Lage – zumindest auf den ersten Blick. Im Unterschied zur Bundesrepublik, in welcher das Bruttoinlandsprodukt zurückging, vermeldete London für 2023 immerhin ein leichtes Wachstum von 0,1 Prozent. Auf längere Sicht war das Wachstum stärker als in Deutschland, Frankreich und Italien. Zudem ist die Inflation auf dem Rückzug. Und die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr mit 4,4 Prozent auf der britischen Insel vergleichsweise moderat ausfallen. In Deutschland liegt sie bei sechs Prozent. Dennoch hinterlässt der konservative Premierminister Rishi Sunak ein Land im wirtschaftlichen Krisenmodus.

Probleme macht unter anderem das Thema Wasser. Drei Jahrzehnte nach der Privatisierung der Wasserwirtschaft wächst der Druck, sorgsam mit dem Rohstoff umzugehen. Während Aktionäre mit hohen Dividenden verwöhnt wurden, investierten die Unternehmen zu wenig in ihre Infrastruktur. Auf rund 20 Prozent taxieren Fachleute die sogenannten Rohrnetzverluste. Als akzeptabel gilt der in Deutschland übliche Wasserverlust von etwa fünf Prozent.

Handfeste Skandale fördern die schlechte Laune. Im Küstenstädtchen Brixham landete kürzlich Dung von Viehweiden im Leitungswasser; mit Jauche verseucht wurde der größte Binnensee und ein traditionsreiches Schwimmfest in der Themse wurde abgeblasen. »Unsere Flüsse befinden sich in einem desolaten Zustand«, kritisiert der Umweltverband The River Trust. Giftige Chemikalien, die jahrzehntelang in den Ökosystemen verblieben, verschmutzten viele Flüsse.

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Nach der Weltwirtschaftskrise von 2008 setzte die britische Regierung im weitgehend staatlichen Gesundheitswesen auf einen strikten Sparkurs. Die Nachfolgeregierungen ruderten zwar zurück, aber Corona durchkreuzte die Wende. Weiterhin gilt das Gesundheitssystem als dramatisch unterfinanziert. Millionen Britinnen und Briten warten auf Operationen.

Der 2016 mit knapper Mehrheit in einem Referendum beschlossene EU-Austritt hat außerdem Handwerk, Transport und anderen Wirtschaftszweigen einen akuten Personalmangel beschert. Arbeiter aus dem europäischen Ausland spielten lange eine zentrale Rolle in der britischen Wirtschaft. Der Ende 2020 vollzogene Brexit hat zudem den Aufwand für Grenzkontrollen erhöht und Exporte in die EU vermindert, dem vormals wichtigsten Handelspartner. Die private Wirtschaft hielt sich angesichts der unsicheren Entwicklung mit Investitionen merklich zurück.

Die »Freiheit von der Brüsseler Bürokratie« konnten die konservativen Regierungen von Theresa May über Boris Johnson bis Sunak bisher nicht in wirtschaftliche Erfolge für die Briten ummünzen. »Von einer realwirtschaftlichen Dynamik ist nach der Coronakrise nichts zu sehen«, analysiert die deutsche Außenhandelsorganisation GTAI. Treiber des BIP sei der Staatskonsum, der laut Prognose von Oxford Economics 2024 um 3,4 Prozent zulegen wird. Es sind aber vor allem inflationsbedingt gestiegene Ausgaben und Schuldentilgungen, welche die Staatsausgaben ankurbeln, während die Investitionen zurückgehen.

Die »Freiheit von der Brüsseler Bürokratie« konnten die konservativen Regierungen von Theresa May über Boris Johnson bis Sunak bisher nicht in wirtschaftliche Erfolge ummünzen.

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Die Staatsschuldenquote war mit der Coronakrise gestiegen und bleibt mit rund 104 Prozent hoch. Sowohl die Tories als auch die sozialdemokoratische Labour-Partei versprechen eine Senkung der Staatsschulden und setzen sich damit einen fiskalisch engen Spielraum. Dieser wird zudem von den hohen Leitzinsen der Bank von England eingeengt.

Dennoch liegen Großbritannien und Deutschland bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen ziemlich gleichauf. Das besagt der Gini-Koeffizient der Weltbank. Zusätzlich verbessern sich viereinhalb Jahre nach dem Brexit die Erwartungen deutscher Unternehmen an ihre Geschäftsentwicklung im Vereinigten Königreich. Wie aus der Frühjahrsumfrage der Deutsch-Britischen Handelskammer hervorgeht, blicken 56 Prozent der befragten Manager positiv auf das laufende Jahr. Im November waren es nur 45 Prozent.

Dahinter stehen sowohl der Expansionskurs der deutschen Discounter Lidl und Aldi, als auch die Pläne deutscher Energiekonzerne auf der Insel. So startet RWE eine Investitionsoffensive in neue Solarparks und baut sein Wasserstoffportfolio im schottischen Chemiepark Grangemouth aus.

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