»Maul halten und weiter dienen«

Das kleine Grosz-Museum in Berlin spürt in einer Sonderausstellung der Arbeitsbeziehung von George Grosz, Bertolt Brecht und Erwin Piscator nach

George Grosz: Angreifendes Skellett mit Gasmaske, 1927, Zeichnung zu der Inszenierung»Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« an der Piscatorbühne, Berlin 1928
George Grosz: Angreifendes Skellett mit Gasmaske, 1927, Zeichnung zu der Inszenierung»Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« an der Piscatorbühne, Berlin 1928

Was haben München und Wien ebenso gemeinsam wie Hannover und Düsseldorf, aber auch Meiningen? Und was wiederum unterscheidet diese Städte von Berlin? Nun, die Hauptstadt der Bundesrepublik, in der man sich einiges einbildet auf das hiesige kulturelle Leben, unterhält kein Theatermuseum. Was von Zeit zu Zeit immerhin als Mangel hervorgehoben wird. Auch wenn sich derzeit offenbar niemand – kein Gott, kein Staat und sicher kein Kultursenat – findet, um dem Abhilfe zu schaffen. Hier darf man sich glücklich schätzen, wenn immerhin keines der Opernhäuser geschlossen wird.

Umso erfreulicher, dass das auf private Initiative ins Leben gerufene Kleine Grosz-Museum in die Bresche springen kann. Dabei handelt es sich natürlich nicht um ein Museum für die darstellenden Künste, sondern in einer Dauer- und bisher in Summe vier Sonderausstellungen widmet man sich dem Werk des Namensgebers, des Grafikers und Malers George Grosz. Die jüngste Sonderausstellung, in der vergangenen Woche eröffnet, steht unter dem Titel »Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht & Piscator« und zeigt die Arbeitsbeziehung der zwei Theaterleute Bertolt Brecht und Erwin Piscator zu dem prägenden bildenden Künstler der Weimarer Republik.

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Seinen unverwechselbaren Ort in der Berliner Bülowstraße verdankt das Museum dem Schweizer Galeristen und Sammler Juerg Judin. Der hatte in den 2000er Jahren eine Shell-Tankstelle zu einem Wohn- und Atelierhaus umbauen lassen. Und in diesem markanten Bau residiert nun also Das kleine Grosz-Museum.

Hier wird jetzt den wechselseitigen Beziehungen der drei Arbeiter im Steinbruch der aufklärerischen Kunst – Grosz, Brecht, Piscator – nachgegangen, und das gelingt den Kuratoren durch eine überschaubare, aber klug konzipierte Ausstellung, die vorrangig bildnerische Werke von Grosz zeigt, einige unbekannte Dokumente und Archivalien zutage fördert und durch kurze, aber instruktive Begleittexte plausibel macht.

Die drei kamen für eine einzige gemeinsame Arbeit zusammen, die Geschichte machen sollte: »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« nach dem Roman von Jaroslav Hašek, im Januar 1928 uraufgeführt an der Piscatorbühne im Theater am Nollendorfplatz (unweit des Museums). Hašeks Stoff, ein Roman um den Schelm Schwejk, der sich mit Witz und Gerissenheit durch das Kriegsgeschehen schlägt und uns wie nebenbei die Verkommenheit der Armee und die Sinnlosigkeit des Kriegstodes zeigt, passte gut in die Weimarer Jahre, in die kurze Zeit zwischen den Kriegen. Und, das nur nebenbei, auch heute würde die Lektüre angesichts von Heldensehnsucht und neuer Begeisterung fürs Militärische dem einen oder anderen guttun.

Piscator, Multimediakünstler avant la lettre, zeichnete als Regisseur. Brecht, der bald schon an seinem Stück »Schwejk im Weltkrieg« arbeitete, schrieb eifrig an der Bühnenfassung mit. Und Grosz wurde für die Inszenierung zum Bühnengestalter. Teile des Stückpersonals fertigte er als Figurinen, die er und Piscator auf Laufbändern auf der Bühne marschieren ließen. Hinter dem szenischen Geschehen wurden Zeichnungen von Grosz projiziert, die sich zu einem Trickfilm fügten. Auch davon gibt die Ausstellung einen Eindruck. Beides, der Einsatz von Bewegtbild wie auch der umfassende Einsatz bisher ungekannter Bühnentechnik, sind Neuerungen, die erst Piscator in Deutschland durchsetzte.

Besieht man in der Ausstellung die Schwarz-Weiß-Fotografien, die von der Inszenierung gefertigt wurden, ahnt man, wie schwer es ist, die vergängliche Kunstform Theater mit Gewinn für ein breites Publikum zu rekonstruieren. Aber, kurz gesagt: Grosz’ Grafiken zum Komplex »Schwejk« versprühen ein Vielfaches von dem an Esprit, was eine fotografische Dokumentation überhaupt vermag, und so bekommt man jedenfalls einen Eindruck von Tempo und Lebendigkeit dessen, was da auf der Bühne zu sehen gewesen sein muss. Und auch davon, wie der schnelle, reduzierte Strich des Künstlers, die Neigung zu Typisierungen, die Suche nach dem Markanten in der Figur der Bühnenkunst entgegenkommen.

Die Grosz’schen Gebrauchsarbeiten für das Theater hatten ihr bemerkenswertes Nachleben. Zur Uraufführung des »Schwejk« veröffentlichte Grosz ein Mappenwerk mit Zeichnungen zu dem Stoff, das er schlicht »Hintergrund« betitelte. Dieses führte wiederum zum längsten Kunstprozess der Weimarer Republik. Letztlich bekommt der Künstler recht: Die Mappe darf erscheinen, aber einzelne Blätter darin fallen einem Verbot zum Opfer.

Darunter befindet sich auch das Grosz’sche Opus »Maul halten und weiter dienen«, auch bekannt als »Christus mit der Gasmaske«. Neben der klaren antimilitaristischen Botschaft beeindruckt dieses Werk vor allem durch die Ökonomie der Mittel, durch das Vermögen des Künstlers, mit wenigen Strichen Szenen entstehen zu lassen. Die Darstellung Christi am Kreuz, nicht nur bei Grosz ein denkbar brutales Bild, findet eine sinnfällige Ergänzung: Mit Stiefeln und Gasmaske ist der Heiland ausgestattet, vielleicht erst beim zweiten Blick festzustellen. Und schon schnellen die Fragen im Betrachter auf: Wer stirbt hier für wessen Sünden? Für wen das Martyrium? Ein Verbot war letztlich die logische Konsequenz.

Der Ausstellungsschwerpunkt »Schwejk« wird ergänzt durch Zeichnungen für eine spätere Kollaboration zwischen Brecht und Grosz. 1932 wird Grosz zum Illustrator für Brechts Kinderlyrikband »Die drei Soldaten«, das ein Schattendasein innerhalb des Brecht’schen Œuvres fristet. Ein Kinderbuch, das ob seiner ungeschönten Beschäftigung mit dem Krieg, heute wohl kaum mehr von Pädagogen empfohlen würde.

Schließlich zeigt Das kleine Grosz-Museum auch die, bisher kaum zur Kenntnis genommene, Korrespondenz zwischen Brecht und Grosz, der Zeugnis von einem anhaltenden gegenseitigen Interesse, auch von einer Freundschaft auf und trotz Distanz gibt. Dass die Briefe und Gegenbriefe in dem – ausgesprochen elegant gestalteten – Ausstellungskatalog erstmals zusammen abgedruckt sind, macht diesen nicht zu einem Ersatz für den, unbedingt empfehlenswerten, Museumsbesuch, aber lässt ihm darüber hinaus einigen Wert zukommen.

»Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht & Piscator«, Das kleine Grosz-Museum, Bülowstraße 18, Berlin, bis 25. November.
Der gleich betitelte Ausstellungskatalog erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 292 S., geb., 35 €.

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