Jürgen Sparwasser forever

Von 50 Jahren besiegte die DDR die BRD bei der WM. In Berlin wurde jetzt das gesamte Match nachgespielt

Ihr wollt einen starken Einzelspieler? Da ist er und schickt die BRD zu Boden.
Ihr wollt einen starken Einzelspieler? Da ist er und schickt die BRD zu Boden.

Kürzlich hatte das legendäre Sparwasser-Tor 50. Geburtstag. Jürgen Sparwasser schoss es am 22. Juni 1974 um 21.03 Uhr vor 60 000 Zuschauern im Hamburger Volksparkstadion und damit die DDR zum 1:0 Sieg gegen die BRD. In der ersten und letzten Begegnung dieser beiden Fußballnationalmannschaften, ausgerechnet bei der WM in der BRD. Eine hochsymbolische Angelegenheit: Der Kapitalismus war zu Hause zu schlagen – durch ein »starkes Kollektiv«, über das sich vorher Herbert Widmayer aus dem BRD-Trainerstab echauffiert hatte, dies sei das Allheilmittel der DDR, weil es ihr an starken Einzelspielern fehle. Und dann wurde Sparwasser dieser Einzelspieler und strahlte mit seinem Tor für alle Zeit.

Dank diesem Tor wurde die DDR Gruppensieger in der Vorrunde und die BRD letztendlich zum zweiten Mal Weltmeister. Denn ohne diese Niederlage hätte sie es nicht vermocht, sagt man heute, weil danach Kapitän Franz Beckenbauer und Trainer Helmut Schön in der »Nacht von Malente« (einer kasernenartigen Sportschule in Schleswig-Holstein) die Mannschaft neu aufstellten, nicht mehr so offensiv und hinten besser gesichert.

Das berühmte Match wurde nun in Berlin als »Reenactment« nachgespielt, im Kulturprogramm zur EM als Zweipersonenstück über volle 90 Minuten plus 15 Minuten Halbzeit. Eine Variante hatte Regisseur Massimo Furlan erstmals 2008 aufgeführt, damals noch als Solostück mit ihm in der Hauptrolle als Sparwasser. Vorbild hierfür könnte der Avantgarde-Dokumentarfilm »Fußball wie noch nie« gewesen sein, für den Hellmuth Costard 1970 George Best bei einem unspektakulären Ligaspiel in England abfilmte und dabei nur ihn und seine Bewegungen zeigte.

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Im Berliner »Reenactment« war Furlan diesmal nur noch der bundesdeutsche Torwart Sepp Maier. Tanja Walther-Ahrens, die in den 90er Jahren in der Frauenbundesliga für Tennis Borussia Berlin und Turbine Potsdam gespielt hatte, war Sparwasser.

Das Ganze fand, wiederum hochsymbolisch, zwischen dem Gropius-Bau (früher Westberlin) und dem Preußischen Landtag (Ostberlin) statt. Auf der Niederkirchnerstraße, wo früher die Mauer stand, war ein Fußballfeld abgetrennt, mit Originallänge, aber schmaler in der Breite. Die Zuschauer saßen auf einer kleinen, überdachten Tribüne auf sehr unbequemen Sitzen. Diese könnten also durchaus echt gewesen sein. Echt war auf jeden Fall die Kulturministerin Claudia Roth, die sich die Darbietung 20 Minuten anschaute und dann mit ihrem Gefolge in der Kabine verschwand, in diesem Fall eine Seitentür im Gropius-Bau. Auf der anderen Seite stand ein kleines Zelt, in dem man Bier kaufen konnte (0,33 Pilsner Urquell für 3,80 Euro).

Zu sehen gab es fast nichts. Denn wenn zwei Mannschaften gleich gut sind, halten sie sich in Schach und die Stürmer und die Torleute haben nicht so viel zu tun. Hier wurden die damaligen Laufwege und Bewegungsabläufe von Maier und Sparwasser dargestellt – ohne einen Fußball, sozusagen pantomimisch. Ab und zu warf sich Furlan als Maier auf eine Turnmatte, wie man sie aus dem Schulunterricht kennt, denn es gab keinen Rasen, sondern harten Asphalt. Walther-Ahrens als Sparwasser stand meist am Mittelkreis und sprintete manchmal nach vorn oder auch nach hinten. Fußball ist ein langsamer, anstrengender Sport mit viel Leerlauf, das wurde hier noch einmal deutlich.

Zu sehen gab es fast nichts. Denn wenn zwei Mannschaften gleich gut sind, halten sie sich in Schach und die Stürmer und die Torleute haben nicht so viel zu tun.

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Doch es gab etwas zu hören: Die echten Radioreportagen von damals in voller Länge, sowohl die aus dem Westen (Reporter war Heribert Fassbender) als auch die aus dem Osten (Werner Eberhardt). Man konnte sie auf seinem Handy ertönen lassen, wenn man sich eine bestimmte App heruntergeladen hatte, und man konnte auch hin und her, von West nach Ost und zurück, schalten. Vor allem sollte man das Handy laut schalten, um eine Dynamik, die man wohl als eine Art Fußballgefühl bezeichnen könnte, entstehen zu lassen. Das war schon die ganze Idee dieser Inszenierung.

Als es dunkel wurde, schoss Sparwasser in der 77. Spielminute das 1:0, heiligengleich mit einem Spot angeleuchtet. Danach machte Walther-Ahrens Sparwasser einen süßen Purzelbaum. So freuen sich die Sozialisten! Und auch das Berliner Publikum jubelte. In der ersten Halbzeit versuchte es sich etwas sehr ironisch an La Ola, das klappte aber nicht richtig. Ab und zu fiel eine Bierflasche um, das machte auf dem metallischen Tribünenboden etwas Krach.

Dazu sirrten die Radioreportagen aus den auf laut gestellten Handys, das klang wie eine Mischung aus Vogelkäfig und fließendem Autoverkehr. Man muss einfach nur zwei Sender gleichzeitig laufen lassen, schon hat man akustische Aktion wie in der Experimentalmusik. Zusätzlich gab es über aufgestellte Lautsprecher Stadiongeräusche wie Stimmengewirr, Beifall und Pfiffe, was es aber nicht gebraucht hätte.

Auch wenn heutzutage immer wieder zu hören ist, dass der Nationalismus bei der WM 1974 kaum zu merken gewesen sei, so ist einer Reportage, die damals in der »Süddeutschen Zeitung«, zwei Tage nach dem Sparwasser-Tor, erschien, zu entnehmen, dass die Hamburger Zuschauer in Sprechchören stupide und imperialistisch »Deutschland, Deutschland« gebrüllt hätten, doch die Fans auf der Gegentribüne hätten »jedes Atemholen zwischen den ›Deutschland‹-Rufen zu einem erstaunlich lauten ›D-D-R‹« benutzt. Live bemerkte Westreporter Fassbender: »Unter uns singen etwa 3000 DDR-Schlachtenbummler ›Ja, wo bleibt das 1:0?‹«.

Als Sparwasser es in diesem »Ausdauerspiel«, wie es Ostreporter Eberhardt nannte, endlich erzielt hatte, bilanzierte Fassbender, es sei »ein schönes Tor« gewesen, in »diesem durchweg fairen Spiel«. Überhaupt war der damalige Sportreporter-Tonfall wesentlich umsichtiger, objektivierender und damit auch sportlicher angelegt als das derzeitige vitalistische Mitbrüllenwollen der Fußball-Kommentatoren, das sich, egal ob im Radio oder im TV, stets am Rand der Lächerlichkeit bewegt. Nach dem Motto: Du hast keine Gefühle für dein Land? Ich schreie sie dir ins Ohr!

Vergleichsweise vornehm agierte damals Eberhardt. »Ich rufe dreimal Bravo… Bravo! Bravo! Bravo«, erlaubte er sich direkt nach Sparwassers Schuss in den kurzen Winkel auszurufen, um dann nach dem Abfiff zu erklären: »Gruppenerster in der Gruppe 1 vor der BRD? Ich glaube, man bräuchte dafür erstmal eine Sammlung der Gedanken.«

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