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Fennpfuhl: Geplanter grüner Faden

Im in der DDR geplanten und gebauten Lichtenberger Stadtteil Fennpfuhl ist die 15-Minuten-Stadt schon heute realisiert

Alles ganz nah: Der Anton-Saefkow-Platz, auch liebevoll das Herzstück des Fennpfuhls genannt
Alles ganz nah: Der Anton-Saefkow-Platz, auch liebevoll das Herzstück des Fennpfuhls genannt

Ein Hochhaus thront über dem Lichtenberger Roederplatz. Der graue, unsanierte Plattenbau ist aber nicht irgendein Gebäude, sondern Teil der Wohnanlage Fennpfuhl, der ersten zusammenhängenden Plattenbau-Großwohnsiedlung in der DDR. Hier am Roederplatz wurde 1972 der Grundstein gelegt, für die Siedlung, die heute einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile Berlins ist.

»Der Fennpfuhl ist mein Baby«, sagt Dieter Rühle. Und das nicht zu Unrecht. Rühle war Komplexarchitekt, eine Funktion, für die Architekten für Wohnungsbauprojekte mit mehr als 5000 Wohnungen in der DDR berufen wurden. Rühle war mitverantwortlich für die Koordination der Bauarbeiten für die mehr als 15 000 Wohnungen. Eine städtebauliche Meisterleistung, die Vorbild für die Herausforderungen der Wohnungskrise heute sein kann. Der Bildungsverein Helle Panke hat zusammen mit der Hermann-Henselmann-Stiftung zu einem Stadtrundgang durch das Lichtenberger Wohngebiet eingeladen. Neben Rühle führen der Stadtplaner Georg Balzer, der im Fennpfuhl-Kiez aufgewachsen ist, und die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) durch die Wohnanlagen.

Was beim Rundgang als Erstes auffällt: die Ruhe. Das ist kein Zufall, denn Ziel der Anlage war es, von Anfang an »ruhige Wohnlagen, frei von Verkehr, frei von Abgasen« zu bauen, wie Komplexarchitekt Rühle ausführt. Zwischen den Plattenbauten sind großzügige Parks angelegt, mit Spielplätzen und Schulen, die alle fußläufig von den Wohnungen erreichbar sind, ohne dass eine Straße gequert werden müsste. Eine autofreie Stadt innerhalb der Stadt quasi. »Wir hatten die Stellplätze bewusst nach außen gelegt«, sagt Rühle. Aber die Lebensgewohnheiten machen der Planung einen Strich durch die Rechnung. Auf den Straßen vor den Wohnhäusern stehen jetzt doch einige Autos.

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Dass die Wohnanlage nicht für Autos angelegt ist, führte in Zeiten vor Google Maps mitunter zu Problemen. »Teilweise sind Leute, die uns besuchen wollten, eine halbe Stunde gefahren«, erzählt Stadtplaner Balzer. Die Wohngebietsstraßen sind nicht rechtwinklig angeordnet und führen um Kurven. Teilweise tragen parallel verlaufende Straßenzüge denselben Namen. Ohne Ortskenntnis macht das die Orientierung schwierig.

Die Grünflächen zwischen den elfgeschossigen P2-Plattenbauten, deren denkmalgeschützter Prototyp im Wohngebiet steht, sind teilweise verwildert. »Was Planer gut finden, freie Sicht, ist heute nicht mehr gegeben, aber für die Leute, die hier wohnen, ist das schön«, sagt Balzer. Zumindest östlich vom Roederplatz müssten die Grünanlagen gepflegt werden. Doch im Bezirksamt gebe es nicht genug Gelder für den Betrieb von Grünflächen, sagt Ex-Senatorin Lompscher, die vor ihrer Zeit im Senat im Bezirksamt Lichtenberg Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung war. Pflege reicht an manchen Stellen nicht mehr aus: Der Asphalt der Wege ist aufgeplatzt. Verantwortlich dafür sind die Wurzeln der Pappeln, die die Wege säumen.

Seit der Fertigstellung der Wohnanlage 1986 sind im Gebiet aber nicht nur Bäume in den Höfen gewachsen. Nach der Wende wurde aus der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft Elektrokohle die Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg (WGLi), in deren Eigentum die größten Teile der Siedlung sind. 15 Prozent der Bestände mussten aber privatisiert werden – ein Teil der Wendevereinbarungen. Während die WGLi zwischen 1991 und 2001 ihre Bestände sanierte, ist das eingangs am Roederplatz stehende Hochhaus in privater Hand und das einzige unsanierte Gebäude der Wohnsiedlung.

In den 90ern und frühen 2000ern gab es aber noch mehr Schwierigkeiten. Sinkende Einwohner*innenzahlen und eine prekäre Haushaltssituation machten dem Land Berlin zu schaffen. Landeseigene Liegenschaften wurden zu Spottpreisen verscherbelt, Schulen und Kitas abgerissen. »Das war eine bittere Situation«, berichtet Katrin Lompscher. In ihrer Zeit als Bezirksstadträtin wurden allein in Lichtenberg 40 Schulen und 60 Kitas abgerissen. Der Bedarf war damals nicht da. Vom Senat wurde sogar – heute unvorstellbar – Druck gemacht, dass Wohnungen abgerissen werden sollen. Zumindest das konnte aber vom Bezirk verhindert werden.

Dort, wo früher eine der abgerissenen Schulen war, steht heute ein Neubau. Im von der WGLi 2020 fertiggestellten »Lichtgarten« befinden sich 107 Wohnungen. Anders als in den 70ern und 80ern wurden aber wohnortnahe Parkplätze mit errichtet: Das Gebäude steht auf Stelzen, darunter können Autos abgestellt werden. Ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Nachverdichtung, wie Katrin Lompscher findet: »Hier wurde das auf einem ehemaligen Bauplatz gemacht.« Die Innenhöfe wurden als notwendiger grüner Bestandteil der Wohngebiete angelegt, erklärt Architekt Rühle. In Zeiten von Wohnungskrise geraten diese Freiflächen insbesondere im Osten der Stadt unter die Räder und sollen bebaut werden.

Überhaupt: Die Grünflächen. Es sind nicht nur individuell gestaltete Innenhöfe, die den Stadtteil so gar nicht urban wirken lassen. Der namensgebende Fennpfuhl, ein kleiner See, umgeben von einem Park, ist südlich direkt verbunden mit dem Rudolf-Seiffert-Park. Im Norden geht der Park mit mehr als 1200 Bäumen direkt über in den Anton-Saefkow-Platz, benannt nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer. »Das ist eine Grünverbindung, die sich wie ein grüner Faden durch das Gebiet zieht«, so Georg Balzer. Ursprünglich war es sogar möglich, bis zum Volkspark Prenzlauer Berg nur durch Parks zu gelangen. Heute wird der Weg durch einen Neubau unterbrochen.

»Die berühmte 15-Minuten-Stadt, die gibt’s hier schon«

Katrin Lompscher Ehemalige Stadtentwicklungssenatorin, Linke-

Der Anton-Saefkow-Platz ist das Herzstück des Gebietes, wie Katrin Lompscher ausführt. Rund um die freie Fläche mit einem Brunnen in der Mitte sind Wohnhäuser angeordnet. »Die Zentren wurden nach innen orientiert, das war die Philosophie«, erklärt Dieter Rühle. In Westdeutschland gebe es in den Innenstädten oft »tote Zonen«, weil dort die Wohnungen fehlten. Das Herzstück des Fennpfuhls ist alles andere als tot. Kinder spielen in der Sonne mit dem Wasser des Brunnens, Familien flanieren über den Platz. Ein ehemaliges »Konsument«-Kaufhaus, mit auffälliger Fassade, wurde in den 2010ern geschlossen und dann in ein Wohngebäude umgewandelt.

Da es die erste Plattenbau-Großwohnsiedlung war, konnte für den Bau der Fennpfuhl-Sieldlung experimentiert werden. Auch die finanziellen Mittel waren etwas großzügiger. Ganz ohne Probleme ging der Bau aber nicht über die Bühne. Rühle erzählt, dass sie für die Fassaden am Anton-Saefkow-Platz unbedingt dunkelrote Klinkersteine verwenden wollten. Aber diese waren Mangelware. Um das Problem zu lösen, fuhr er mit Kollegen und einer Kiste Bier zum Klinker-Produzenten und konnte so erreichen, dass für das Projekt genug Steine geliefert wurden. »Heute würde man das mit Geld regeln«, sagt er.

Der Bau des Fennpfuhls sei für eine großstädtische Wohnraumergänzung vorbildlich, sagt Katrin Lompscher im Gespräch mit »nd«. Konzepte, die heute als visionär gelten, sind dort schon realisiert: »Die berühmte 15-Minuten-Stadt, die gibt’s hier schon«, so die Ex-Senatorin. Aber auch die Entstehungsgeschichte könnte als Vorbild für die heute entstehenden Stadtquartiere dienen, wo es oft langsam zugeht. Damals seien alle planerischen Kräfte konzentriert worden in eine Komplexplanung, wo alle Fäden zusammenlaufen, so Lompscher. »Das ist eine Planungskultur, von der man was lernen kann.«

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