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Ist die IG Metall zu bescheiden?
Kritik an der IG Metall wegen zu lascher Gehaltsforderungen. Was ist dran?
Mit einer vergleichsweise moderaten Lohnforderung geht die mächtige Gewerkschaft IG Metall in die im Herbst beginnende Tarifrunde für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie. Sieben Prozent mehr Geld für Beschäftigte und 170 Euro für Auszubildende soll es geben, wie der Bundesvorstand diese Woche verkündete. »Die Steigerungen und Einmalzahlungen des letzten Tarifabschlusses sind verbraucht. Jetzt haben die Beschäftigten einen verlässlichen Dauerausgleich verdient«, teilte die Gewerkschaftsvorsitzende Christiane Benner zur Forderungsaufstellung mit.
Daneben will die Gewerkschaft die unteren Einkommensgruppen in den Betrieben mit einer sozialen Komponente entlasten, die die IG Metall allerdings nicht konkretisiert hat. Außerdem sollen bestehende Wahloptionen zwischen Arbeitszeit und Geld ausgeweitet werden. »Der Einsatz für Kolleginnen und Kollegen, Gesellschaft und Demokratie braucht mehr Anerkennung«, betonte Benner.
In Anbetracht einer gesunkenen Binnennachfrage soll das Lohnplus auch die zuletzt schwächelnde Konjunktur ankurbeln. Die trüben wirtschaftlichen Aussichten belasten derzeit Teile der Branche. So befinden sich die Auftragseingänge laut Statistischem Bundesamt seit drei Jahren in einem Abwärtstrend. Auch die Produktionszahlen liegen deutlich unter dem Niveau von vor fünf Jahren. Befürchtet wird, dass die Metall- und Elektroindustrie auf dem Weltmarkt aufgrund fehlender Investitionen bei der Technologieentwicklung nicht mithalten kann. Der Unternehmensverband Gesamtmetall kritisierte vor dem Hintergrund, dass die Gewerkschaft mit ihrer Tarifforderung den Standort gefährde. »Die IG Metall und wir warnen vor De-Industrialisierung und weisen auf die schlechten Rahmenbedingungen für Unternehmen hin. Und dann stellt die IG Metall eine der höchsten Entgeltforderungen der jüngeren Vergangenheit auf«, so Verbandspräsident Stefan Wolf.
Allerdings sind die Forderungen der Metall-Gewerkschaft vor dem Hintergrund der hohen Inflation und im Vergleich zu anderen Branchen zurückhaltend, wie aus Zahlen des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts hervorgeht. Gemeinsam mit der Chemiebranche bildet die Metall- und Elektroindustrie das Schlusslicht der dies- und letztjährigen Verhandlungsrunden. Durch den strukturellen Transformationsdruck drohten Arbeitsplatzverluste, sagte Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs zur Forderungsaufstellung dem »nd«. »Das dämpft das Forderungsvolumen der Gewerkschaft.«
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Es war ein schwieriger Spagat für die Gewerkschaftsführung. Aus einer Mitgliederbefragung der IG Metall ging hervor, dass sich viele Beschäftigte Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, auch wenn die Lage im eigenen Betrieb oftmals besser wahrgenommen wird als in der Gesamtwirtschaft, wie Nadine Boguslawski, Tarif-Vorständin der IG Metall, betonte. Andererseits sollen aber nach schwachen Tarifrunden der letzten Jahre die Reallohnverluste ausgeglichen werden.
Laut Umfrageergebnissen forderte etwa ein Drittel der befragten IG Metall-Mitglieder eine Lohnsteigerung von nicht mehr als sechs Prozent; ähnlich viele gaben bis zu acht Prozent an; und das letzte Drittel wollte mit einer Forderung nach mehr als acht Prozent in die Tarifrunde starten. Auf nd-Nachfrage zu den Hintergründen für die Verteilung heißt es aus der Gewerkschaft, es handle sich um eine interne Umfrage, die nicht öffentlich kommentiert werde. Es geht darum, im Vorfeld der Tarifrunde Geschlossenheit zu demonstrieren.
»Ich habe mich sehr schwer damit getan, vor meine Leute zu treten und denen die vergleichsweise niedrige Forderung zu erklären.«
Stefan Nagel
IG Metaller bei BMW Leipzig
Neben regionalen Unterschieden zwischen Ost und West dürften vor allem die Interessen zwischen Beschäftigten in größeren Unternehmen mit hohem Organisationsgrad und kleineren Zulieferbetrieben auseinanderliegen. So hat die vergleichsweise niedrige Forderung bei BMW in Leipzig unter den Beschäftigten für Frustration gesorgt, berichtet Stefan Nagel im Gespräch mit »nd«. Er ist Vertrauensperson der IG Metall und kandidierte bei den Kommunalwahlen für Die Linke. »Ich habe mich sehr schwer damit getan, vor meine Leute zu treten und denen das zu erklären«, sagt er. Aus den Erfahrungen der letzten Tarifverhandlungen wüssten die Beschäftigten, dass am Ende deutlich weniger herauskomme.
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»Natürlich werde ich helfen, die Kampfeslust der Belegschaft mit voranzutreiben«, betont er. Aber Nagel macht sich auch Sorgen. Denn in seinem Betrieb habe die IG Metall nach der letzten Tarifrunde Mitglieder verloren, die vom Verhandlungsergebnis enttäuscht waren. Der BMW-Arbeiter findet darum, dass die Basis bei der Entscheidungsfindung mehr eingebunden werden muss. Da habe es in den letzten Jahren positive Entwicklungen gegeben und die Mitgliederbefragung im Vorfeld der Tarifaufstellung sei gut gewesen. Auch sei die IG Metall zuletzt kämpferischer und beteiligungsorientierter geworden. »Aber da muss mehr kommen«, unterstreicht er. »Die Beschäftigten brauchen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.« Dazu benötige es mehr Transparenz, auch bei der Aufstellung der Tarifkommission und mehr Mitbestimmung, etwa wenn es darum geht, ob die Mitglieder einem Verhandlungsergebnis zustimmen.
Dass sich Teile der Branche in einer strukturellen Krise befinden, bestreitet der Metaller nicht. Und auch nicht, dass die Gewerkschaft darauf reagieren muss. Vor allem kleinere Zulieferbetriebe leiden unter dem Kostendruck der großen Konzerne. Nagel verweist auf den Automobilzulieferer GKN aus Zwickau: Das Werk soll 2026 geschlossen und nach Ungarn verlagert werden. »Da gab es 800 tarifgebundene Arbeitsplätze, der Betrieb war relativ gut organisiert«, sagt Nagel. Die IG Metall und das Land Sachsen helfen derzeit bei der Suche nach neuen Investoren, die Gewerkschaft hat einen Sozialplan für rund 750 Beschäftigte aushandeln können. Doch bislang gibt es niemanden, der den Gelenkwellenhersteller übernehmen will.
Spricht der Fall GKN für die Strategie der IG-Metall-Führung, nicht mit zu hohen Lohnforderungen in die Tarifrunde zu gehen? Nagel sieht das nicht so. »Anstatt dass die Gewerkschaft mit ihren Forderungen runtergeht, muss sie die Politik auffordern zu intervenieren«, ist er überzeugt. »Notfalls muss man die Betriebe vergesellschaften.« Vor allem, wenn es um Verlagerungen von Standorten gehe, die notwendige Produkte für die ökologische Transformation und für die Verkehrswende herstellen können.
Vergesellschaftungen, um Standortverlagerungen zu verhindern, werden in den Gewerkschaftsspitzen aktuell nicht offen diskutiert. Die Forderung nach mehr staatlicher Intervention allerdings schon. »Wir wünschen uns einen Investitionstopf für Innovationen, mit dem man Unternehmen absichern kann«, betont die stellvertretende DGB-Vorsitzende in Sachsen, Daniela Kolbe, im Gespräch mit »nd«. Als Beispiel führt sie den Automobilhersteller VW in Zwickau an. Dort war die Produktion auf Elektromobilität umgestellt worden. Mit Verweis auf die gesunkene Nachfrage sollen nun über 1000 Stellen abgebaut werden. »Hier muss der Staat viel agiler, innovativer und schlagkräftiger werden, um die Arbeitsplätze auf Dauer zu halten«, mahnt Kolbe an.
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Und auch die IG Metall hatte zuletzt staatliche Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Euro angemahnt, vor allem für die öffentliche Infrastruktur, um Standorte zu sichern und die ökologische Transformation zu bewältigen. Ob das die Unternehmensverbände in der im September beginnenden Tarifrunde von den Lohnforderungen überzeugen wird, ist fraglich. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober.
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