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Herz-Kreislauf-Erkrankungen - Das Mehr-Statine-Gesetz
Viel Kritik an einem Gesetzentwurf zum Thema Prävention
Gesetzesinitiativen aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) erfahren in letzter Zeit regelmäßig Ablehnung. Das trifft auch für das sogenannte Gesundes-Herz-Gesetz zu, das dem Thema Prävention gewidmet ist. Der Referentenentwurf liegt seit Mitte Juni vor, in Kraft treten soll das Gesetz Ende 2025. An diesem Montag gibt es dazu eine Fachanhörung im Gesundheitsministerium.
Die Prävention, also die Vorbeugung von Erkrankungen, ist durchaus ein aktuelles Thema in einem Gesundheitssystem, in dem zu viele alte Menschen gleich an mehreren Krankheiten leiden und pflegebedürftig werden. Auch die Benennung des Gesetzes deutet auf ein Problem hin: Seit Jahren sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland. Zwar erkennt das BMG in seinem Entwurf an, dass Bewegung und Ernährung die wichtigsten Faktoren für ein gesundes Herz sind. Aber die vielen möglichen Maßnahmen, die Initiativen unter anderem von Ärzten seit Langem fordern, spielen in dem Gesetz keine Rolle. Obwohl positive Effekte des Verbotes von Tabak- und Alkoholwerbung, von einer Zuckersteuer oder der Prävention von Adipositas und Armut nachgewiesen sind, fehlen sie in dem Entwurf.
Hingegen wird darin ein Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Früherkennung gelegt. So sollen Statine, also Medikamente zur Senkung von Cholesterin im Blut, zusätzlichen Personenkreisen zugute kommen. Diese Wirkstoffe können bislang nur Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko verordnet werden. Darunter wird verstanden, dass ein Risiko von über 20 Prozent für ein Ereignis wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall innerhalb von zehn Jahren besteht. In die Berechnung fließen etwa das Alter, der Blutdruck oder der Cholesterin-Wert mit ein. Mit dem Gesetz wären neue Verordnungen für bis zu zwei Millionen zusätzliche Patienten möglich. Das soll die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern.
Zustimmung insbesondere zu diesem Aspekt des Gesetzentwurfs kam bislang vor allem aus der Herzmedizin, unter anderem von der Deutschen Herzstiftung. Auch wiesen Stiftungsvertreter darauf hin, dass im Entwurf eine höhere Bewertung der medikamentösen Tabakentwöhnung und von deren Erstattungsfähigkeit enthalten sei. Das zielt zwar ebenfalls auf mehr Medikamente, aber Rauchen gilt als wichtiger Risikofaktor für etliche schwere, häufig tödlich verlaufenden Erkrankungen wie Herzinfarkt oder auch Schlaganfall. Die Vertreter der Herzstiftung merken zudem auch selbst an, dass über die geplanten Maßnahmen hinaus schon an den Grundschulen mehr Wert auf Herzgesundheit gelegt werden müsse, und meinen damit mehr Bewegungsprogramme sowie gesunde Ernährungsangebote.
»Durch überflüssiges Screening werden zwei Millionen Menschen krank gemacht und sollen nach den Plänen des Bundesgesundheitsministers lebenslang Cholesterinsenker schlucken.«
Niklas Schurig Ärzteinitiave Mezis
Weitaus größer ist jedoch die Gruppe der Akteure, die den Gesetzentwurf teils sehr scharf kritisiert. Vor allem die frühe oder häufigere Verschreibung von Statinen erfährt deutliche Ablehnung. Zwar wird etwa von den Hausärzten und ihrem Verband ein Diskurs zu diesen Medikamenten durchaus befürwortet, doch sei es nicht pauschal per Gesetz festzulegen, welche Patienten diese Mittel brauchen. Auch der Verband der Ersatzkrankenkassen ist gegen Cholesterinsenker für Kinder und Jugendliche und das dazu nötige umfangreiche Screening, weil die Wirksamkeit unklar sei. Bewerten müsse den Sinn solcher Maßnahmen der Gemeinsame Bundesausschuss des Gesundheitswesens. Dieses höchste Organ der Selbstverwaltung mit Vertretern der Kassen, Ärzte und Krankenhäuser entscheide, ob und welche Leistungen die Kassen bezahlen dürfen. Der Minister dürfe sich darüber nicht mit einer Rechtsverordnung hinwegsetzen.
»Dieser Entwurf ist ein einziges Trauerspiel für die evidenzbasierte Medizin«, meint auch Martin Scherer, Präsident der Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (Degam). Diese habe ihre Positionen in Anhörungen und Stellungnahmen eingebracht, jetzt sei aber nichts davon im Referentenentwurf wieder zu finden. »Für die Allgemeinmedizin gilt aber: Wir konzentrieren uns nicht nur auf die Lipide (Blutfette, d.Red), sondern behandeln immer das Gesamtrisiko für ein kardiovaskuläres Ereignis«, so Scherer.
Ein neuerliches Geschenk an die Pharmaindustrie sei das Gesetz, moniert die Ärzteinitiave Mezis (»Mein Essen zahl’ ich selbst«). Vorstand Niklas Schurig begründet das so: »Durch überflüssiges Screening werden zwei Millionen Menschen krank gemacht und sollen nach den Plänen des Bundesgesundheitsministers lebenslang Cholesterinsenker schlucken.« Es gebe keine Langzeitdaten, die belegen, dass das vorgeschlagene allgemeine Cholesterin-Screening in der Kindheit Herzkreislauferkrankungen im Erwachsenenalter reduziere. Mezis engagiert sich gegen Kampagnen zur Krankheitserfindung und die Steigerung von Medikamentenverschreibungen ohne Nutzen. »Bislang hatten wir dabei allerdings die pharmazeutische Industrie als Treiber im Fokus, nun kommt der Impuls direkt aus der Politik«, so Schurig.
Ebenfalls kritisiert wird das Vorhaben, den Krankenkassen Gelder für bisher mögliche Präventionsmaßnahmen zu entziehen. Zuletzt mussten die gesetzlichen Versicherungen je Versicherten und Jahr 7,52 Euro dafür ausgeben, unter anderem für Sportkurse, Ernährungsberatung und Stressreduktion. Aktuell sind etwa 110 000 geprüfte Kurse im Angebot, die 2023 von 1,5 Millionen Versicherten besucht wurden. Dazu ist allerdings auch zu sagen, dass es für Übungsleiter nicht einfach ist, ihre Kurse bei den Kassen entsprechend zu registrieren. Andererseits gibt es hier schon länger den Einwand, dass die Kurse vor allem von Menschen gebucht werden, die auch ohne diese Möglichkeit Sport treiben.
Jetzt soll ein Teil des Geldes jedoch aus der sogenannten Primärprävention umgelenkt werden in die Finanzierung von Medikamenten und medizinischen, teils ärztlichen Leistungen. Unter anderem die Allgemeinmediziner halten das für den falschen Weg. Degam-Präsident Scherer nennt weitere, aus fachlicher Sicht notwendige Präventionsmaßnahmen: den Zugang zu hochprozentigem Alkohol erschweren, mehr Schul- und Breitensport, mehr Schwimmbäder sowie gesundes Kita- und Schulessen. »Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Natürlich kann das BMG diese komplexen Aufgaben nicht allein umsetzen, aber dieser Weg wäre definitiv der richtige«, so der Allgemeinmediziner.
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