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  • Literatur in der Weimarer Republik

Roman »Abteilung Herrenmode«: Das Mädel aus dem Warenhaus

Maria Gleits Roman »Abteilung Herrenmode« evoziert die freundlichen Seiten der Weimarer Republik im Augenblick ihres Niedergangs

  • Magnus Klaue
  • Lesedauer: 5 Min.
Unter Hitler wurden die jüdischen Teilhaber des Warenhauses Tietz am Berliner Alexanderplatz enteignet, der Konzern in »Hertie« umbenannt.
Unter Hitler wurden die jüdischen Teilhaber des Warenhauses Tietz am Berliner Alexanderplatz enteignet, der Konzern in »Hertie« umbenannt.

Am 16. Mai 1933, wenige Tage nach der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz, erschien im »Börsen-Courier« eine Sammelrezension, in der Wolfgang Koeppen verschiedene zwischen trivialer und hoher Literatur angesiedelte Neuveröffentlichungen besprach. Darunter war der im Wiener Amonesta-Verlag erschienene Roman »Abteilung Herrenmode« der 24-jährigen Autorin Maria Gleit, der in Form von Szenen aus dem Alltagsleben der 22-jährigen Kaufhausangestellten Lotte Stein ein Sittenbild des Mittelstands der Weimarer Republik entwirft. Koeppen nennt ihn als Beispiel für »eine neue (…) Art des Unterhaltungsromans«, den »Berufs- und Angestelltenroman«. Unter Verweis auf Siegfried Kracauers drei Jahre zuvor erschienenen Essay »Die Angestellten« attestiert er der Autorin diagnostische Fähigkeiten bei der Darstellung des Sozialcharakters der Warenhausverkäuferin. Allerdings beanstandet er, dass die »Konfektion«, die Thema des Romans ist, auf die Form durchschlage: Gleits Buch fehle es an »Intensität«, es sei nicht mehr als eine literarisch camouflierte »Reportage«.

In seinem Nachwort zu der Neuauflage des Romans, die 90 Jahre nach dessen Erstveröffentlichung im Verlag »Das vergessene Buch« herausgebracht wurde, korrigiert der Historiker Vojin Saša Vukadinović Koeppens Urteil mit Blick auf den Prosastil der Neuen Sachlichkeit, die die Oberfläche, das Leichte und Seichte als Qualitäten entdeckt habe. Wahrnehmungspsychologisch korrespondiert die Hinwendung zum Leichten, als dessen »Sehnsuchtsort« neben dem Kino das Kaufhaus und darin besonders die Modeabteilung fungiert, mit Zerstreuung und Zerstreutheit, die sich an den flüchtigen Gedanken, stockenden und abirrenden Gesprächen der Figuren manifestiert. Weniger der unemotionale Zug der Neuen Sachlichkeit machte diese den Nationalsozialisten verdächtig als die Aufwertung der Konsumsphäre und urbanen Unterhaltungskultur, die als »zersetzend« und »dekadent« galt.

1935 wurde »Abteilung Herrenmode« auf die »Liste schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt, 1936 beschlagnahmt. Im gleichen Jahr emigrierte Maria Gleit mit ihrem Ehemann Walther Victor, der Deutschland wegen seiner jüdischen Herkunft verlassen musste, in die Schweiz und wenig später über Frankreich und Spanien nach Amerika. 1947 ging Victor zurück nach Deutschland, wo er in der DDR ein bedeutender Kulturfunktionär wurde, 1949 ließen er und Gleit sich scheiden. Wegen ihres zweiten Mannes, den sie in den USA kennengelernt hatte, konvertierte Gleit zum Judentum, 1950 zogen beide in die Schweiz. Ihre schriftstellerische Arbeit stellte sie nahezu ein, 1981 nahm sie sich, beruflich, privat und politisch hoffnungslos geworden, im Tessin das Leben.

Da Vito Victor, ihr Sohn aus erster Ehe, nach ihrem Tod alle Unterlagen, die im Zusammenhang mit der schriftstellerischen Arbeit seiner Mutter standen, auf deren Wunsch hin vernichtete, ist nicht in Erfahrung zu bringen, ob Gleit das Thema beruflicher und sexueller Emanzipation später aufgegriffen hat. »Abteilung Herrenmode« jedenfalls ist, obwohl er eine selbstbewusste weibliche Hauptfigur hat, kein feministischer Roman. Vielmehr ist das Buch interessant, weil es seine Protagonistin nicht zur makellosen Identifikationsfigur stilisiert, sondern sie ebenso wie die Männer, die sie umgeben, in sympathischen und unangenehmen Facetten zeigt. Lotte lernt im Laufe der Handlung erst allmählich durch Erfahrungen im Beruf und sich schärfende Selbstreflexion dazu: Anfangs konformistisch-kokett, nutzt sie die ihr vom Chef des Berliner Warenhauses Schack angetragene Rolle, in einem durch die amerikanische Kultur inspirierten »Girl«-Kostüm männliche Kunden zu becircen, um den eigenen erotischen Marktwert zu testen und ihren Geliebten und Kollegen Walter Böhmelmann eifersüchtig zu machen.

Böhmelmann ist ein Kleinbürger mit simplen Vorstellungen von Partnerschaft, Treue und Ordnung, der in unsicherer Zuneigung fast alle Ansinnen Lottes mit dem Satz »Wie du willst« beantwortet. Durch den Männererfolg, den ihr die »Girl«-Uniform verschafft, fühlt sie sich mit ihm gelangweilt und sucht nach anderen »Opfertieren«. Bald merkt sie allerdings, dass sie für die mit ihr anbändelnden Männer eher eine Art Gelegenheitsprostituierte ist. Eine wirkliche Wandlung durchlebt Lotte, als ihre Kollegin Annemarie von Doktor Saffian, dem Personalchef von Schack, geschwängert wird. Sie hilft der Freundin, erfährt die eigene Affäre mit einem Unternehmersohn sowohl als bereichernd wie als Belehrung darüber, dass diejenigen, mit denen man sich am besten versteht, selten die sind, die einem am meisten bieten, steigt auf und wird Abteilungsleiterin eines Prager Warenhauses, was es ihr ermöglicht, Böhmelmann, den sie liebt, der aber zu passiv ist, um etwas Rechtes aus sich zu machen, einen Platz an ihrer Seite zu verschaffen.

Dass »Abteilung Herrenmode kein Entwicklungsroman, sondern, wie es im Untertitel soziographisch präziser heißt, nur der «Roman eines Warenhausmädels» ist, liegt nicht nur an der Flatterhaftigkeit seiner Hauptfigur, von der man nach dem keineswegs endgültigen Happy End immer noch nicht weiß, was aus ihr wird, sondern auch daran, dass die Freude am Vorläufigen das Bewegungsgesetz der weiblichen Entwicklungsgeschichte ausmacht, die Gleit erzählt. Die Schnodderigkeit und Frivolität, die Lotte ebenso auszeichnen wie Gleits Erzählweise, gehörte zum ersten, was von den Nationalsozialisten an zivilisatorischen Beständen der Weimarer Republik liquidiert wurde. Dass der Roman Emanzipation nicht als identitäres Projekt zeigt, sondern als Zusammenspiel von weiblicher und männlicher Begierde, spontaner Freundlichkeit und Selbsterkenntnis, verleiht dem Buch eine ernste Leichtigkeit, die seit den Autorinnen der Zwanzigerjahre, zu denen neben Irmgard Keun, Mascha Kaléko, Marieluise Fleißer und Vicki Baum eben auch Maria Gleit gehörte, kaum ein «Frauenbuch» erreicht hat.

Maria Gleit: Abteilung Herrenmode. Roman eines Warenhausmädels. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Vojin Saša Vukadinović. Mit einem Schlusswort von Vito Victor. DVB-Verlag, 384 S., geb., 28 €.

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