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Einmal die heiße Sonne sehen
Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Jörg Fauser
Wie die Zeit vergeht: Vor dreißig Jahren war ich auf der Veranstaltung zum 50. Geburtstag des Schriftstellers & Frittenbudenfeldforschers Jörg Fauser, die in einer völlig überfüllten Münchner Computerfirma stattfand. Anschließend ging es weiter zur privaten Feier in die Wohnung seiner Witwe Gabriele Oßwald. Mit dabei waren der Hannoveraner Schriftsteller Kersten Flenter sowie die beiden »Cocksucker«-Herausgeber Oliver Bopp und Mario Todisco. Während sich die Promis im Wohnzimmer gegenseitig abklatschten, unterhielten wir uns nebenan stundenlang mit Frau Oßwald, während ihr Lover, ein Bettenverkäufer in unvorteilhaften Jogginghosen, nervös herumstreunte und uns wie ein Wadenbeißer nicht aus den Augen ließ.
Der Tisch des Schreibzimmers war halbherzig-sakral zum Fauser-Büchertisch umdekoriert worden, niemand außer uns schaute in die Werke hinein. Frau Oßwald gewährte uns ein paar lange Blicke in den Giftschrank ihres Mannes an der Wand neben der Tür, geheime Aufzeichnungen und so. Die »Cocksucker«-Herausgeber hatten gerade ein tolles Sonderheft zu Jörg Fauser herausgegeben und im Frankfurter Paria Verlag hatte der umtriebige Wolfgang Rüger die »Briefe an die Eltern« publiziert, zudem kam bei Rogner & Bernhard in Hamburg »Das leise lächelnde Nein und andere Texte« als Ergänzungsband zur Fauser-Edition heraus – es bewegte sich was.
Frau Oßwald indes hatte keine Hoffnung. Sie hielt ihren Mann für unbekannt und vergessen. Mario Todisco und ich redeten ihr diesen Unsinn aus und verklickerten ihr, dass Jörg Fauser durch die permanente Werbung, die wir mit unserer Social-Beat-Literatur-Bewegung für seine Literatur machten, noch mal »ganz groß rauskommen« werde. So kam es dann ja auch.
Am nächsten Tag sollte es zu Ehren Fausers eine Radiosendung bei BR3 geben. Jedoch wollte keiner der Freunde und Wegbegleiter, die sich gerade nebenan die Birnen weglöteten, daran teilnehmen. Frau Oßwald bat Mario Todisco und mich darum. Wir waren baff und fast hätten wir zugesagt. Aber es gab ein kleines Problem. Zunächst aber löste Maria, die Mutter von Jörg, die Party relativ frühzeitig (jedenfalls für uns) auf, weil sie nicht schlafen konnte. Instinktiv steuerte ich Küche und Kühlschrank an und fischte so viele Weißweinflaschen (was anderes gab es nicht) heraus, die sich irgendwo verstauen ließen und dann zogen wir zur Isar. Als alle ordnungsgemäß geleert waren, ließen wir die Köpfe ins verdörrte Ufergras sinken und wurden erst wieder wach, als die ersten Jogger mit ihren Tölen Bambule machten. Dann ging es zurück nach Hause, in diesem Fall in die Gegend um Riedstadt, Südhessen.
»Einen Schriftsteller, der nicht gelesen wird, halte ich für eine pathetische und sinnlose Figur.«
Jörg Fauser
Denn es war so: Um 21 Uhr 30 MEZ wollte der ungarische Schiri Sándor Puhl im Rose Bowl von Pasadena/Kalifornien das WM-Endspiel zwischen Brasilien und Italien anpfeifen. Kein guter Tag für eine Radiosendung also. Der Garten von Mario Todisco hatte sich mit gefühlt drei Dutzend echten oder nachgeborenen Italienern gefüllt, auf dem Tisch lagen Berge von Geld. Als Roberto Baggio nach Kapitän Franco Baresi und Daniele Massaro den schon dritten Elfmeter verschoss, war ich pleite (wir hatten dreimal gesetzt, ich immer anders), dafür glänzten auf dem Tisch die Bierpfützen, in denen zu risikobereite Wespen trieben, die das Zeitliche gesegnet hatten. Von der Radiosendung haben wir nichts mehr gehört.
Heute wäre Jörg Fauser achtzig geworden. Es ist schade, dass er den Mauerfall nicht journalistisch begleiten konnte, das Lafontaine-Attentat, den 11. September oder die Corona-Pandemie. Würde man den konservativen Anarchisten heute besser verstehen, einzuordnen wissen? Gelesen wird er mittlerweile, das nicht zu knapp. Eine Werkausgabe jagt die nächste, für Sammler ein Fass ohne Boden. Es ist wie beim Notebookkauf: Was das eine nicht hat, hat ein anderes, nur wird man sich am Ende entscheiden müssen und können. Bei Fausers gesammelten Werken bleibt dann nur noch ein Casino-Besuch oder der gute alte Tankstellenüberfall. Dafür habe ich von einem meiner Lieblingsbücher überhaupt, »Papillon« von dem Franzosen Henri Charrière, eine ganze Regalleiste voll. In mehreren Sprachen und innerhalb dieser Sprachen verschiedene Ausgaben. Halten Sie mich jetzt für bekloppt?
Abhilfe leistet ein schmales Buch aus dem Verlag Andreas Reiffer. Verfasst hat es Sascha Seiler, seines Zeichens »Privatdozent am Institut für Weltliteratur«. Er pickt sich seine persönlichen Rosinen heraus, unterstreicht vor allem den Facettenreichtum von Fausers Schreibe, macht das ganz ordentlich. Neue Erkenntnisse finden sich freilich nicht, dafür eignet sich das Buch für kleines Geld bestens für Neueinsteiger. Die Highlights von Fauser sind ja eigentlich Allgemeingut: die wundervollen »tip«-Kolumnen, die Marlon-Brando-Biografie, die Novelle »Alles wird gut«, der Roman »Rohstoff«, die Song-Texte für Achim Reichel.
Im Krimi »Der Schneemann« heißt es: »Einmal die heiße Sonne sehen, und wenn die Rechnung kommt, dann bitte mit allen Stempeln und dem großen Bäng.« Sein letztes Buch »Kant« endet mit dem Satz: »Die längsten Reisen fangen an, wenn es auf den Straßen dunkel wird.« Aus einem Pressebericht der Berufsfeuerwehr: »04.20 Uhr, A94, Fahrtrichtung München: In der Höhe der Anschlußstelle Feldkirchen wurde ein Fußgänger von einem LKW erfaßt. Der Feuerwehr-Notarzt Ost konnte nur noch den Tod des 43jährigen Mannes bestätigen.« Es war der 17. Juli 1987, und der Tote war Jörg Fauser (der u.a. von seiner Geburtstagsfeier kam). Tags darauf zitierte »Bild« eine Ullstein-Lektorin: »Er war dabei, ein neues Buch zu schreiben. Er hat akribisch genau gearbeitet. Vielleicht wollte er an der Stelle den Sonnenaufgang beobachten.«
Sascha Seiler: Bornheim Blues, Jörg Fauser – Ein Essay, Verlag Andreas Reiffer (edition kopfkiosk Bd. 9) 140 S., br., 10,50 €.
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