Freiheit für den Schweigefuchs

Eine Geste wird erst dann zum Problem, wenn dahinter eine Gesinnung steht, kommentiert Christoph Ruf

Türkische Fußballfans zeigen in Berlin den faschistischen »Wolfsgruß«. Er sieht genauso aus wie der »Schweigefuchs«, der in einer Bremer Kita zum Politikum geworden ist.
Türkische Fußballfans zeigen in Berlin den faschistischen »Wolfsgruß«. Er sieht genauso aus wie der »Schweigefuchs«, der in einer Bremer Kita zum Politikum geworden ist.

Vielleicht war ich ein bisschen ungerecht mit dem deutschen Kabarett. Es ist Fakt, dass die üblichen Formate erwartbaren Inhalts und deshalb so unterhaltsam wie ein Werbeblock sind. Aber, das ist mir in den vergangenen Wochen endgültig klargeworden, die Zunft hat es hierzulande schwerer als anderswo. Richtig gute Satire wird in Deutschland von der Politik gemacht, da kommt kein noch so kreatives Künstlerhirn hinterher.

Als vor einigen Wochen diskutiert wurde, das Lied »l’amour toujours« zu verbieten, weil auf Sylt dazu Nazi-Schrott als Refrain gegrölt wurde, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass das an Irrsinn noch zu überbieten wäre. Ich habe mich getäuscht. Denn in Bremen soll jetzt der »Schweigefuchs« verboten werden, mit dem in Kitas signalisiert wird, dass die Kinder gerne ein wenig leiser sein dürfen. Zeige- und kleiner Finger werden dabei zu »Ohren« nach oben gereckt, während der Rest der Hand dessen Visage formt. Ein »Schweigefuchs« also, der – so berichtet das Fachpersonal – oft mehr erreicht als verbale Zurechtweisungen.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

In der Bremer Schulbehörde hat man allerdings nach ausgiebigen Recherchen festgestellt, dass Füchse und Wölfe sich ähnlicher sehen als, sagen wir: Füchse und Heringe. Und da bei der Fußball-EM der »Wolfsgruß« vom türkischen Nationalspieler Merih Demiral gezeigt (und von tausenden türkischen Fans kopiert) wurde, sah man Handlungsbedarf. Nicht bei den Erwachsenen, die das faschistische Symbol weiter zeigen dürfen, sondern bei den Ein- bis Sechsjährigen.

Wie man denen das erklärt, würde mich wirklich interessieren. Zu vermuten ist, dass künftig der Landesverfassungsschutz zum Morgenkreis kommt und dafür sorgt, dass die kleine Emilie, die die Fuchsgeste macht, keinen Nachtisch bekommt. Die innere Sicherheit ist schließlich oberstes Gebot, und das Böse schläft nie. Falls das für die Beamtinnen und Beamten in der Hansestadt auch gilt, sei eine Nachschulung empfohlen: Eine Geste an sich ist wertneutral. Gefährlich ist sie, wenn sie von der Geste zum Symbol wird. Wenn beispielsweise Linus Müller den rechten Arm hebt, um ein Glas Marmelade vom obersten Küchenregal zu holen, darf der Staatsschutz unbesorgt sein. Wenn rechte Arme bei einem Rechtsrock-Festival gereckt werden, bitte nicht.

Es geht also um die Gesinnung, die hinter einer Geste steht. Doch die Ideologie, die hinter dem Wolfsgruß steht, scheint die politisch Verantwortlichen wenig zu interessieren. Dabei wissen politisch Interessierte seit Jahren, dass die »Grauen Wölfe« keine lustige Volkstanzgruppe sind. Welche Ideologie sie vertreten, welche kriminellen Strukturen sie entwickeln, wie sie sich finanzieren – all das ist weitgehend bekannt. In Österreich ist deshalb sowohl die Organisation als auch der Gruß verboten.

Hierzulande reihte die oberste Kindergärtnerin der Nation nach der Wolfsgruß-Inflation ihre üblichen Rhetorikbausteine wie »inakzeptabel« und »nicht hinzunehmen« aneinander und forderte von der Uefa die »Konsequenzen«, die sie selbst nicht ziehen will. Aus einer Kita, in der Nancy Faeser (SPD) arbeitet, sollte man seine Kinder schnellstens herausnehmen. Doch irgendjemand hat die Frau zur Bundesinnenministerin gemacht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -