Bundesregierung will Wirtschaft mit Arbeitszwang ankurbeln

Zusammen mit dem Haushalt 2025 hat das Kabinett auch eine »Wachstumsinitiative« beschlossen

Stahlkocher können sich vom Maßnahmenpaket nicht mehr kaufen, und Unternehmerverbände bezweifeln, dass man die Wirtschaft mit angezogener Schuldenbremse ankurbeln kann.
Stahlkocher können sich vom Maßnahmenpaket nicht mehr kaufen, und Unternehmerverbände bezweifeln, dass man die Wirtschaft mit angezogener Schuldenbremse ankurbeln kann.

Nahezu alles, was die Ampel-Koalition in diesen Tagen vorlegt und diskutiert, enthält das Schlagwort »Arbeitsanreize«. Allein diese, im positiven (Boni) wie negativen (Sanktionen), würden letztlich zur ersehnten neuen Konjunktur führen. Denn wenn mehr Leute einen Job haben, zahlen sie Steuern und liegen dem Staat nicht auf der Tasche, so der Grundgedanke.

Er durchzieht auch die sogenannte Wachstumsinitiative, die das Kabinett am Mittwoch zusammen mit dem Bundeshaushalt beschlossen hat. Es handelt sich dabei um einen Plan mit 49 Einzelmaßnahmen, den Kanzler Olaf Scholz (SPD), sein Vize Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 5. Juli vorgelegt hatten. Das Papier wurde von den Ministern unverändert abgesegnet, obwohl drastische Verschärfungen beim Sanktionsregime gegenüber Bürgergeld-Beziehern ein wesentlicher Bestandteil des Pakets sind.

Das bedeutet eine komplette Abkehr vom Kern des Bürgergelds. Dessen »Geist«, sagte Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) im November 2022 im Bundestag, sei einer »der Solidarität, des Zutrauens, der Ermutigung«. Nun aber behauptet Heil, es gebe keine »drastische Verschärfung« der Bürgergeld-Regeln. Vielmehr gehe es um ein »Nachsteuern«, sagte er dem Deutschlandfunk. Das Prinzip des »Forderns und Förderns« sei immer schon Teil des Gesetzes gewesen.

Für FDP-Fraktionschef Christian Dürr sind die Verschärfungen ein großer Fortschritt. Er sagte zu den jüngsten Beschlüssen: »Das Bürgergeld ist keine soziale Hängematte, sondern soll zur Arbeit motivieren.«

Nachdem das Kabinett das Paket gebilligt hatte, sprach Finanzressortchef Lindner von »wichtigen wirtschaftspolitischen Impulsen, damit der Standort Deutschland attraktiver wird«. Nur durch wirtschaftliches Wachstum entstünden »neue Spielräume im Haushalt«, sagte er mit Blick auf die Kürzungen in etlichen Einzeletats und sein Pochen auf formale Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz.

Für die Unternehmen sieht die Initiative Verbesserungen bei Abschreibungen von Investitionen und bei der Forschungszulage, Bürokratieabbau sowie Entlastung energieintensiver Branchen bei den Strompreisen vor. Weiter gehört zum Paket eine steuerliche Besserstellung für Firmen, die E-Autos als Dienstwagen nutzen.

Zu den »positiven« Anreizen gehört die Freistellung von Überstunden von Steuern und Beiträgen. Dies war eine Forderung der FDP gewesen, die insbesondere die Gewerkschaften mit Blick auf das enorme Ausmaß unvergüteter Mehrarbeit scharf kritisiert hatten.

»Das Bürgergeld ist keine soziale Hängematte, sondern soll zur Arbeit motivieren.«

Christian Dürr
Vorsitzender FDP-Bundestagsfraktion

Auch die Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte, bei denen Sozialminister Heil Diskussionsbedarf angemeldet hatte, wurden vom Kabinett beschlossen. Wirtschaftsminister Habeck hatte das Vorhaben als notwendig verteidigt, um Deutschland für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiver zu machen.

Zum Bürgergeld sagte Heil, es bleibe die »Grundsicherung für Menschen, die in Not geraten sind«. Man erhöhe lediglich die »Treffsicherheit des Sozialstaates, ohne soziale Leistungen einzuschränken, auf die die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch haben«. Dafür würden Mitwirkungspflichten stärker eingefordert und durchgesetzt, Missbrauch des Systems – etwa bei Schwarzarbeit – werde stärker bekämpft.

Zu den Maßnahmen gehört die Wiedereinführung von dreimonatigen Sanktionen beim Bürgergeld von bis zu 30 Prozent des Regelsatzes, wenn »zumutbare« Arbeit nicht angenommen wird. Als zumutbar gilt laut Wachstumsinitiative eine tägliche Pendelzeit von drei Stunden. Zudem wird die Karenzzeit für das sogenannte Schonvermögen halbiert. Bislang durften Bezieher von Bürgergeld Ersparnisse bis zu 40 000 Euro ein Jahr lang behalten, künftig sind es nur noch sechs Monate.

Weiter sieht das Paket bessere Bedingungen für Rentner vor, die weiter arbeiten wollen. »Wir halten zudem unser Versprechen an die ein, die ihr Leben lang gearbeitet haben«, so Heil mit Blick auf das geplante Rentenpaket. Mit der durch die Haushaltsverhandlungen bestätigten Reform werde das Rentenniveau dauerhaft gesichert. Zudem würden mehr Anreize geschaffen, um Menschen, die auch im Alter noch arbeiten können und wollen, das zu ermöglichen.

Von der Wachstumsinitiative sind indes auch die Lobbyverbände der Unternehmen nicht überzeugt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erwartet sich davon »nur marginale Wachstumseffekte«. »Positiv zu bewerten ist die geplante Verlängerung der degressiven Abschreibung und Ausweitung der Forschungszulage«, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Unternehmen würden hingegen kaum entlastet. Das Festhalten der Bundesregierung an der Schuldenbremse begrüßte die BDI-Geschäftsführerin.

Zu letzterer vertritt indes die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) andere Positionen. Von dort war die Forderung nach einer Reform gekommen, die massive Investitionen in Infrastruktur und andere Bereiche ermöglichen soll. Ähnlich äußerte sich am Mittwoch auch der Chef des Deutschen Mittelstands-Bundes (DMB), Marc Tenbieg. Für ihn ist die Wachstumsinitiative zudem »ähnlich wie das Wachstumschancengesetz nur ein Tropfen auf den heißen Stein«. Mit Blick auf die Schuldenbremse sagte er: »Gelder für Bildung, Infrastruktur, Energie und militärische Sicherheit sind keine Ausgaben, sondern zweckgebundene Investitionen in unsere Zukunft.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal